Interview mit Katharina Rauschenberger zu Fritz Bauer

»Die Selbstkritik des Einzelnen«

Interview Von Holger Pauler

Die Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen war für die Achtundsechziger wie für Fritz Bauer ein zentrales politisches Anliegen. Die Historikerin Katharina Rauschenberg erklärt, was die Studentenbewegung und den Juristen einte und was sie trennte.

Fritz Bauer war als Generalstaatsanwalt ein führender Vertreter der bundesrepublikanischen Justiz. Die Studentenbewegung wollte Institutionen reformieren oder auch die »Apparate« abschaffen. Wie war das ­Verhälnis Bauers zu den Studierenden?

Fritz Bauer ist mit dem Gefühl nach Deutschland gekommen, die junge Generation für die Demokratie gewinnen zu wollen. Das verbindet ihn mit Remigranten wie Horkheimer, Adorno oder Ernst Fraenkel. Zugleich musste er erkennen, dass die Studierenden schnellere, radikalere Veränderungen wollten. Während es den Remigranten vor allem darum ging, die Vergangenheit aufzuarbeiten und demokratische Strukturen zu schaffen, die verhindern, dass sich Auschwitz wiederholt, wollten die Studierenden etwa die Ordinarienuniversitäten abschaffen. Das hätte Bauer vermutlich sogar unterstützt, das hieß aber nicht, dass er wollte, dass Veranstaltungen gesprengt und somit auch kritische Auseinandersetzungen verhindert wurden. Aber diese Form der direkten Gewalt innerhalb der Institution, die Bauer vertrat, hat er nicht erlebt. Sie hätte ihn, ähnlich Adorno und Fraenkel, vermutlich auch befremdet. Aber darüber kann man nur spekulieren.

»Bauer wollte das Rechtssystem erhalten, es jedoch von Grund auf reformieren. Wichtig war ihm aber vor allem, dass sich jeder Einzelne selbstkritisch verhielt und sich von autoritären Haltungen frei machte.«

Die Studierenden waren für bestimmte Themen empfänglich, wie etwa die Verfolgung der NS-Täter oder die Reform des Sexualstrafrechts, dennoch war die Herangehensweise eine andere, was sich auch in den ­Begrifflichkeiten ausdrückte, die sie benutzten. Bauer wollte das Rechtssystem erhalten, es jedoch von Grund auf reformieren. Wichtig war ihm aber vor allem die Selbstkritik des Einzelnen, der sich von autoritären Haltungen frei machte. Die Achtundsechziger bekämpften nicht das Autoritäre, sondern die Autoritäten. Sie erkannten die Institutionen nicht an und sprachen von der Überwindung »des Systems«.

Haben sich die Brüche auch auf anderen Ebenen manifestiert?

Ich würde nicht von Brüchen sprechen. Bauer hat immer den Kontakt mit jungen Leuten gesucht. Es gibt keine öffentlichen Äußerungen, in denen er die jungen Leute kritisierte. Bauer hat sich zum Beispiel nicht ­explizit zu der Gewalt geäußert, die auf den Straßen stattfand. Es gibt eine private Äußerung von einer Nachbarin, die zwei Tage vor Bauers Tod noch mit ihm auf dem Balkon gesessen hat. Bei dieser Gelegenheit habe er gesagt: Das sei nicht die ­Jugend, auf die er noch vor einigen Jahren gezählt habe. Bauer musste in seiner Funktion als Generalstaatsanwalt auch gegen Demonstranten ermitteln lassen, die an Gewaltausschreitungen beteiligt gewesen waren. Er äußerte jedoch, dass ihm die Staatsanwälte, die die Prozesse gegen die Studierenden führten, an anderer Stelle fehlten, etwa bei den Prozessen gegen die NS-Täter.

