Die Stadt Frankfurt am Main will das Flaschensammeln erleichtern

Ringelpiez mit Pfandflaschen

Von Jan Stich

Die Stadt Frankfurt am Main hat testweise 15 sogenannte Pfandringe aufgehängt. Diese sollen verhindern, dass Pfandflaschen im Müll landen, und Pfandsammlern die Arbeit erleichtern.

Schon einmal vom »Pfandschlupf« gehört? Vermutlich nicht. Dabei hat fast jeder schon einmal dazu beigetragen: Wann immer man bestimmte Getränke in einer Flasche oder Dose kauft, zahlt man zusätzlich zu dem Getränkepreis eine bestimmte Summe Pfand, in Deutschland in der Regel zwischen acht und 25 Cent. Dem Umweltbundesamt zufolge werden 96 Prozent aller Pfandbehälter zurückgegeben. Für die rest­lichen vier Prozent hat der Getränkehandel aber auch das Geld kassiert und darf es behalten – das ist der Pfandschlupf. So kommt der Naturschutzbund Deutschland in seiner Berechnung auf 180 Millionen Euro, die die Getränkeindustrie allein 2015 daran verdiente, dass Kunden ihre Pfandbehälter nicht zurückbringen.

Das Pfandsammeln gilt als deutsches Phänomen, weil hier die Pfandgebühren im internationalen Vergleich relativ hoch sind.

Diese Behälter landen nach Schätzungen von Experten überwiegend in Mülleimern. Wenn die Rückgabe zu umständlich ist, dann werden die Dosen oder Flaschen einfach weggeworfen. Im Müll bleiben sie aber oft nicht, sondern werden wieder herausgeklaubt. In Deutschland leben 15,5 Prozent der Menschen in relativer Armut. Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen in Deutschland Pfand sammeln, aber jeder dürfte schon mal die Sammlerinnen und Sammler mit großen Tüten und Einkaufswagen voller Flaschen gesehen haben; manche bepacken auch ihre Fahrräder damit. Einige Sammler sind professionell ausgestattet, mit Taschenlampen, Handschuhen oder Greifarmen, anderen sieht man ihre Armut deutlicher an. Das Pfandsammeln gilt als deutsches Phänomen, weil hier die Pfandgebühren im internationalen Vergleich relativ hoch sind. Ein populärer Artikel des ­Satireportals Der Postillon witzelte 2013, die Regierung erwäge eine Erhöhung des Flaschenpfands, um Altersarmut zu lindern. Seitdem geistert diese ­Geschichte als Gerücht durch die sozialen Medien.

Um es Pfandsammlern zu ersparen, im Müll wühlen zu müssen, hat der Kölner Produktdesigner Paul Ketz 2012 den Pfandring erfunden. Dabei handelt es sich um eine Konstruktion, die an einem Mülleimer aufgehängt wird und mehrere Abstellbehälter für Pfandflaschen bietet. Wer sein Pfandgut wegwerfen will, kann es dann einfach in einem solchen Pfandring platzieren, so dass jemand anderes es mitnehmen kann, ohne dafür in den Abfallbehälter greifen zu müssen. Zahlreiche deutsche Kommunen haben die Pfandringe ausprobiert, viele haben die Projekte schon wieder eingestellt.

Den neuesten Feldversuch mit den Pfandringen unternimmt nun die Stadt Frankfurt am Main. Etwa 12 500 Euro kostet der Test. An 15 Orten in der Stadt wurden die Ringe über Mülltonnen aufgehängt, in jeden passen vier bis sechs Flaschen. Grüne Plakate mit Sprüchen wie »Just for Pfand« oder »Ringelpiez mit Pfandflaschen« machen auf die Aktion aufmerksam. Drei Monate lang werden die Pfandringe einmal pro Woche kontrolliert, um zu erfahren, ob sie genutzt werden. Die Nachbarstadt Offenbach hatte 2017 einen ähnlichen Versuch als geschei­­tert abgeschlossen. Die Pfandringe seien fast gar nicht genutzt worden, bilanzierte die Stadtverwaltung. »Die Pfandsammelnden zeigten sich nach unseren Beobachtungen völlig unbeeindruckt von den Pfandringen«, zitierte die Offenbach-Post den Magistrat damals. »Sie durchsuchen nach wie vor konsequent alle Papierkörbe.« Statt ­Dosen und Flaschen hätten sich in den Ringen Kaffeebecher und anderer Müll gesammelt.

