Das neue Album der Band Ja, Panik

Gruppe am Abgrund

Nach sieben Jahren haben Ja, Panik ein neues Album veröffentlicht. Auf ihm findet man neben apokalyptischen Tönen die vertraute Gesellschaftskritik der Band, aber auch neue Instrumente.

Es ist ein altes Problem: Wie soll man die herrschenden Verhältnisse kritisieren, wenn doch die Kritik sogleich einverleibt wird, in der Musik beispielsweise als kapitalismuskritischer Indierock? Ja, Panik ist die zur Band gewordene Suche nach der Antwort auf diese Frage. Nach einem aufreibenden Abgesang auf die Verhältnisse (»Dmd Kiu Lidt«, 2011) und einer tanzbaren Emanzipationseloge (»Libertatia«, 2014) kamen die aus Österreich stammenden Wahlberliner zum wohl logischen Schluss: Sie hörten einfach auf, ohne sich offiziell aufzulösen, brachten dafür aber sie 2016 ein Bandmanifest in Form eines Briefwechsels mit dem Titel »Futur II« heraus.

So ungewohnt das Wiederhören mit Ja, Panik beginnt, so befreit wagt sich die Band im Verlauf des Albums an charmante Poppassagen, bei denen die Talking Heads und – dank Saxophon umso mehr – Roxy Music grüßen lassen.

»Wir sind aufgewacht und die Gruppe Ja, Panik hatte uns ausgespuckt und in die Welt geworfen«, schrieb der Sänger und Gitarrist Andreas Spechtl auf den letzten Seiten des Buchs. Seither wurde diese Welt immer trister: einmal Trump und zurück, autoritärer Backlash allenthalben und nicht zuletzt eine veritable Pandemie. Grund genug also, fünf Jahre nach dem »Baba«, das die Band ihren ­Anhängern in Form eines Buchs sagte, und sieben Jahre nach »Libertatia« ein neues Album zu veröffentlichen? Gar zum Thema Corona?

So wohlfeil präsentiert sich das sechste Album von Ja, Panik dann doch nicht. Zwar macht die Platte mit dem Titel »Die Gruppe« durchaus Andeutungen auf Corona- und Klimakollaps, zwar lassen sich viele der von Spechtl, Laura Landergott, Stefan Pabst und Sebastian Janata eingespielten Stücke als Kommentare zur derzeitigen Situation hören; fertig jedoch waren die Songs bereits 2019. Lockdownbedingt produzierte die Band das Album verzögert, aber auch erstmals in Eigenregie. »Die Texte handeln von der Pandemie – aber wovon handelt denn die Pandemie?« sagt Andreas Spechtl dazu im Gespräch mit der Jungle World einen typischen Spechtl-Satz.

»Wenn der Schlaf nicht kommen will/aber die Tage vor dir fliehen«, singt Spechtl in der mit einem wuchtigen Titel ausgestatteten Single »Apocalypse or Revolution« – und trifft damit die nervöse Stimmung der Angestellten im Homeoffice, mehr noch aber die dauerhafte Existenzangst des Prekariats. Wer befürch­tete, die linksliberale Hauptstadtblase voller Theatermusik und sonstiger Nebenprojekte habe Ja, Panik auf- oder leergesaugt, wird eines Besseren belehrt: Wie wohl keine andere deutschsprachige Band – mit der Ausnahme von Tocotronic vielleicht – zeigen sie auf, wie sich die Krise manifestiert, wie sie Alltag und Körper durchdringt und prägt.

»Die müden Tage  ie zum Aus-der-Haut-Fahren«, beschreibt Spechtl im entrückten »Enter Exit«, wie ermattend so ein selbsverwertungsdominiertes Leben ist, und warum: »Weil unter der Welt eine Welt ist  nd dazwischen auch  ur obenauf  a ist die Hölle.« Zeigte sich dieses Verdikt auf »Dmd Kiu Lidt« als schöpferische Wut und auf »Libertatia« als Befreiungslust, beginnt »Die Gruppe« für eine, nun ja, Comeback-Platte gewagt sperrig. »Jeder Mensch sein eigener Rhythmus«, heißt es indie-industrial stampfend im zweiten Song »Gift«, in sphärischem Gefrickel verliert sich der melancholische Song »Memory Machine«. »What If« und später »The Zing of Silence« meditieren offenherzig vor sich hin. Vorsichtig tastend erkunden Ja, Panik Klänge, als spielten sie den Soundtrack eines Science-Fiction-Dramas im Arthouse-Stil ein.

