Die französische Serie »In Therapie«

Die Traumadeutung

Die französische Serie »In Therapie« ist eine der zahlreichen Adaptionen der israelischenSerie »BeTipul«. In ihr erzählen verschiedenen Figuren auf der Couch des Pariser Psychoanalytikers Philippe Dayan von ihrem Leben nach dem jihadistischen Terroranschlag auf das Bataclan.

Seit ihren Anfängen begleitet die Psychoanalyse der Verdacht der Manipulation. Der Analytiker, so das weitverbreitete Klischee, kapriziere sich auf Nichtexistentes und flüstere seinen Patienten Dinge ein; das sorge nicht für dessen Heilung, sondern für dauerhafte Destabilisierung. Zugleich war das intime Verhältnis, das zwischen den Beteiligten einer Analyse entsteht, immer auch ein Objekt der Faszination. Weil vielleicht nirgends so zugehört und gesprochen wird wie in einer Therapie, reagiert diese Neugier nicht selten mit der Projektion dessen, was sich der Psychoanalyse zufolge aus dem Sozialen tatsächlich nicht austreiben lässt: Sexualität.

Wenn der lacanianische Analytiker Dayan oder ­seine Patienten Theoriefragmente der Psychoanalyse zum Besten geben, können sich Zuschauer und Zuschauerin als kundige Dritte fühlen.

In den in Film und Literatur häufig inszenierten Figuren vornehmlich männlicher Analytiker, die sich in ihre Patientinnen verlieben, oder der Analysandinnen, die ihren Therapeuten begehren, spiegelt sich einerseits die immer wieder verdrängte Ahnung von der Rolle des Sexus im »Gefädel« (Adorno) zwischen den Menschen, andererseits das Bedürfnis, ein der Therapie äußerliches Motiv zu unterstellen, um die Möglichkeit eines offenen und zugleich geschützten und gerade darum die Schutzlosigkeit erlaubenden Raums des Sprechens und Gehörtwerdens abzuwehren. Die Projektion sexuellen Begehrens heftet sich dabei vor allem an das in der Tat für allerlei Gefühle empfängliche Moment der Übertragung – also die Verschiebung psychischer Prozesse von ihrem ursprünglichen auf ein neues Objekt –, das der Analytiker oder die Analytikerin idealerweise aufnimmt, in Gegenübertragung thematisiert und so für die Therapie nutzt. Von dieser Dynamik kennt die projektive Phantasie allerdings nur ein Zerrbild und vermeint, in der Intimität der analytischen Therapie die Scharlatanerie zu entdecken, für die sie die Psychoanalyse von Anfang an gehalten hat.

Als sollte diese Projektion zugleich aufgenommen und über sich hinausgetrieben werden, rückt die französische Serie »In Therapie« (Originaltitel: »En thérapie«) das von Ambivalenzen und Begehren durchzogene Verhältnis zwischen dem Analytiker Philippe Dayan (Frédéric Pierrot) und der Analysandin Ariane (Mélanie Thierry) und die Konsequenzen für das Leben des Protagonisten in den Mittelpunkt der Handlung. Die Serie der Regisseure Eric Toledano und Olivier Nakache ist bereits die 19. Adaption der israelischen Vorlage von Hagai Levi, »BeTipul«, die zwischen 2005 und 2008 lief. Jede der 25minütigen Folgen handelt von einer Sitzung und spielt bis auf wenige Ausnahmen in der Pariser Wohnung des Analytikers.

Wie andere Adaptionen hält sich auch die französische Produktion streng an das israelische Drehbuch, dessen Dialoge und Szenen teils eins zu eins übernommen wurden. Durch diese Adaptionen im Stil des Franchising entsteht ein eigentümliches Verhältnis zwischen Allgemeinem und Besonderen, in dem sich etwas von der Psychoanalyse selbst wiederholt. So wie die psychischen Strukturen als etwas gedacht werden, das ­allen Menschen zukommt, aber individuell gestaltet wird, nimmt auch die israelische Vorlage die Form einer jeweils gesondert zu füllenden Schablone an. Darin liegt ein gewisser Schematismus, wird doch nahegelegt, dass jede der Figuren, unabhängig von Zeit und Ort, ihre jeweiligen psychischen Konflikte in derselben Weise ausagiert hätte.