Nach dem Mord an Benno Ohne­sorg kritisierte er die Vorgehensweise der Polizei scharf. In einer posthum veröffentlichten Replik auf den Juristen Winfried Haug, der den Einsatz von Schusswaffen seitens der Polizei aus rechtsphilosophischer Sicht gerechtfertigt hatte, fragte Bauer: »Billigt Haug die Erschießung von wirklich oder vermeintlich demonstrierenden Studenten wie Benno Ohnesorg, von wirklichen oder vermeintlichen Dieben, von flüchtenden Gefangenen?« Er beobachte die Gewalt des Staates gegen seine Bürger mit großer Sorge.

In der Justiz war die personelle Kontinuität aus der NS-Zeit besonders offensichtlich. In den Protesten spielte sie dennoch eine untergeordnete Rolle.

Jürgen Habermas hat rückblickend geschrieben, dass die vollständige ­»Intransparenz einer Umgebung, über deren wahre Vergangenheit – und anhaltende Vernetzung in stabile Seilschaften« erst nach Achtundsechzig »tröpfchenweise aufgeklärt« worden sei, obwohl dieser offensichtliche ­Befund seiner Generation seit den fünfziger und sechziger Jahren »auf den Nägeln brannte«. Themen wie Notstand, Vietnam oder die Kritik an der Konsum- und Klassengesellschaft haben die Kritik an der Justiz überschattet. Bauer hat sehr wohl wahrgenommen, dass er nur Stückwerk betreiben konnte – auch wegen der Kontinuitäten in der Justiz. Er sprach 1965 davon, dass die BRD es verpasst habe, die »gesamte alte Bürokratie« abzuschaffen und stattdessen auf neue, unbelastete Leute zu bauen, wie es in der DDR der Fall ­gewesen sei. Nachdem ein revolutionärer Neuanfang nach 1945 jedoch verpasst worden war, war Bauer der Überzeugung, dass weitere gesellschaftliche, rechtliche, politische Reformen die Demokratisierung fortsetzen müssten. Ich kann jedoch nur vermuten, dass Bauer das Misstrauen gegen die Justiz zwar verstand, sich aber trotzdem keinen Druck durch Demonstrationen etwa auf die Justiz wünschte, der ja im Übrigen von den Studierenden auch nicht ausgeübt wurde. Es ging auch darum, das Vertrauen in eine unabhängige Justiz wiederherzustellen.

Auch die SPD, deren Mitglied Bauer war, wurde von vielen Achtundsechzigern als Gegner betrachtet. Politisch war dies eine Folge des Godesberger Programms, organisatorisch des Unvereinbarkeitsbeschlusses der SPD, die alle Mitglieder des SDS ausschloss. In den sechziger Jahren waren es die Mitglieder des SDS, die die Kontinuitäten in großen Teilen der Gesellschaft und eben auch in der Justiz aufdeckten. Es gab Ende der Fünfziger die Ausstellung »Ungesühnte Nazijustiz«. Verschiedene Universitäten verboten die Präsentation des Materials in ihren Räumen. Die SPD distanzierte sich von der Aktion des SDS, der Organisator Reinhard Strecker und seine Kollegen wurden aus der Partei geworfen, auch weil sie Material aus der DDR gezeigt ­hatten.

Bauer hatte die Dokumente, die Strecker verwandte, selbst noch für authentisch erklärt und stand hinter der Ausstellung. Als SPD-Mitglied hat er sich jedoch öffentlich aus den Diskussionen herausgehalten. 1960 erschien von ihm in der SPD-nahen Zeitschrift Neue Gesellschaft ein Artikel, der den Titel »Die ›ungesühnte Nazijustiz‹« trug. Darin erwähnt er die Ausstellung mit keinem Wort, sondern wirft den deutschen Juristen vor, die Rechtsprechung im »Dritten Reich« nicht als Unrecht zu qualifizieren. An diesem Artikel sieht man aber auch, dass Bauer nicht an scharfen Urteilen für die betroffenen Juristen interessiert war, sondern die Auffassung vertrat, dass man nur über die Erziehung »den Kampf zwischen Freiheit und totaler Herrschaft, zwischen Humanität und Inhumanität« gewinnen könne. Trotz seiner unermüdlichen Initiativen zur Strafverfolgung von NS-Tätern, auch von NS-Richtern blieb er ein Gemäßigter, der einen Lernprozess in jedem Einzelnen anregen wollte. So blieb er für die SPD ein verlässlicher Kandidat. Den Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD gegen denmSDS hat er nach meiner Einschätzung sicher nicht gut ­gefunden. Kritik sollte man nicht abwürgen, sondern sich mit ihr auseinandersetzen.

