Im Koalitionsstreit in Sachsen-­Anhalt ging es um mehr als den Rundfunkbeitrag

Für eine Handvoll Cent

Der Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt über die Erhöhung des Rund­funkbeitrags war mehr als eine Landesposse. Es geht um das künftige Verhältnis der CDU zur AfD.

Koalitionskrisen haben oft banale Anlässe, die Ursachen aber liegen meist tiefer. In Sachsen-Anhalt ging es jüngst um 86 Cent, die zu einem erbitterten Streit der drei Regierungsparteien führten. Um diese Summe nämlich sollte der monatliche Rundfunkbeitrag laut des neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrags erhöht werden. Die Mehrheit der gemeinsam mit SPD und Grünen regierenden CDU-Fraktion aber hatte ihre Bereitschaft signalisiert, gemeinsam mit der AfD gegen die Erhöhung zu stimmen – mit einer Partei also, die den Rundfunkbeitrag grundsätzlich ablehnt und die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten privatisieren will, die ihre Anhänger gemeinhin als »Staatsfunk« oder »Lügenpresse« bezeichnen.

Derlei einschneidende Maßnahmen fordert die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt zwar nicht, aber die 44 Prozent der Landesbürger, die einer ARD-Umfrage zufolge eine Beitragserhöhung ablehnen, will sie offenbar nicht der AfD überlassen, die als zweitstärkste Partei mit 21 Abgeordneten, neun weniger als die CDU, im Landtag vertreten ist. In einem halben Jahr steht schließlich die nächste Wahl an. Vorübergehend schien es sogar möglich, dass die CDU wegen dieser 86 Cent die bestehende Koalition zerbrechen lässt, die ohnehin allein darauf fußt, dass sie die rech­nerisch einzige darstellt, die auch politisch möglich ist. War also alles nur eine wahltaktische Provinzposse? So egal wie ein umfallender Beutel Kloß­teig im benachbarten Thüringen? Ja und nein.

Die AfD-affinen Kräfte in der CDU in Sachsen-Anhalt sind aus der Auseinandersetzung um den Rund­funkbeitrag gestärkt hervorgegangen.

Als im Februar die dortige CDU-Fraktion im Landtag gemeinsam mit Björn Höckes AfD und der FDP den Überraschungskandidaten der FDP, Thomas Kemmerich, zum Ministerpräsidenten wählte – was Kemmerich allerdings nicht lange blieb –, war das bundespolitisch alles andere als egal. Nicht nur der Thüringer Landes- und Frak­tionsvorsitzende der CDU, Mike Mohring, trat am Ende von seinen Ämtern zurück, auch die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte ihren Rücktritt an, und der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Christian Hirte, bat »auf Anregung der Bundeskanzlerin« (Hirte) um seine Entlassung, weil er in einer Twitter-Nachricht Kemmerich zu seiner Wahl gratuliert und die AfD zur »politischen Mitte« gezählt hatte. In verschiedenen Medien war von einer »Selbstzerstörung der CDU« die Rede, auch weil Einlassungen von CDU-Abgeordneten aus benachbarten Bundesländern, insbesondere aus Sachsen-Anhalt, sowie aus der parteinahen »Werteunion«, einem rechtskonservativen Sammelbecken, daran zweifeln ließen, ob sich die Leidenschaft für eine Zusammenarbeit mit der AfD in den ostdeutschen Landesverbänden mit einigen Rücktritten wirklich dämpfen ließe.

Zehn Monate später sind zwar einige einst führende Mitglieder aus der Werteunion ausgetreten, angeblich weil sie das Kungeln mit der AfD nicht mehr mittragen wollten. Aber mit dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, hat der Verein im Juli zugleich eine neue stramm rechte und öffentlich bekannte Figur hinzugewonnen. Hirte ist seit September Parteivorsitzender in Thüringen. Und als potentieller Nachfolger für die noch amtierende Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer liegt mit Friedrich Merz ein Kandidat gut im Rennen, dem zumindest eine regionale Zusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD etwa in Form von Duldungsmodellen zuzutrauen ist. Geht es um gemeinsame Abstimmungen in Sachfragen, sieht er jedenfalls keine Probleme, wie er Anfang Dezember anlässlich der Lage in Sachsen-Anhalt verkündete: »Im Übrigen ist es vollkommen unwichtig, welche Meinung die AfD dazu hat.«

Die Chancen auf einen weiteren Anlauf zur Selbstzerstörung der CDU, diesmal in Magdeburg, standen also gut. Denn weil einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags alle 16 Bundesländer zustimmen müssen, hätte sich eine Wei­gerung Sachsen-Anhalts auch bundespolitisch ausgewirkt. Deshalb ging es bei der ganzen Debatte von Anfang an nicht allein um landespolitische Erwägungen oder gar die konkrete Sachfrage.

Tatsächlich ging es um eine Machtprobe zwischen jenem Flügel der CDU-Fraktion, der eine Annäherung an die AfD befürwortet, und dem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff. Das verdeutlichte der CDU-Landesvorsitzende und Innenminister Holger Stahlknecht, als er noch während Haseloffs Verhandlungen mit den Koalitionspartnern in einem Interview mit der Magdeburger Volksstimme eine Minderheitsregierung ins Spiel brachte. Stahlknecht zählte bislang nicht zum harten Kern derer, die eine Zusammenarbeit mit der AfD als Möglichkeit sehen. Nachdem die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Lars-Jörn Zimmer und ­Ulrich Thomas 2019 eine entsprechende »Denkschrift« veröffentlicht hatten, in der sie auch dazu aufriefen, »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen«, hatte sich Stahlknecht deutlich distanziert.

Nun aber entließ Ministerpräsident Haseloff Stahlknecht als Innenminister und sagte die geplante Abstimmung über die Rundfunkbeiträge einfach ab, um so seine Koalition zu retten. Stahlknecht trat daraufhin auch vom Landesvorsitz zurück, und über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags wird das Verfassungsgericht entscheiden müssen. Wie es mit der CDU in Sachsen-­Anhalt weitergeht, wird sich im Sommer erweisen. Haseloff will zwar abermals als Spitzenkandidat antreten, aber die AfD-affinen Kräfte in Partei und Frak­tion sind aus der Auseinandersetzung gestärkt hervorgegangen.

Als neuer Landesvorsitzender wird der derzeitige Generalsekretär Sven Schulze gehandelt, der in der Vergangenheit unter anderem von sich reden machte, als er forderte, dem Verein »Miteinander« die Gelder zu entziehen – einem »Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit«, das zahlreiche Projekte gegen den Rechtsextremismus im Land unterstützt. Von der AfD gab es dafür lauten Beifall. Ob sich allerdings die beiden Parteien nach der Wahl tatsächlich annähern, darüber wird wohl auch der neue Bundesvorsitzende mitentscheiden. In Sachsen-Anhalt wünschen sich wohl auch deswegen viele CDU-Abgeordnete Friedrich Merz.