Zu verdanken ist dieser Eindruck auch einem Instrument, das man schon aus Spechtls Soloprojekten kennt. Mit den umgarnenden Klängen ihres Saxophons prägt Rabea Erradi das Album entscheidend mit, als Gastmusikerin improvisierte sie zu den fast fertigen Stücke. »Ich habe mich wahnsinnig in dieses Instrument verliebt«, gesteht Spechtl – und man hört sofort, wieso: Es schnattert und knarzt und tönt famos auf »Die Gruppe«. Wie sich Ja, Panik einst die Authentizitätsfanatiker dadurch vom Leib hielten, dass sie plötzlich Funk statt des für Jungs üblichen Indierocks spielten und lieber in einem Sprachenmix statt auf Deutsch sangen, so irritieren nun die Anklänge an Free Jazz all jene, die Saxophon-Soli noch immer als kitschig verachten.

So sehr die dominante Rolle des Saxophons die Hörerschaft der Band in zwei Lager teilen könnte, so sehr symbolisiert es, was die Band umtrieb. »Ein großes Thema der Platte ist die Suche. Nach einer Sprache, einem Umgang miteinander«, sagt Spechtl. In einer Welt, »die vollgeballert wird mit Antworten«, sei dies ein »Emanzipationsmoment« gewesen. Gefunden hat die Band einen vielschichtigen Umgang mit Instrumenten und eine experimentelle Herangehensweise, vom elektronischen Dröhnen bis zum melodischen Riff. Denn so ungewohnt das Wiederhören beginnt, so befreit wagen sich Ja, Panik im Laufe der Platte an charmante Poppassagen, bei denen die Talking Heads und – dank Saxophon umso mehr – Roxy Music grüßen lassen.

Einer der besten Songs des Albums, »On Livestream«, lullt den Hörer mit repetitiven Schleifen derart ein, dass es fast egal ist, wenn Spechtl als »nervöse Gestalt« recht trivial über das Glotzen auf digitale Screens lamentiert. Zumal mehr dahinter steckt: Entstanden ist das Stück im Iran, wo das Smartphone Regimegegnern als einzige Verbindung nach außen dient. »Es gibt andere Teile der Welt, die schon länger das Ende der Welt erleben«, erklärt Spechtl einen wesentlichen Gedanken der Platte.

»Everybody wants to own the end of the world«, kommentiert er im eingängigen »Backup« die Weltuntergangsindustrie. Dabei lässt »Apocalypse or Revolution« die positive Auflösung der titelgebenden Alternative eher unmöglich erscheinen, als sie zu proklamieren. Doch ist die Medizin der Alternativlosigkeit wirklich besser, die der Arzt in »The Cure« verschreibt? »The only cure from Capitalism  s more and more more Capitalism«, wiederkäut ein Chor in Dauerschleife die Parole so unentwegt wie deren Anhänger in der Realität.

Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus: Diese inzwischen zur Phrase geratene Feststellung durchzieht die Platte – beeinflusst vom Denken des britischen Kulturkritikers Mark Fisher, dessen Buchtitel »The Weird and the Eerie« gar als Text­zeile auftaucht. Von den Texten des 2017 verstorbenen Autors zehren Spechtls Gesellschaftsanalyse und Poesie, mäandernd zwischen Leitmotiven wie Schlaf, Traum, Zeit, Geister, Angst und Sprache. Der von Fisher geprägte Begriff »hauntologische Kunst« beschreibt auch das Schaffen von Ja, Panik recht gut: jene Blockaden zu analysieren, die im kapitalistischen Kulturbetrieb den Blick auf die Zukunft verstellen. Das ist tanzbare Theorie – auch wenn Ja, Panik den bräsigen Diskursrock schon längst in schwerverdauliche, aber schön anzuhörende Teile zerlegt haben.

Dass der Zugang der Band, wie bei Fisher, auch ein persönlicher ist, verhehlte sie nie. »Was kann ich über die Welt erfahren, wenn ich über mich selber schreibe?« umreißt Spechtl die Herangehensweise. Für ihn ist »Die Gruppe« auch eine Art »Erinnerungsplatte«. Nostalgische Nabelschau herrscht aber auch in den autobiographischsten Stücken nicht vor. Selbst im balladesken Teenager-Rückblick »1998« scheint hinter elegischen persönlichen Passagen (»I was a country boy  fraid to go online«) das Allgemeine auf. »Do you remember when paranoia invented the world wide wall?« – erste Internet-Erfahrungen als dialektische Volte.

Nach all den Jahren suchen Ja, Panik auch nach ihrem Selbstverständnis als Gruppe: »Was sind wir für uns noch?« umschreibt Spechtl diese Suche. »Die Gruppe« ist »der Unterschied, der vor uns liegt«, findet er im treibenden Titelsong eine mögliche Antwort. Es ist eine Hymne an den Gegenentwurf, als den sich Ja, Panik heute noch verstehen. Immer waren sie mehr als nur eine Band, wohnten und lebten jahrelang zusammen. »Dahinter steht vielleicht eine Trotzhaltung«, meint Spechtl. »Es geht um dasselbe Leben, für das wir uns mit Anfang 20 entschieden haben.«

Ja, Panik: Die Gruppe (Bureau B)