Die CDU ist nicht reaktionär genug für Friedrich Merz

Aus der Zeit gefallen

Kommentar Von Pascal Beucker

Friedrich Merz ist mit seiner Kandidatur für den CDU-Vorsitz gescheitert. Das reaktionäre Potential ist in der Partei nicht groß genug.

Seine Anhänger zetern zwar noch ein bisschen, aber trotzdem dürfte es das für Friedrich Merz gewesen sein. Sein Versuch eines großen politischen Comebacks ist gescheitert. Es hat etwas Beruhigendes, dass die Mehrzahl der 1 001 Delegierten des digitalen CDU-Parteitags der Versuchung widerstanden haben, den 65jährigen zum Parteivorsitzenden zu wählen. Dass Merz in der Stichwahl nur recht knapp unterlag, dokumentiert allerdings auch die nicht zu unterschätzende autoritäre Sehnsucht nach einem »starken Mann« in weiten Teilen der Christdemokratie. Vor allem jedoch zeugt es von der im deutschen Bürgertum immer noch vorhandenen Sehnsucht nach jenen Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung schien, also als es noch üblich war, Frauen den Platz am Herd zuzuweisen, Erwerbslose für Faulenzer und Homosexuelle für Perverse zu halten, Menschen mit nichtdeutscher Herkunft herabzuwürdigen und ­Linken mit einem zünftigen »Geht doch nach drüben« über den Mund zu fahren.

Der erzkonservative und marktgläubige Merz war und ist die Projektionsfläche für die Hoffnungen dieser Klientel, doch liegt diese in ihrer Einschätzung des gescheiterten Kandidaten nicht völlig richtig. Denn auch wenn Merz einst wegen Franz Josef Strauß (»Ich will lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder sein«) in die CDU eintrat, ist er kein Reaktionär der siebziger, sondern einer der neunziger Jahre. Der frühere Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiß zumindest im Groben, was sich heutzutage »nicht mehr gehört«. Gleichwohl verschmähte er nicht die aggressiv vorgebrachte Unterstützung der sogenannten Werteunion, also des AfD-nahen Flügels der CDU – was taktisch ein großer Fehler war.

Das gilt auch für Merz’ Umgang mit der »Frauenfrage« in der Union. »Auch diejenigen, die sozial schwach sind, finden ein Herz und Zuwendung. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen Satz zu den Frauen sagen«, fabulierte er in seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag. Auf den Vorwurf, er habe ein Frauenproblem, konterte er, wenn das wirklich so wäre, dann »hätten mir meine Töchter längst die gelbe Karte gezeigt – und meine Frau hätte mich nicht vor 40 Jahren geheiratet«. Das ist selbst in der CDU völlig aus der Zeit gefallen. Ein solcher Fauxpas wäre nicht einmal Helmut Kohl während seiner Zeit als Bundeskanzler unterlaufen. Er hatte bessere Berater.

Für die SPD und insbesondere die Grünen ist es ein Nachteil, dass Merz nach seiner Niederlage 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer auch gegen Armin Laschet verloren hat. Als CDU-Parteivorsitzender und erst recht als Kanzlerkandidat der Union wäre er das ideale Feindbild für ihre Wahlkampagnen gewesen, so wie 1980 die Kandidatur von Strauß dem abgewirtschafteten sozialdemo­kra­tischen Bundeskanzler Helmut Schmidt noch einmal die Wiederwahl sicherte.

Der gravierende Unterschied zu damals: Auch bei einem Kanzlerkandidaten Merz hätten SPD und Grüne eine Koalition mit der Union nicht ausgeschlossen. Seine Person als Feindbild aufzubauen, wäre eine bloße Simulation für Wahlkampfzwecke geworden. Mit dem jovialen CDU-Zentristen Laschet haben es die beiden Parteien schwerer. Das gilt auch für den Fall, dass Laschet dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder bei der Kanzlerkandidatur den Vortritt lassen sollte. Ob er das tun wird, hängt von den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ab – und von der weiteren Entwicklung der Covid-19-Pandemie.