»Panic in the Streets« ist ein Katastrophenfilm, in dem es darum geht, Panik zu vermeiden

Status quo ante

Elia Kazans Film »Panic in the Streets« über den Ausbruch der Pest in New Orleans erhellt und verstört in Zeiten der Covid-19-Epidemie.

In Zeiten gesteigerter Unsicherheit wendet man sich gern Kulturprodukten zu, deren Thema durch Resonanz mit der Gegenwart eine gewisse Ak­tualität verspricht. Mit Blick auf die derzeitige Covid-19-Pandemie wäre insofern der von Seuchen handelnde Katastrophenfilm – man denke an »Contagion« (2011) oder »Outbreak« (1995) – das Genre der Stunde. Die Idee einer unsichtbaren, ansteckenden, unmittelbar lebensgefährdenden Bedrohung erlaubt die Inszenierung technologischer Allmachtsphantasien, gesellschaftlicher Desintegrationsprozesse sowie massenpsychologischer Dynamik. Dennoch sind die dramaturgischen Grenzen des Genres eng gesteckt. Ohne die Suche nach der infektiösen Ursache oder Patient null, den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kampf um Impfstoffe und Heilmittel, die ethischen Herausforderungen von Einhegungsstrategien sowie die möglichst drastische visuelle Darstellung der jeweiligen Krankheit kommen Seuchenfilme nur in Ausnahmen aus. Die Unsichtbarkeit und Lautlosigkeit der Bedrohung lassen Angst und Lust verschmelzen, mobilisieren die Affekte und stellen zugleich die ästhetische Herausforderung dar.

Anders als der sensationsheischende Titel »Panic in the Streets« suggeriert, handelt der Film nicht von einer Massenpanik, sondern von ihrer Verhinderung.

Elia Kazans Film »Panic in the Streets« aus dem Jahr 1950 ist kein Katastrophenfilm in diesem Sinne und doch verfügt er – verdichtet in einem vergleichsweise überschau­baren Szenario – über etliche der erwähnten Elemente. Anders als der ­etwas sensationsheischende Titel suggeriert, handelt der Film nicht von einer Massenpanik, sondern von ihrer Verhinderung. Ein Mann gerät bei einem Kartenspiel im kriminellen Milieu mit einer Gruppe Gangster in Streit und wird schließlich von deren Anführer Blackie (Jack Palance) ermordet. Als die Leiche im Hafen von New Orleans gefunden wird, stellt sich heraus, dass das Opfer an der Lungenpest litt. Ein Impfstoff ist zwar sofort vorhanden, aber um eine Epidemie zu verhindern, müssen der idealistische Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, Clinton Reed (Richard Widmark), sowie der widerwillige lokale Polizeichef Tom Warren (Paul Douglas) innerhalb von 48 Stunden die möglicherweise infizierten Täter finden. Schlussendlich gelingt es, die Gangster aufzuspüren und die Epidemie zu verhindern; zwei Menschen fallen im Laufe des Films der Krankheit zum Opfer.

Elia Kazans Filme der vierziger und fünfziger Jahre – bekannt wurde der Regisseur vor allem durch seine Verfilmung von Tennessee Williams’ »A Streetcar Named Desire« (1951, »Endstation Sehnsucht«) – stehen für eine Kinotradition, in der gerade der angestrebte Realismus jenes psychische Substrat offenbart, das normalerweise unter der Alltagsrealität oder in ihren Zwischenräumen verborgen ist. Kazans Vorliebe für politische und soziale Themen geht auf seine Jugend in der New Yorker Kunstszene der dreißiger Jahre zurück. ­Kazan, der 1909 in Konstantinopel geboren wurde und dessen Familie vier Jahre später in die USA emigrierte, war Mitglied des New Yorker Group Theater, aus dem später das Actor’s Studio und das sogenannte Method Acting hervorgingen. Wie viele aus seinem Umfeld war er für kurze Zeit Mitglied der Kommunistischen Partei, trat um seiner künstlerischen Freiheit willen allerdings schnell wieder aus. Als Kazan 1952 vor dem berüchtigten Komitee für unamerikanische Umtriebe aussagen musste, denunzierte er acht seiner früheren Kollegen, was seinen Ruf nachhaltig schädigte. Im September 2003 verstarb Kazan in New York.

