Dem französischen Politologen Olivier Duhamel wird sexueller Missbrauch vor­geworfen

Späte Enthüllung

Porträt Von Bernhard Schmid

<p>Es ist gut möglich, dass sein tiefer Fall Konsequenzen für weitere Träger von Ämtern und sogenannten Würden zeitigt: Olivier Duhamel, 70, Verfassungsjurist und bislang als Koryphäe der Politikwisse</p>

Es ist gut möglich, dass sein tiefer Fall Konsequenzen für weitere Träger von Ämtern und sogenannten Würden zeitigt: Olivier Duhamel, 70, Verfassungsjurist und bislang als Koryphäe der Politikwissenschaft ebenso wie der Politikberatung gehandelt, bis vor einigen Jahren auch in der französischen Sozialdemokratie aktiv, zog sich Anfang des Jahres aus dem öffentlichen Leben zurück. Am 4. Januar kündigte die Zeitung Le Monde an, in einem drei Tage später erscheinenden Buch werde die 45jährige renommierte Anwältin Camille Kouchner ihren Adoptivvater Duhamel des Inzests und des sexuellen Missbrauchs ihres Zwillingsbruders in den späten achtziger Jahren bezichtigen. Kouchner, die Tochter des früheren Gesundheitsministers und Gründers der NGO Ärzte ohne Grenzen, Bernard Kouchner, spricht von ungefähr zwei Jahre dauerndem, regelmäßigem Missbrauch ihres Bruders, seit dieser 13 war.

Der Skandal weitete sich in den darauffolgenden Tagen aus. Duhamel dementierte die Informationen nicht – mittlerweile besagen Berichte, er habe fünf Jahre ­zuvor bereits im familiären Kreis eingeräumt, dass die Vorwürfe stimmen – und trat ohne öffentliche Erklärung von seinen Ämtern an der Pariser Elitehochschule Sciences Po, deren Leitungsgremium Fondation nationale des sciences politiques er vorsaß, zurück und beendete seine Tätigkeit bei den Radio- und Fernsehsendern Europe 1 und LCI.

Der Präsident von Sciences Po, Frédéric Mion, hatte sich am 4. Januar überrascht und bestürzt gegeben, um kurz darauf einzuräumen, die frühere Kulturministerin Aurélie Filippetti, die ebenfalls an der Sciences Po lehrt, habe ihn bereits Ende 2019 informiert. Überprüfungen ergaben jedoch, dass dies bereits im Januar 2018 der Fall war. Mion hatte sich offenbar entschieden, Duhamel zu decken.

Dies tat bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 auch Duhamels Ehefrau und jahrelange Mitwisserin, die Juraprofessorin und Politologin Évelyne Pisier. Deren Schwester, die Schauspielerin Marie-France Pisier, war 2011 tot in einem Swimmingpool gefunden worden. Sie soll, wie sich nun herausstellt, ihre Familie vergeblich zur Anzeige des Missbrauchs aufgefordert haben; die ungeklärten Umstände ihres Todes erregen nun erneut Aufmerksamkeit. Die Staatsanwaltschaft prüft unterdessen, ob die Duhamel vorgeworfenen Missbrauchstaten verjährt sind.