In der Linkspartei gibt es vor der Bundestagswahl grundsätzliche Differenzen

Politik für Polo-Fahrer

Obwohl einige Funktionäre eine klassische Industriepolitik bevorzugen, hat die Linkspartei auf ihrem Bundesparteitag ambitionierte klima­politische Ziele beschlossen. Grundsätzliche Differenzen gibt es auch in der Migrationspolitik.

Was haben Jakob Blasel und Kathrin Henneberger gemeinsam? Beide haben durch ihr Engagement in der Klima­bewegung eine gewisse Prominenz erlangt. Der eine als führende Figur bei Fridays for Future in Deutschland, die andere als Sprecherin des Anti-Kohlekraft-Bündnisses »Ende Gelände«. ­Außerdem wollen beide im September für die Grünen in den Bundestag einziehen und haben keine schlechten Chancen. Das sich Menschen wie Blasel und mehr noch Henneberger, die bei »Ende Gelände« eine antikapita­listische Klimapolitik vertritt, bei den Grünen engagieren, zeigt ein großes Problem der Linkspartei auf.

Parteimitglieder, denen Klimaschutz und Antirassismus nicht so wichtig sind, könnten »Die Linke« verlassen und eine neue Partei gründen, befürchten manche.

Klimaschutz ist kein Thema, das mit der Partei verbunden wird. Zwar gibt es mit Lorenz Gösta Beutin einen in Sachen Klimaschutz engagierten und fachkundigen Abgeordneten der Linkspartei im Bundestag, der jedes Mal, wenn irgendwo mehr als drei Leute auf einen Baum klettern, Präsenz zeigt. Doch spricht man mit Menschen aus der Klimabewegung, dann fällt ihnen außer Beutin selten jemand ein, den sie aus der Linkspartei mit Klimagerechtigkeit verbinden. Auf kommunaler Ebene gibt es allerdings durchaus viele Parteimitglieder, die sich für ökolo­gische Themen interessieren und die in Klimabündnissen aktiv sind, doch sie fallen überregional nicht auf und schaffen es nicht, die Attraktivität der Partei in dieser Frage zu erhöhen.

Um das zu ändern, hat die Linkspartei auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende ein Wahlprogramm für die Bundestagswahl im September ­beschlossen, das ambitionierte klimapolitische Ziele enthält. Die Partei fordert unter anderem die konsequente Einhaltung des 2015 von 195 Staaten unterzeichneten Pariser Klimaabkommens, ein klimaneutrales Deutschland bis 2035, den Kohleausstieg bis 2030, die sofortige Abschaltung des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen und die Einführung eines Straftatbestands »Ökozid«, also Umweltzerstörung. Für Autos mit ­Verbrennungsmotor soll ab 2030 ein Zulassungsverbot gelten, Kurzstreckenflüge sollen durch Bahnfahrten ersetzt werden. Die Partei will dafür viel Geld ausgeben. Erneuerbare Energien sollen stark ausgebaut und die entsprechenden Anlagen beispielsweise von Bürgergenossenschaften betrieben werden.

Grundsätzlich will die Partei Klimaschutz durch ein strenges Ordnungsrecht durchsetzen. Regulierungen über Preissteigerungen, wie sie nahezu alle anderen Parteien fordern, lehnt die Partei ab. Beutin sagte auf dem Parteitag, man baue auf ein »intelligentes Klimaordnungsrecht statt auf eine Preisschlacht für Öl, Benzin und Gas«. Es gehe darum, das Klima zu stabilisieren und nicht das »umweltschädliche Geschäftsmodell der fossilen Dax-Unternehmen«. Beutin begründet das Modell der Linkspartei damit, dass das Rezept »mehr Markt« in den vergangenen ­Jahren versagt habe und nicht in der Lage sei, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Das klingt ambitioniert, doch die Partei hat in den vergangenen Monaten auch immer wieder andere Prioritäten gesetzt, auch auf dem Parteitag. Zwar sprachen die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, in ihren Reden von der »sozial-ökologischen Transformation«, die es nur mit der Linkspartei ­geben könne, aber ihre Schwerpunkte waren andere.

Mohamed Ali griff in ihrer Rede die Grünen scharf an, ohne die Partei beim Namen zu nennen. Benzin- und Flugpreiserhöhungen seien der falsche Weg, wer so etwas fordere und verspreche, es mit einer höheren Pendlerpauschale oder einem Bürgergeld zu kompen­sieren, solle »mal rausgehen« und mit den Menschen sprechen. Bartsch sagte in seiner Rede, die Linkspartei mache Politik für »die Polo-Fahrerin« und nicht für »den Tesla-Jünger«. Was beide wohl versuchten, deutlich zu machen: Klimaschutz ist nach Ansicht der Linkspartei eine Klassenangelegenheit. Die Partei hat die Geringverdiener und Armen im Blick und nicht das ökologisch orientierte Bürgertum.

