Small Talk mit Daniel Manwire über eine problematische Platzbenennung in Hamburg

»Die Stadt Hamburg hat nichts gelernt«

Straßennamen und Denkmäler ehren in der Hamburger Hafencity koloniale Seefahrer wie Vasco da Gama und Christoph Columbus. Am 4. Juni wurde der Amerigo-Vespucci-Platz eingeweiht, der größte Platz in dem Stadtteil. Die Jungle World sprach mit dem antirassistischen Aktivisten Daniel Manwire, der dabei war, als Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher den Platz einweihte.

Was haben Sie bei der Einweihung beobachtet?
Der neue Platz ist mit 10000 Quadratmetern der größte der Hafencity. Dass Hamburg sich groß auf die Fahnen schreibt, die koloniale Verstrickung der Stadt aufzuarbeiten, diesen Platz aber nach einem Konquistadoren benennt, ist empörend. Deutsche Kartographen haben den Doppelkontinent nach Amerigo Vespucci benannt: Amerika. Ich hatte auf ein paar Protestplakate oder Trillerpfeifen gegen diese alt-neue Kolonialpropaganda gehofft. Anwesend waren aber nur die Polizei, die Presse, Politiker und Politikerinnen und Vertreterinnen und Vertreter der Hafencity Hamburg GmbH.

Warum stört Sie die Platzbenennung?
Hamburg ehrt mit dem Namen Amerigo Vespucci einen italienischen Seefahrer, der unter portugiesischer Flagge den Atlantik überquerte und im Januar 1502 an der Ostküste des südlichen Amerika landete. Er und seine Leute dachten, die Bucht sei ein Fluss und nannten den Ort Rio de Janeiro, Fluss des Januars. Die Gegend wurde kolonisiert. Man schaffte Pernambukholz, auch Brasilholz genannt, nach Europa, das einen kostbaren roten Farbstoff lieferte. Der Wald wurde abgeholzt und das Land nach dem Rohstoff benannt: Terra do Brasil – Brasilien. Auf den Bahamas hat Vespucci etwa 230 Menschen versklavt und nach Europa verschleppt. Alle seine transatlantischen Reisen waren Eroberungszüge und von Kriegshandlungen begleitet.

Der Name befindet sich in der Hafencity in bester Gesellschaft…
Das ist ja das Ärgerliche an der Sache. Es ist wirklich frustrierend zu sehen, dass Hamburg nichts dazulernt. Seit Jahrzehnten weisen Initiativen auf die neuen und alten kolonialen Ehrungen in der Speicherstadt und in der Hafencity hin. Zuletzt gab es dagegen voriges Jahr Proteste im Zuge der Bewegung Black Lives Matter. Koloni­ale Gewalt und ihre Spuren werden ausgeblendet, Kolonialismus wird für Marketingzwecke verklärt und exotisiert. Gebäudekomplexe sind nach kolonialen Rohstoffen benannt wie zum Beispiel Pacamara, Kambala und Palisander. Der jetzt eingeweihte Platz befindet sich in der Nähe des Baakenhafens, von wo 1904 die Truppen, Waffen und Pferde nach Deutsch-Südwestafrika verschifft wurden. Nichts erinnert dort aber an den Völkermord an den Ovaherero und Nama.

Braucht Hamburgs Erster Bürgermeister Nachhilfe in Sachen Kolonialismus?
Offenbar ja, und nicht nur er. Es gibt zwar einen Runden Tisch für alle Interessierten zur Dekolonisierung Hamburgs, allerdings ­wurde in Hamburg bislang kein einziger kolonialer Straßenname geändert.