Die Achtundsechziger nehmen für sich in Anspruch, die Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Regimes begonnen zu haben. Andererseits werden der Eichmann-Prozess oder der Frankfurter Auschwitz-Prozesse, die ohne Bauer aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich gewesen wären, kaum rezipiert.

Den Auschwitzprozess, der von 1963 bis 1965 in Frankfurt stattfand, haben die Achtundsechziger auch rückblickend nur am Rande wahrgenommen. Benjamin Korn, der ein guter Freund von Hans-Jürgen Krahl und Ronny Loewy war, sagt, dass die Prozesse damals wenig Einfluss auf ihre Aktionen im SDS gehabt hätten, da etwa die Proteste gegen die Notstandsgesetze im Vordergrund standen. Auch die Prozesse, die 1967/1968 stattfanden, wie etwa die »Eutha­nasie«-Verfahren oder die Verfahren gegen die Eichmann-Mitarbeiter Hermann Krumey und Otto Hunsche, standen im Schatten der direkten Aktionen auf den Straßen oder an den Universitäten. Im persönlichen Rahmen aber, in den eigenen Familien, haben viele sogenannte Achtundsechziger ihre Eltern mit ihrer Haltung zum Nationalsozialismus konfrontiert und etliche auch die Beziehungen zu ihnen abgebrochen.

Eines der zentralen Kapitel in der »Dialektik der Aufklärung« von Adorno und Horkheimer heißt »Elemente des Antisemitismus«. In den Dokumentationen zu Achtundsechzig spielt die Thematik im Rahmen der Faschismus­theorien nur eine untergeordnete Rolle. Detlev Claussen, der 1968 ebenfalls im Frankfurter SDS aktiv war, hat erst 20 Jahre später in seiner Studie »Grenzen der Aufklärung« die Überlegungen ­Adornos und Horkheimer wieder aufgegriffen.

Bauer hat keine Theoriediskussionen geführt. Er hat sich in seinen Schriften mit der Entstehung und dem Wesen des Antisemitismus kaum beschäftigt, wie das die Theoretiker der Frankfurter Schule getan haben. Er versuchte aber, etwa in einer zentralen Schrift den »Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns« auf den Grund zu gehen. Dafür geht er weit zurück bis zu den Anfängen des Rechts und schließt aus seinen Beobachtungen auf die besondere deutsche Affinität zum Obrigkeitsstaat. Er hält das aber für gesellschaftlich vermitteltes Verhalten, gegen das man bewusst angehen kann. Aber er war auch skeptisch, inwiefern eine »Selbstreinigung« durch Aufklärung und Wissen gelingen kann, wie das von Adorno und Horkheimer formuliert worden ist. Es gibt da resignative Äußerungen von ihm: dass diese Prozesse alle zu nichts führen.

Das ist aber nicht im Rahmen einer Theoriedebatte geschehen, sondern erinnert eher an die Resignation, die zum Beispiel auch Ignatz Bubis am Ende seines Lebens ausdrückte.

David Bebnowski hat sich in dem Kapitel »Vom Antisemitismus zur marxistischen Katastrophenabwehr« mit der Herangehensweise in studentischen Seminaren befasst und damit den Kontrast zum Denken Bauers deutlich gemacht. Vor allem die Gruppe, die sich um die Zeitschrift Das Argument formierte, und die neu gegründete »Internationale Liga für Menschenrechte, West-Berlin« (ILMR) leisteten Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre entscheidende Vorarbeiten zur Antisemitismusforschung. Die Ausstellung »Ungesühnte Nazijustiz« spielte dabei auch eine wichtige Rolle. Im Wintersemester 1960/1961 veranstaltete Margherita von Brentano an der neugegründeten FU Berlin ein Seminar mit dem Titel »Antisemitismus und Gesellschaft«, das auf das Engagement von Argument und ILMR aufbauen konnte. Ein Anlass war unter anderem die Welle von Hakenkreuzschmierereien an Synagogen, die damals die Bundesrepublik erfasst hatte. Bauer spielte in diesen Debatten keine Rolle.