»In Therapie« spielt im Jahr 2015, kurz nach den jihadistischen Anschlägen vom 13. November unter anderem auf das Pariser Konzerthaus Bataclan. Die verschiedenen Rollen beruhen, jenseits des spezifisch französischen Kontextes und kleinerer Details, auf der Original­serie. Ariane ist eine Chirurgin, die Opfer des Anschlags behandelt hat und im Zuge ihrer Sitzungen immer expliziter ihr Begehren nach dem Analytiker äußert. Adel (Reda Kateb) ist ein weiterer Patient, ein aus Algerien stammender Elitepolizist, der in der Nacht der Anschläge ins Bataclan eindringen musste. Wie Dayan jüdischer Herkunft, erlaubt auch die Figur Adels etwas von der wechselseitigen Überlagerung verschiedener französischer Erfahrungen im Kontext der Attentate und ihrer Nachwirkungen zu thematisieren. Ein Paar, Damien (Pio Marmaï) und Léonora (Clémence Poésy), das als seine Kernkompetenzen »Vögeln und Streiten« angibt, konsultiert Dayan, um zu entscheiden, ob sie Léonoras Schwangerschaft abbrechen sollen oder nicht. Für die 14jährige Leistungssportlerin Camille wiederum, beeindruckend dargestellt von Céleste Brunnquell, soll der Analytiker aufgrund eines möglicherweise selbstverschuldeten Unfalls ein Gutachten erstellen. Zwischen und teils auch in den Sitzungen gerät Dayans Leben immer weiter in die Krise, weswegen er selbst beginnt, freitags zu seiner ehemaligen Supervisorin Esther (herausragend gespielt von Carole Bouquet) in die Analyse zu gehen.

Es gelingt der Serie mal besser, mal schlechter, die jeweiligen psychischen Konflikte in ihrer Vielschichtigkeit deutlich zu machen. So gut wie alle Charaktere zeigen heftige Widerstände gegen Dayan. Dabei greifen sie häufig auf Topoi zurück, von denen die Macher der Serie anscheinend vermuteten, dass das Publikum sie teile, und die als mitunter mechanisch wirkende und suggestiv angewandte Deutungsmuster wiederkehren. »Wollen Sie wieder über meine Kindheit sprechen?« fragt der Polizist Adel den Analytiker in einer Szene.

Die Sprünge in die Kindheit, zum Verhältnis zu den Eltern und ins Unbewusste erfolgen zuweilen vorschnell und gewollt, verstärkt noch durch die Signalwirkung der minimalistisch eingesetzten, von schwebenden Synthesizern und zarten Klaviertrillern getragenen Musik des französischen Musikproduzenten Yuksek, die den Moment der Erkenntnis hervorhebt, den offenbar jede der Folgen enthalten muss. Wenn dagegen der lacanianische Analytiker Dayan oder seine Patienten Theoriefragmente der Psychoanalyse zum Besten geben, können sich Zuschauer und Zuschauerin als kundige Dritte fühlen. Dadurch entsteht eine eigentümliche Form des Dabeiseins und des Bescheidwissens. Sigmund Freud wusste von der Schwierigkeit zu vermitteln, was in einer Sitzung geschieht. Die psychoanalytische Situation aber, so Freud 1926 in »Die Frage der Laienanalyse«, »verträgt keinen Dritten«, weil sich die irreduzible Besonderheit jeder Analyse eben nur zwischen den beiden Beteiligten entfalten kann.

Am stärksten ist »In Therapie«, wenn dem Analytiker Dayan nicht seine Patienten gegenübersitzen, sondern seine Supervisorin Esther. Sie bildet den strengen, durch eine gleichsam erzwungene Kühle chara­kterisierten Widerpart zur doppel­bödigen Sanftheit Dayans.

Zwar hebt sich die Rolle des Analytikers in ihrer sympathischen Kauzigkeit angenehm von den Vorgänger­adaptionen ab, beispielsweise dem US-amerikanischen Ableger »In Treatment« und seiner durchaus viril angelegten männlichen Hauptrolle. Häufig sitzt Dayan eher zusammengesunken in seinem Sessel, die Hände ineinander gelegt, die Augen weit offen, in einer Mischung aus Schreck und gesteigerter Aufmerksamkeit. Mal trägt er einen sackartigen Rollkragenpullover, mal ein wirklich nur gerade so sitzendes Jackett. Die Praxis, einschließlich der roten Couch, der vielen Bücher (die er, wie er einer Patientin durchaus keck sagt, nicht alle gelesen hat) und des marmornen Kamins, versinnbildlicht die Bildungsbeflissenheit des Pariser Bürgertums.

Die Serie hinterfragt die routinierte Theoriefertigkeit Dayans, seine Rationalisierungen und Schutzmechanismen sowie das nicht selten durchschimmernde Kalkül Esthers, die sich der Instrumentalisierung immer wieder entziehen und schließlich dieselben Abwehrreflexe ertragen muss, mit denen Dayan von seine Patienten konfrontiert wird. Die Bemerkung Dayans gegenüber Esther, er »kenne nur ein Verlangen, nämlich die Therapie zu einem guten Ende zu bringen«, stellt sich in letzter Instanz als Lüge seiner eigenen Unfehlbarkeit heraus. Indem die Serie den als allmächtiger Manipulator imaginierten Analytiker zerlegt, greift sie in die populäre Wahrnehmung der Psychoanalyse ein, der sie zugleich ihre Attraktivität verdankt.

»In Therapie« kann bei Arte gestreamt werden.