Ägypten und Äthiopien streiten über ein Staudammprojekt am Blauen Nil

Energie für die Renaissance

Ägypten und Äthiopien streiten über einen Staudamm und die Verteilung des Nilwassers. Die einseitige Parteinahme des US-Präsidenten Donald Trump zugunsten Ägyptens dürfte einer Einigung nicht dienlich sein.

Es mag nicht zur Lösung eines Problems beitragen, wenn Donald Trump einen Tweet zum Thema absetzt – öffentliche Aufmerksamkeit aber ist in jedem Fall gewiss. Seit der US-Präsident am 23. Oktober über Twitter warnte, Ägypten könne den Staudamm »in die Luft jagen«, den Äthiopien am Nil baut, wissen auch Menschen außerhalb der Region, dass es einen Konflikt um das Wasser gibt.

Für die Menschen in den betroffenen Ländern ist das nichts Neues: 2011 hat Äthiopien den Bau eines Staudamms am Blauen Nil angekündigt, seither wird darüber heftig debattiert. Der Blaue Nil fließt im Sudan mit dem Weißen Nil zusammen, aus dem Hochland von Äthiopien kommend versorgt er die Länder Sudan und Ägypten mit Wasser. Der gewaltige Staudamm, so die Befürchtungen insbesondere in Ägypten, könne dazu führen, dass stromabwärts nicht mehr genug Wasser ankomme. Immer wieder wird vor Dürre und Hunger gewarnt, auch die Möglichkeit eines Kriegs um das Wasser wurde immer wieder beschworen.

Das neue Selbstbewusstsein, mit dem Äthiopien auftritt, ist für Ägypten, traditionell die Regional­macht am Nil, eine Herausforderung.

Außer um die Verteilung des Nilwassers geht es in dem Konflikt aber auch um die Verteidigung angestammter Rechte und sich verändernde Machtverhältnisse in der Region. Der Staudamm ist nicht der erste, der den Nil reguliert. Über 30 Dämme gibt es an dem Fluss, die ersten wurden bereits im 19. Jahrhundert gebaut. Der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) soll jedoch größer werden als jeder andere. Es entstünde einer der größten Stauseen des Kontinents mit einem Fassungsvermögen von 74 Kubikkilometern. Das Wasserkraftwerk wäre mit einer Leistung 6 000 Megawatt das größte Afrikas – Energie, die, so das Argument der äthiopischen Regierung, das aufstrebende Land für seine Entwicklung braucht.

In Äthiopien gab es noch in den siebziger und achtziger Jahren schwere Hungersnöte, doch seit 2004 verzeichnete das Land ein rasantes Wirtschaftswachstum zwischen knapp sieben und mehr als zehn Prozent jährlich. Dennoch hat ein großer Teil der Bevölkerung weiterhin keinen Anschluss ans Stromnetz. Der Damm soll auch den wirtschaftlichen Aufstieg Äthiopiens symbolisieren, die äthiopische »Renaissance«, mit der das Land an frühe Blütezeiten in der Antike anknüpfen will.

Der Bau begann 2011 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Meles Zenawi, derzeit treibt ihn dessen Nachfolger Abiy Ahmed voran. Dieser gilt als Reformer, im Ausland wurde er sehr gelobt. Doch innenpolitisch steht er unter Druck. Um die Opposition in Schach zu halten, muss er zeigen, dass er fähig ist, das Großprojekt zu Ende zu bringen. Denn der Damm ist längst ein nationales Symbol, bekannte Sänger schrieben Songs, die das Bauwerk schon vor dessen Fertigstellung – die für 2022 vorgesehen ist – preisen.

Das neue Selbstbewusstsein, mit dem Äthiopien auftritt, ist für Ägypten, tra­ditionell die Regionalmacht am Nil, eine Herausforderung. Ägypten pocht auf historische Abkommen, denen zufolge dem Land ein Vetorecht bei allen Projekten zustehe, die den Wasserstand des Nil verändern. Äthiopien hingegen erklärt, es fühle sich an diese Abkommen nicht gebunden, an deren Aushandlung in der Kolonialzeit es nicht beteiligt war. Ägypten hat mit dem 1970 fertiggestellten Assuan-Staudamm selbst ein gewaltiges Sperrwerk am Nil errichtet, das einen künstlichen See füllte – und fürchtet, der GERD könne dazu führen, dass für dessen Betrieb nicht mehr genug Wasser übrig bleibt oder Äthiopien in Dürrejahren zu viel Wasser für die Stromerzeugung zurückhalten könnte. Einige Experten warnten auch vor der Gefahr von Dammbrüchen. Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler prognostizieren bei steigenden Temperaturen Dürren und Wassermangel in der Region, aber auch wachsende Niederschläge im Hochland von Äthiopien, was die Menge des Nilwassers erhöhen würde.