Das Ideal des Dokumentarischen und Authentischen, dem Kazan in seiner Arbeit zum Beispiel durch den Einsatz von unbekannten Schauspielern und Laiendarstellern nahezukommen versuchte, ist auch in »Panic in the Streets« zu spüren. Der Film, der ausschließlich an Originalschauplätzen in New Orleans und im Freien gedreht wurde, wird gemeinhin dem Film Noir zugeordnet. Das in den Dreißigern infolge der großen Depression entstandene, zunächst genuin US-amerikanische Genre lebt von den individuellen Destruktionspotentialen, die die bürgerliche Gesellschaft hervorbringt und nährt. Die großstädtische Massengesellschaft, Kriminalität, Lust, Gier, der Einbruch des scheinbar grundlos Brutalen in die Normalität, das sind die zentralen Topoi jener Filme. Allerdings gerät die enge Genrebeschreibung im Falle von »Panic in the Streets« an ihre Grenzen. Denn was den Film auszeichnet, ist zum einen die elegante Verflechtung zeitgenössischer und vormoderner Ängste, und zum anderen ein gespanntes Verhältnis zwischen den Figuren als Träger institutioneller Funktionen und als individuelle Subjekte.

So scheint es kein Zufall, dass der Film mit der Pest eine althergebrachte Bedrohung aufruft. Nur ein Jahr bevor »Panic in the Streets« in die Kinos kam, waren in den USA über 2 700 Menschen dem Poliovirus zum Opfer gefallen, 1918 hatte die Spa­nische Grippe eine halbe Million Men­schen getötet, weltweit starben ein bis zwei Prozent der Bevölkerung an der Krankheit. Die einzige histo­rische Epidemie, die im Film erwähnt wird, ist jedoch der Ausbruch der Lungenpest 1924 in Los Angeles, bei der 30 Menschen ums Leben kamen. Anders als viele zeitgenössische, mit Spezialeffekten und CGI-Protzerei aufwartende Katastrophenfilme ist »Panic in the Streets« an der Krankheit selbst, deren Anfangssymptome einer Erkältung gleichen, eher des­interessiert. Die Infektionsgefahr wird nicht etwa dramatisch aufgeblasen, sondern vielmehr subtil angedeutet. Hier zieht ein Polizist im Hintergrund plötzlich sein Taschentuch hervor, dort wird auf einmal gehustet. Wie Nadelstiche werden die Momente in den Film platziert und spiegeln damit eine Wahrnehmung, die den meisten, die sich heute noch in der Öffentlichkeit bewegen, inzwischen vertraut sein dürfte – jene Mischung aus Angst und Misstrauen, die als Komplement der Infek­tionsgefahr zwischen den Menschen herrscht.

Gleichwohl rückt der Film die Gefahr der Epidemie auch in den Zusammenhang moderner Produktionsverhältnisse. Immer wieder lässt ­Kazan die Protagonisten sich durch viele verschiedene Milieus und Klassen bewegen: ein volles, von Einwanderern betriebenes Restaurant, eine überfüllte Halle, in der Arbeiter darauf warten, auf einem Schiff anzuheuern. Kurz bevor Clinton Reed von einer Frau den entscheidenden Tipp zur Herkunft des Opfers erhält, muss diese sich in einer engen Bar in einer erdrückend langsamen Szene an einer Reihe von Männern vorbeidrängen. Auf diese Weise werden Nähe und Distanz als gesellschaftliche, sozioökonomische Kategorien verständlich. Enge, so ließe sich mit Blick auf die Gegenwart sagen, ist ein Zeichen des Mangels, Distanz ein Signum des gleichwohl relativen Luxus. Den gebotenen Abstand zu halten, ist nicht zuletzt eine Frage des gesellschaftlichen Ortes. Nicht zufällig stellt der Film die Öffentlichkeit als Raum der Masse und die Masse wiederum als kaum zu kontrollierendes Kollektivsubjekt dar; gerade in der Nachkriegszeit wurde allerorten versucht, das Moderne und Charakteristische der bürgerlichen Gesellschaft vermittels des Begriffs der Masse zu erfassen.