In Adornos 2018 erschienenem Text »Aspekte des neuen Rechtsradikalismus«, der auf einem Vortrag aus dem Jahr 1967 basiert, geht es unter anderem um den Aufstieg der NPD. Die Studentenbewegung versuchte damals, Parteitage zu verhindern, und mobilisierte zu Kundgebungen. Fritz Bauer hat sich mit dem Wiedererstarken nationalsozialistischer Tendenzen ebenfalls auseinandergesetzt – unter anderem auf einer Podiumsdiskussion an der Universität Hamburg, wo er auf den damaligen Vorsitzenden der Nationaldemokraten, Adolf von Thadden, traf.

Bauer hat das Fortbestehen des Rechtsradikalismus und das Erstarken der NPD schon sehr früh mit großer Sorge beobachtet. Der sichtbare Rechtsradikalismus hat ihn sehr erschüttert. Ich habe gerade erst einen Artikel aus dem Jahr 1957 in die Hand bekommen, in dem er sich für einen Paragraphen gegen Volksverhetzung ausgesprochen hat. Anlass war der Prozess gegen einen Lehrer aus Offenburg, Ludwig Zind, der nicht nur Auschwitz geleugnet hatte, sondern sich auch öffentlich damit brüstete, mehrere Hundert ­Juden erschossen zu haben. Bauer hat mit Blick auf Zind gesagt, dass das Problem des Rechtsradikalismus und Antisemitismus nach 1945 nicht plötzlich verschwunden sei, sondern sich immer noch mitten in der Gesellschaft befinde. Für ihn oder auch für Adorno war diese Kontinuität ein unerträglicher Zustand.

Schon 1952 beim Prozess gegen den ehemaligen Major Ernst Otto Remer war Bauer direkt damit konfrontiert, dass der Nationalsozialismus nach 1945 nicht verschwunden war. Remer hat 1950 die später verbotene, neonazistische Sozialistische Reichspartei mit gegründet und in der Öffentlichkeit die Männer des 20. Juli 1944 als »Landesverräter« bezeichnet. Eine Mehrheit der Deutschen sah dies ähnlich.

Der Protest gegen die Notstandgesetzgebung hatte eine breitere ­Basis. Während viele Achtundsechziger den autoritären Staat als ­logische Folge der Klassengesellschaft im Kapitalismus sahen, protestierte die älteren Generation vor allem gegen den drohenden Abbau der Demokratie. Bauer hat bereits 1963 in einem Vorwort, das er für den Band »Gefahr im Verzuge. Zur Problematik der ­Notstandsgesetzgebung« des Juristen Jürgen Seifert verfasste, früh auf die Gefahren der Notstandsgesetzgebung hingewiesen. Er zeigt sich als radikaler Verteidiger des Rechtsstaats, obwohl er weiß, dass dieser ständig unter Druck auch von innen steht.

Es ist das einzige Statement zu den Notstandsgesetzen, das von Bauer überliefert ist. Das Vorwort enthält eine doppelte Botschaft an die Leser: Bauer war einerseits davon überzeugt, dass es die Notstandsgesetze nicht brauche, da die demokratischen Institutionen genügend Instrumente besäßen, die Verfassung gegen ihre Gegner zu schützen. Er vertraute, trotz der Erkenntnis, dass ­viele alte Nazis in Judikative, Legislative und Exekutive tätig waren, voll und ganz auf den Rechtsstaat. Andererseits befürchtete er staatliche Übergriffe, die das Gesetz ermöglichen würde, und hatte Sympathien für die Kritik an den Notstandsgesetzen.