Der Sudan, zwischen Äthiopien und Ägypten liegend, hat lange geschwankt: Einerseits möchte man es sich mit dem großen Nachbarn Ägypten nicht verscherzen, zu dem historisch enge Verbindungen bestehen. Andererseits hofft man, durch den GERD Zugang zu preisgünstigem Strom zu erhalten – und dass der neue Staudamm einen Teil des Schlamms abhält, der regelmäßig die sudanesischen Staudämme verstopft. Die neue Regierung, die seit dem Sturz des langjährigen Diktators Omar al-Bashir 2019 im Amt ist, hat jüngst jedoch wieder eine kritischere Position zum Staudammprojekt ein­genommen.

2014 kam ein internationales Expertengremium des Massachusetts Institute of Technology zu dem Schluss, dass es nicht möglich sei, zwei Megastaudämme am selben Flusslauf zu betreiben, ohne diese auch gemeinsam zu managen. Doch die Verständigung, die dazu nötig wäre, lässt seit zehn Jahren auf sich warten. Zwar kam es immer wieder am Rande von Gipfeltreffen zu Gesprächen, auch wurden zahlreich unverbindliche Absichtserklärungen und Positionspapiere verfasst. Doch eine Einigung blieb aus. Ägypten, so vermuteten viele Beobachter, hoffe insgeheim darauf, dass Äthiopien das Projekt nicht werde finanzieren können. Tatsächlich erhielt Äthiopien zunächst kein Geld aus dem Ausland und wandte sich stattdessen an die eigene Bevölkerung. Die Regierung gab spezielle Anleihen zur Finanzierung des Damms aus, Angestellte im öffentlichen Sektor waren verpflichtet, ein Monatsgehalt in diese zu investieren. Zudem stieg China, zu dem Äthiopien seit den siebziger Jahren enge Beziehungen unterhält, in die Finanzierung ein; Äthiopien ist ein wichtiger Teil der chinesischen Belt and Road Initiative.

Als Äthiopien ankündigte, 2020 damit zu beginnen, den Stausee zu füllen, wandte sich der ägyptische Präsident Abd al-Fattah al-Sisi an US-Präsident Trump, der ihm schon bei früheren Gelegenheiten ausgeholfen hatte. Unter Vermittlung der USA kam es Ende 2019 zu Gesprächen. Der Stausee sollte, so das Ergebnis, über mehrere Jahre in Etappen gefüllt werden, jeweils nur in der Regenzeit von Juli bis August. Doch Äthiopien weigerte sich schließlich, die Vereinbarung zu unterzeichnen – die USA stünden einseitig auf Seiten Ägyptens, so die Begründung.

Als Äthiopien im Juli mit dem Füllen des Stausees begann, rief Ägypten den UN-Sicherheitsrat an. Den Stausee ohne Vereinbarung über die Verteilung der Wassermenge zu füllen, bedeute eine Gefahr für Ägypten und gefährde so »den internationalen Frieden und die Sicherheit«. Der Sicherheitsrat rea­gierte zögerlich, viele Mitgliedsstaaten hatten kein Interesse, sich in den Streit einzumischen. Doch das ­politische Manöver Ägyptens verhärtete die Fronten, ebenso wie die Ankündigung Trumps, Hilfsgelder für Äthiopien zu streichen, wenn dieses sich nicht auf ein Abkommen einlasse.

Dieser Druck dürfte kaum helfen, eine Einigung zu erzielen. Trump an seiner Seite zu haben, ist nicht unbedingt ein Vorteil, wenn es darum geht, unter den aufstrebenden Staaten Afrikas Verbündete zu finden. Viele der Staaten der Region sind sich mit Äthiopien einig, dass das Nilwasser nicht auf Grundlage von Verträgen mit Wurzeln in der Kolonialzeit zugeteilt werden kann und deshalb seriöse Verhandlungen sowie ein kooperatives Management nötig sind. Dazu wird es aber wohl erst kommen, wenn alle Beteiligten bereit für Kompromisse sind.