Tatsächlich spielt der Hafen, wo die Leiche gefunden wird und wo der Showdown stattfindet, eine tragende Rolle im Film. Heute das Symbol eines globalisierten Warenverkehrs, steht der Hafen seit jeher sowohl für Offenheit und die Sehnsucht nach der Ferne als auch für die mal willkommene, mal gefürchtete Einbruchsstelle des Fremden und der Gefahr von außen. »Panic in the Streets« zeigt den Hafen als Produktionsstandort – vor allem in der die Topographie des Geländes eindrucksvoll nachvollziehenden Verfolgungsjagd am Schluss – und als Ort der Migration. Nüchtern kommen sowohl die Ängste neu angekommener Immigrantengruppen zur Sprache, die sich zum Beispiel zögerlich zeigen, mit den Behörden zu kooperieren, als auch die hygienischen, letztlich für die Verbreitung der Krankheit ausschlag­gebenden Verhältnisse auf den überfüllten Schiffen.

Anders als der Western – der ebenfalls in den vierziger Jahren seine Hochzeit erlebte – kennt der Film Noir keine Helden. Der scheinbar als primäre Identifikationsfigur angelegte Staatsangestellte Clinton Reed wird als gebrochenes Subjekt dargestellt, das unter der Last institutioneller Verantwortung leidet – und zwar sowohl in seiner Funktion als Gesundheitsexperte wie auch als Ehemann und Vater – und darum der aufbauenden Unterstützung seiner Ehefrau Nancy (Barbara Bel Geddes) bedarf. Hier atmet der Film den Geist der fünfziger Jahre, aber öffnet damit zugleich den Blick auf die andauernde Mehrbelastung von Frauen im Bereich der sozialen Fürsorge. Schon zu Beginn wird vermittelt, dass sich Clinton, anders als Nancy, ein zweites Kind wünscht. Augenscheinlich lebt die Familie auch ökonomisch bescheiden. Immer wieder wird eine unbezahlte Rechnung thematisiert, wohl vor allem, um der populären Auffassung von gutbetuchten Staatsangestellten entgegenzuwirken. Durchweg wird Nancy in ihrem Verhältnis zu Clinton als fürsorgend, empathisch und unterstützend dargestellt, gleichsam als Verkörperung der Emotionalität, die die Schale des verhärteten Pflichtsubjekts aufbrechen soll. Das geschieht, als Clinton sich bewusst wird, wie sehr sich sein herablassendes und großsprecherisches Verhalten gegenüber dem Polizeichef und gegenüber seiner Frau ähneln. Die Suggestion einer strukturellen Ähnlichkeit zwischen der Verhärtung, die das pragmatische Subjekt im Krisenfall einerseits und im bürgerlichen Alltag andererseits an den Tag legt, gelingt in diesem Falle nur vor der Folie einer treusorgenden, den Mann stützenden Mutter – die in letzter Instanz auch dem Wunsch nach einem zweiten Kind zustimmt.