Seifert hat später einmal gesagt, dass Bauer ihm durch sein Vorwort erst die Publikation des Buchs ermöglicht habe. Seifert war als Mitglied des SDS aus der SPD ausgeschlossen worden und für ihn war es schwierig geworden, einen Verlag zu finden.

Bauer hat sich auch mit den Untersuchungen des »Instituts für Sozialforschung« befasst, wie etwa die »Studien über Autorität und Familie« von Max Horkheimer, Erich Fromm und Herbert Marcuse aus dem Jahr 1936. Inwieweit hat dies sein Denken und Handeln beeinflusst?

Der Einfluss der genannten Studien spielte durchaus eine Rolle. Er war der Auffassung, dass der Mensch nicht fähig sei, aus freiem Willen zu handeln. Er sah in ihm ein Wesen, das durch seine familiären, gesellschaftlichen, ökonomischen Bedingungen, durch seine Umgebung geprägt werde.

»Die Radikalität seines Denkens liegt darin begründet, dass Bauer der Überzeugung war, dass der Nazismus nicht ohne Vorwarnung über die Welt gekommen ist, sondern dass die Strukturen bereits vorhanden waren, die eine gewisse Mentalität bei vielen Deutschen erzeugt haben.«

Anknüpfungspunkte zum Marxismus, zur Psychoanalyse oder Kritischen Theorie sind hier durchaus zu erkennen und sie sind auch wichtig für sein Handeln, das der Aufklärung und Emanzipation verpflichtet war. Theoretische Abhandlungen dazu findet man bei ihm allerdings nicht. Die Radikalität seines Denkens liegt darin begründet, dass er der Überzeugung war, dass der Nazismus nicht ohne Vorwarnung über die Welt gekommen ist, sondern dass die Strukturen bereits vorhanden waren, die eine gewisse Mentalität bei vielen Deutschen erzeugt haben. Er war der Meinung, dass die Voraussetzung für eine wirklich demokratische Gesellschaft sei, diese Mentalität zu bekämpfen.

Diese Haltung unterschied sich von den »Achtundsechzigern«, die zwar auch den Nazismus bekämpfen wollten, aber vor allem den strukturellen und nicht den persönlichen Nazismus. Das zeigt vor allem eine unterschiedliche Auffassung von Radikalität, was man unter anderem in der Diskussionsveranstaltung im »Kellerklub«, die im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt wurden, gut erkennt.

Bauers Engagement wirkte sich vor allem langfristig aus, wenn man etwa auf die Debatten zur Verjährung der NS-Verbrechen oder auf die Justizreformen schaut. Ähnliches gilt für das Sexualstrafrecht beziehungsweise den Paragraphen 175. Wären diese ­Debatten und Veränderungen auch ohne die Kampagnen möglich ­gewesen?

Der Druck der Straße spielte dabei eine eher untergeordnete Rolle. Homosexualität war in der Studentenbewegung nur ein Randthema, es ging um die sexuelle Befreiung im Allgemeinen und später um die weibliche Emanzipation. Bauer selbst hätte gerne für die SPD an der Kommission zur Entwicklung eines neuen Strafrechts mitgewirkt. Seine Partei hat ihn nicht dazu delegiert. Er konnte nur durch Publikationen in Zeitungen und Magazinen oder Rundfunkbeiträge wirken. 1962 hat er den ersten Entwurf zur Erneuerung des Strafrechts heftig kritisiert und sah darin die Fortsetzung des Vergeltungsstrafrechts. Vor allem im Sexualstrafrecht spielten christlich-konserva­tive Sittlichkeitsvorstellungen eine wichtige Rolle. Homosexualität war in dem Gesetzentwurf weiterhin kriminalisiert. Bauer hat sich für ein grundsätzliches Neudenken des Strafrechts stark gemacht, weg vom Vergeltungs- hin zum Maßnahmerecht. Solche Überlegungen setzten sich erst nach seinem Tod in den Reformentwürfen durch.


Katharina Rauschenberger und Sybille Steinbacher (Hg.): Fritz Bauer und »Achtundsechzig«. Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft. Wallstein-Verlag, Berlin 2020, 278 Seiten, 34 Euro