Jetzt also der nächste Anlauf in Frankfurt. Im Schatten der Bankentürme leben schätzungsweise 3 000 Obdachlose nebst Tausenden weiterer Menschen in Armut. Beim Franziskustreff, den Kapuzinermönche in der Innenstadt betreiben, bekommen Bedürftige ein einfaches Frühstück bereits für 50 Cent – dafür reicht das Pfand von zwei Einwegflaschen oder Dosen. Spricht man die Besucher dort auf die Pfandringe an, bekommt man be­geisterte Reaktionen. Viele berichten, Pfand zu sammeln oder mal gesammelt zu haben. Sie erzählen von der Angst, in der Mülltonne in eine Spritze zu greifen, oder vom Gestank der ­Tonnen. Einige erzählen, sie trauten sich nur nachts, nach den Flaschen zu suchen, um nicht komisch angeblickt zu werden.

»Die Stadt denkt an die armen Menschen, das ist super«, sagt Halid* der Jungle World. Der 29jährige lebt seit drei Jahren in Frankfurt und hat in der Coronakrise seine Arbeit verloren. Er kam als Hilfsarbeiter auf dem Bau nach Deutschland. Seit vielen Monaten habe er große Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Seine beiden Ausbildungen, eine aus seinem Geburtsland Serbien, eine aus der Türkei, würden in Deutschland nicht anerkannt. Er sammele regelmäßig Pfand, »nur in Mülltonnen greife ich nicht«. Aber wenn eine Flasche oder eine Dose neben der Tonne stehe, dann nehme er diese gerne mit. Denn wenn da Geld läge, würde er es schließlich auch nehmen. Nur Bierflaschen lasse er ­lieber liegen, »weil die so furchtbar stinken«. Wenn da noch ein Rest Bier in der Flasche sei und man diese in der Tüte verstaue, dann stinke die ganze Tüte nach Bier. Aber wählerisch könne er nicht sein, sagt er. Er brauche 150 Euro, erzählt er, weil er eine Prüfung ablegen möchte, um im Gebäudewachdienst arbeiten zu können. 150 Euro, das sind 600 pfandpflichtige Einwegflaschen oder Dosen – oder eine noch deutlich höhere Anzahl an Mehrwegflaschen. In letzter Zeit waren die Pfandringe in der Gegend stets leer, weder Müll noch Flaschen darin. Es lässt sich allerdings kaum beurteilen, ob die Pfandringe tatsächlich nicht genutzt werden oder ob darin abgestelltes Pfand so schnell wieder abgeräumt wird, dass die Ringe bei Stichproben stets leer sind.

Wie Halid geht es vielen Menschen in Frankfurt. Die Covid-19-Pandemie habe nochmal erheblich mehr Menschen in finanzielle Nöte gebracht, berichtet Kapuzinerbruder Michael Wies, der den Franziskustreff leitet. Außer günstigem Frühstück gibt es hier auch Sozialberatung. Eines der drängendsten Probleme armer Menschen in Frankfurt sei der Mangel an geförderten Wohnungen.

Mit den Pfandringen möchte die Stadt aber auch nicht in erster Linie Armut bekämpfen. Die Grünenpolitikerin Miriam Dahlke hatte sich bereits 2017 für die Pfandringe eingesetzt, »damals wurde noch abgewinkt«. Seit 2018 ist sie Abgeordnete im Hessischen Landtag. Im Gespräch mit der Jungle World betont sie, dass es bei den Pfandringen auch darum gehe, den Ressourcen­verbrauch zu verringern. Wenn Pfand­flaschen und Dosen im Müll landen, dann verlieren nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten ihr Pfandgeld, die Gebinde im unsortierten Restmüll belasten auch in noch höherem Maß die Umwelt – und Müll ist ein echtes Politikum in Frankfurt. Über die Frage, was gegen die Vermüllung von Frankfurts Straßen und Plätzen unternommen werden soll, wäre zuletzt fast die kommunale Koalition aus SPD, CDU und Grünen zerbrochen. »Ich freue mich, dass die Stadt es jetzt doch versucht«, sagt Dahlke. »Wir haben es jetzt in der Hand, dass der Versuch ein Erfolg wird.«

* Name von der Redaktion geändert.