Ein Gespräch mit Albrecht Lüter über das »Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt«

»Von Gewalt überschattet«

Small Talk Von Laura Reti

Homo- und transfeindliche Delikte werden in Berlin besser dokumentiert als im übrigen Bundesgebiet. Das »Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt« hat diese Daten erstmals differenziert ausgewertet, in der kürzlich erschienenen ersten Ausgabe des Berichts liegt der Schwerpunkt auf lesbenfeindlicher Gewalt. Albrecht Lüter, einer der Autoren des Berichts, hat mit der Jungle World darüber gesprochen.

Gibt es Befunde in dem Bericht, die Ihnen besonders aufgefallen sind?

Die Tatverdächtigen spiegeln in Bezug auf ihre Staatsangehörigkeit die Berliner Gesellschaft. Der Befund ist nicht per se überraschend, aber vor dem Hintergrund bestimmter Diskursstränge, die Homo- und Transfeindlichkeit bestimmten Minderheiten zuschreiben, ist es doch bemerkenswert, dass gerade die Polizeistatistik diese Kulturalisierung in Frage stellt. In der Studie zur Lesbenfeindlichkeit ist zudem auffällig, dass 97 von 188 befragten Frauen von Gewalt berichteten, davon aber nur drei den Weg zur Polizei fanden.

Bleibt Lesbenfeindlichkeit auch deshalb in der Öffentlichkeit verhältnismäßig unbemerkt?

Wir haben es hier mit vorrangig privaten Bewältigungsformen zu tun, die die Öffentlichkeit nicht erreichen. Zum einen ist es so, dass es in der Schwulenszene eine professionellere und längere Auseinandersetzung mit Antigewaltarbeit gibt. Außerdem wird die Polizei als maskuline Organisation wahrgenommen, der man eher mangelnde Sensibilität für die Belange und Gefühlswelt nach einem Angriff auf lesbische und bisexuelle Frauen unterstellt, deshalb wird die Polizei als Institution gemieden. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Intersektion von Lesbenfeindlichkeit und Sexismus; Gewalterfahrungen betreffen dann immer als Frau und als Lesbe. Das führt in einer heterosexistischen Gesellschaft dazu, dass Übergriffe so »normal« sind, dass sie nicht polizeilich angezeigt werden.

In Berlin werden Ihrem Bericht zufolge mehr Fälle von Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder Identität polizeilich angezeigt als im gesamten sonstigen Bundesgebiet. Kommen nicht viele Menschen in die Hauptstadt, um sich genau davor sicher zu fühlen?

Unter anderem darauf wollen wir mit dem Monitoring hinweisen. Es besteht dringender Handlungsbedarf, wenn queeres Leben gerade da, wo es sichtbar ist, von Gewalt überschattet wird. Wir haben es hier mit Botschaftstaten zu tun, die darauf abzielen, zu zeigen, dass Lebensweisen abgelehnt werden. Insgesamt ist es die Ambivalenz des urbanen Raums: Auf der einen Seite ist er Zuflucht für viele, geschützt von urbaner Indifferenz, gleichzeitig bedeutet Sichtbarkeit auch immer Gegenbewegung und Gewalt.

Ein Großteil der Delikte wurde an Wochenenden, im Sommer und am späten Abend verübt, was einen Zusammenhang mit dem Ausgehverhalten und queerer Präsenz im öffentlichen Raum vermuten lässt. Dürften die Zahlen in Zeiten der Pandemie zurückgehen?

Es ist davon auszugehen, dass 2020 statistisch ein Rückgang zu verzeichnen ist, die ersten polizeilichen Daten bestätigen das bereits. Wir haben es nach dem extremen Anstieg der vergangenen Jahre erst einmal mit einer Stagnation zu tun. Das ist nicht überraschend und darf nicht falsch interpretiert werden, immerhin haben Clubs geschlossen und Großveranstaltungen wurden abgesagt. Wichtig ist, zu bedenken, dass diese queeren Orte eine ganz zentrale Rolle spielen, was Sicherheit und Handlungsmacht der Szene angeht. Besorgniserregender als Unregelmäßigkeit in der Statistik ist also die Zukunft dieser Infrastruktur angesichts ihrer Bedeutung für queeres Leben.