Der zentrale Konflikt, der die Handlungen der Protagonisten motiviert und der mit Blick auf die derzeitige Situation so etwas wie den neuralgischen Punkt des Films darstellt, entzündet sich an der Frage nach der Rolle der Bevölkerung, konkret: ob die Öffentlichkeit von der drohenden Epidemie in Kenntnis zu setzen sei oder nicht. Als Reed die Behörden über die Gefahr einer Epidemie informiert, schlagen ihm zunächst Widerwillen und Misstrauen entgegen. Die Presse einzuschalten, lehnt Reed aufgrund der Gefahr einer Massenflucht aus der Stadt und dem damit verbundenen Risiko einer Ausbreitung der Krankheit ab. Die Wende in dem von Beginn an als spannungsgeladen gekennzeichneten Verhältnis zwischen Reed und Polizeichef Warren tritt ein, als Letzterer einen Reporter verhaften lässt, der damit droht, mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Reed – und der Film übernimmt dessen Perspektive – sieht sich als Vertreter eines über die einzelne Stadt oder »Community« hinausgehenden Allgemeinen, dessen Wohl gegebenenfalls auch gegen die Einzelnen durchzusetzen ist.

Das Verhältnis zwischen Experten und staatlichen Behörden auf der einen Seite und der Bevölkerung auf der anderen, das in dem Film inszeniert wird, hat einen historischen Hintergrund. Nachdem in den Dreißigern die Maßnahmen des sogenannten New Deal eingeführt worden ­waren, denen die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft folgte, ging die Diskussion über zentralstaatliche Eingriffe in die Autonomie der Bundesstaaten auch in der Nachkriegszeit weiter. Es war gerade einmal sechs Jahre her, dass dem Zentralstaat mit dem Public Health Service Act die Entscheidungsgewalt für den Fall der Quarantäne zugesprochen wurde. Während die Stadtbehörden die »Com­munity« von New Orleans als einzig relevante Bezugsgröße begreifen und sich gegen die Einmischung des Gesundheitsministeriums grundsätzlich verwahren, steht Reed für die Haltung des wohlwollenden Souveräns, der in Krisenzeiten die Verantwortung für das Ganze übernimmt und den kommunitaristischen Partikularismus gegen dessen eigene Vertreter wendet: »We’re all in a community … the same one«, sagt er an einer Stelle des Films. Dass der Film das staatliche Interesse am Schutz der Bevölkerung vor sich selbst sogar gegen die Idee der Pressefreiheit verteidigt, verdeutlicht, wie wichtig es Kazan war, in dieser Debatte ein Plädoyer für sozialstaatliche Maßnahmen zu halten.

Freilich ist die Phase, vor deren Hintergrund der Film diese Fragen verhandelt – sowohl grundsätzlich historisch als auch, was den Plot der Verhinderung von Epidemie und Massenpanik angeht –, längst vorbei. Das durchaus unterschiedliche indi­viduelle wie staatliche Verhältnis zur öffentlichen Gesundheit lässt sich derzeit aus der Nähe beobachten. Nicht nur, dass China wochenlang Information über das Coronavirus unter Verschluss hielt, lässt an das Szenario des Films denken; die Entfernung zwischen wohlfahrtsstaatlicher Initiative und autoritärer Maßnahme ist keinesfalls so groß, wie es bisweilen scheint. Nicht zuletzt aufgrund der geringen Erfahrungswerte und der offenkundigen Ignoranz ­gegenüber frühen Warnungen von Virologen und Epidemologen ist kaum noch zu entscheiden, wo pragmatische Notwendigkeit aufhört und die hilflose Übersprungshandlung beginnt. Und während einigen ihre Mitmenschen schlicht so egal sind, wie sie es auch in virenfreien Zeiten schon waren, werden Strafbedürfnis und Verbotsforderungen – und zwar von Seiten der Bürger wie auch des Staates – immer lauter. All dies liegt jedoch jenseits von »Panic in the Streets«, den man in Deutschland anscheinend schon bei der Veröffentlichung als sinistre Phantasie staatlicher Eliten missverstanden hat: Hierzulande erschien der Film unter dem Titel »Unter Geheimbefehl«.