Die Berliner Libyen-Konferenz hat nicht viel gebracht

Verlorene Libyen-Mühe

Die Libyen-Konferenz bringt keine wirksamen Ergebnisse, sondern lediglich eine Unterbrechung des Kriegs durch die Konfliktparteien.

Es war eine jener internationalen Konferenzen, wie die Bundesregierung sie liebt. Bereits vor Beginn des Treffens hatte der Spiegel Deutschland als »ehrlichen Makler« bezeichnet, dem es trotz einiger Schwierigkeiten gelungen sei, die wichtige Veranstaltung zu organisieren. Am Sonntag fand in Berlin auf Einladung der Bundesregierung eine internationale Libyen-Konferenz mit zwölf Staaten und diversen internationalen Organisationen statt. Die staatlichen Unterstützer der libyschen Bürgerkriegsparteien sollten zu konkreten Schritten für eine Befriedung des Landes bewegt werden.

Neben den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats waren die von der Bundesregierung als relevant eingeschätzten Staaten Ägypten, Italien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate und Algerien sowie Vertreter der UN, der EU, der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga anwesend. Nicht anwesend waren Tunesien, Saudi-Arabien, Jordanien sowie Griechenland, wo Khalifa Haftar, der Befehlshaber der »Libyschen Nationalen Armee«, am Donnerstag voriger Woche in Athen empfangen worden war.

Weil das Abschlussdokument keine wirksamen Sanktionen vorsieht, bezeichnen einige Libyen-Experten die Konferenz als appeasement gegenüber den maßgeblichen Konfliktparteien.

Die Anführer der ebenfalls in Berlin anwesenden libyschen Konfliktparteien, Haftar und Fajez al-Sarraj, der Ministerpräsident der »Regierung der nationalen Übereinkunft«, waren nicht als offizielle Teilnehmer eingeladen. Sie wurden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zufolge lediglich »über den Stand der Gespräche informiert«. Der Fokus lag auf ihren jeweiligen staatlichen Unterstützern.

Bei der Pressekonferenz am Sonntagabend wurde das Abschlussdokument des Treffens vorgestellt, auf das sich die Konferenzteilnehmer bereits vorab geeinigt hatten. Die Bundeskanzlerin sprach von einem ersten Schritt auf dem Weg in Richtung Frieden, Bundes­außenminister Heiko Maas (SPD) von einem »Schlüssel«, der nur noch ins Schloss gesteckt und umgedreht werden müsse. Rhetorisch verpflichtet der Text die beteiligten Staaten und Organisationen, sich »nicht in den bewaffneten Konflikt in Libyen und in die ­inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen« und das vom UN-Sicherheitsrat verhängte Waffenembargo einzuhalten.

Weil das Abschlussdokument keine wirksamen Sanktionen vorsieht, bezeichnen einige Libyen-Experten die Konferenz als appeasement gegenüber den maßgeblichen Konfliktparteien, das im Widerspruch zu den Verhältnissen in Libyen stehe, wo die Kriegsteilnehmer eine militärische Lösung anstrebten. »Die Akteure haben sich auf einen Text geeinigt, aber ihre Position hat sich nicht geändert«, sagte Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in der Fernsehsendung »Anne Will«. Seit Beginn der Vorbereitungstreffen für die Kon­ferenz im September 2019 haben die Interventionen ausländischer Mächte sogar zugenommen, insbesondere durch Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate auf der Seite Haftars und durch die Türkei auf der Seite Sarrajs.

Während die USA in Libyen bedeutungslos sind, gibt es innerhalb der EU Unterstützer beider Kriegsparteien. Frankreich und mittlerweile auch Griechenland stehen auf der Seite Haftars. Die übrigen Staaten unterstützen Sarraj als legitimen Regierungschef und als Partner bei der Flüchtlingsabwehr, besonders Italien. 

Bei der EU-Außenministerkonferenz am Montag wurde außer einer maritimen EU-Mission zur Verhinderung von Waffenschmuggel nichts Substantielles beschlossen. Statt selbst tätig zu werden, hofft man auf ein UN-Mandat, dessen Zustandekommen gegen die UN-Vetomächte jedoch unwahrscheinlich ist.

Die EU kann sich gegenüber Russland und der Türkei nicht behaupten und macht sich zum Spielball türkischer, golfarabischer und russischer geostrategischer Interessen in Libyen. Das zeigt das Ende November unterzeichnete Seeabkommen zwischen Sarraj und Erdoğan. Es zielt auf die Ausbeutung von Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Die Türkei erhebt mit dem Abkommen Ansprüche auf griechisches und zyprisches Seegebiet. Am Freitag voriger Woche ließ sie dort trotz angedrohter EU-Sanktionen Gasbohrungen vornehmen.

Insbesondere Haftar sabotiert mit Hilfe seiner ausländischen Unterstützer seit langem diplomatische Lösungen. Die Offensive auf die Hauptstadt Tripolis durch seine Truppen begann kurze Zeit vor einer UN-Libyen-Konferenz, die in der Folge abgesagt werden musste. Nach einem Treffen in Moskau reiste er ab, ohne den von Russland und der Türkei vermittelten Waffenstillstand unterzeichnet zu haben, der am vorvergangenen Sonntag in Kraft trat. In den Tagen danach nutzte Haftar jeden Anlass, um den Waffenstillstand, den er selbst ja gar nicht unterzeichnet hatte, für nichtig zu erklären beziehungsweise aufzukündigen, und zeigte sich nur widerwillig dazu bereit, ihn vorübergehend doch einzuhalten.

Die militärische Lage in Libyen ist günstig für Haftar. Anfang dieses Monats hatte er die strategisch wichtige Stadt Sirte erobert. Trotz der Ankündigung der türkischen Gegenseite, syrische Söldner zur Verteidigung Tripolis’ zu entsenden, hat Haftar eine weitaus größere Koalition hinter sich versammelt als Sarraj, der militärisch einzig von der Türkei unterstützt wird. Haftar hat also ein gewichtiges Interesse daran, eine militärische Lösung anzustreben, solange er auf die Unterstützung Russlands und anderer Staaten zählen kann.

Kurz vor Beginn der Konferenz in Berlin blockierten Haftars Truppen nach Angaben des staatlichen libyschen Ölkonzerns NOC die wichtigsten Öl­exporthäfen des Landes. Was von Haftars Pressesprecher als »spontaner Protest wütender Massen« bezeichnet wurde, war ein Versuch, Druck auf die teilnehmenden Staaten der Konferenz auszuüben, insbesondere auf die Mitgliedsstaaten der EU.

Das Abschlussdokument der Berliner Konferenz sieht keine wirksamen Überprüfungsmechanismen und Sanktionen gegen die beteiligten Staaten vor. Haftars Koalition übt derweil politisch und ökonomisch Druck auf die Unterstützer einer Friedenslösung aus.

Die Bundeskanzlerin sagte bei der Pressekonferenz, dass es »keine Chance auf eine militärische Lösung gibt«. Die gibt es aber sehr wohl. Sie ist nach der Konferenz aus PR-Gründen lediglich aufgeschoben – bis sich ein Anlass bietet, den Krieg gesichtswahrend fortzusetzen. Im Laufe dieser Woche sollen Gespräche zwischen Unterhändlern der libyschen Konfliktparteien über einen dauerhaften Waffenstillstand beginnen. Bis dahin sollen die beteiligten Staaten stillhalten. Dies gilt jedoch dem Abschlussdokument der Konferenz zufolge nur, »solange die Waffenruhe respektiert wird« – eine Formulierung, die nützlicher kaum sein könnte.