Klimasensibilität ist nicht bei allen in der Partei üblich. Der Bundestagsab­geordnete Klaus Ernst freute sich erst vor wenigen Wochen über die Fertigstellung des ersten Strangs der deutsch-russischen Erdgaspipeline Nord Stream 2. Er beglückwünschte die Bundesregierung zu ihrem »beharrlichen Festhalten an dem Projekt«. Das sei trotz des »irrationalen Auftretens« der ­Grünen sowie einzelner Unionspolitiker und der »völkerrechtswidrigen Sanktionen der USA« gelungen. Ernst vertritt diese Position weiterhin, obwohl seine Partei am Wochenende den Erdgasausstieg ins Wahlprogramm aufgenommen hat.

In der Partei gibt es weitere tonangebende Mitglieder, die klimapolitisch rückwärtsgewandte Vorstellungen vertreten. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben sich in den vergan­genen Monaten oft genug gegen zu weitreichende klimapolitische Forderungen der Linkspartei ausgesprochen. Das schrecke die deutschen Arbeiter, ins­besondere in der Automobilindustrie, ab. Der nordrhein-westfälische Landesverband der Partei forderte noch vor wenigen Jahren, die Stahlindustrie zu verstaatlichen, um Arbeitsplätze zu erhalten, von Klimaschutz war damals keine Rede. Viele Funktionäre in der Linkspartei träumen immer noch vom Industriearbeiter, der nur organisiert werden müsse, um als Partei zu ­erstarken und den Kapitalismus abschaffen zu können.

Die Parteimitglieder, die Politik für Industriearbeiter machen wollen, sind häufig ehemalige Mitglieder der 2005 gegründeten Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die aus Enttäuschung die SPD verlassen hatten. Sie befürworten häufig auch eine res­triktivere Migrationspolitik. Beim Parteitag gab es eine Handvoll erfolgloser Anträge, die in diese Richtung zielten. Mehr hatten diese Kreise zur Programmdebatte der Linkspartei allerdings nicht beizutragen, und das ist für einige in der Partei Grund zur Sorge vor einer Spaltung.

Wagenknecht, Lafontaine und andere hatten viel an dem zu kritisieren, was die Mehrheit ihrer Partei fordert. Sich selbt eingebracht haben sie aber nicht. Es gibt zwei Erklärungen für dieses Verhalten. Die erste ist simpel. Wenn die beiden sich inhaltlich äußern wollen, reicht ein Anruf bei einem beliebigen Medium. Mehr Aufmerksamkeit als den Details aus dem Wahlprogramm ist ­ihrer Kritik dann sicher. Die andere Erklärung ist, falls sie zutrifft, für die Linkspartei bedrohlicher. Diejenigen, denen Klimaschutz und Antirassismus – das Wahlprogramm verurteilt die Abschottung der EU gegen Migranten und fordert »offene Grenzen für alle Menschen« – nicht so wichtig sind, könnten die Partei verlassen und eine neue Partei gründen. Die sogenannte Sammlungswewegung »Aufstehen« ­sehen viele in der Partei als ersten Organisierungsversuch, der in diese Richtung weist. »Aufstehen« ist nach einer Phase, in der kaum etwas von dem Projekt zu hören war, inzwischen wieder deutlich aktiver, verspricht, aus der Bundestagswahl eine »Bürgertagswahl« zu machen, und wirbt dafür mit Wagenknecht und ihren Verbündeten.

Wie tief die Sorge vor einer Spaltung ist, zeigt ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Der Kreisverband Wesel verschickte vor wenigen Wochen eine »Ehrenerklärung« zur Unterschrift an alle nordrhein-westfälischen Kandi­datinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl. Die potentiellen Abgeordneten sollten versichern, dass sie in der kommenden Legislaturperiode in der Bundestagsfraktion der Linkspartei bleiben werden, sollten sie gewählt werden. Der Erfolg des Vorstoßes aus Wesel ist gleich null. Bisher hat keiner der Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen die »Ehrenerklärung« unterschrieben.

Der Linkspartei bestehen schwierige Monate bevor. Sie hat ein Wahlprogramm beschlossen, in dem Klimagerechtigkeit und Antirassismus zen­trale Themen sind. Prominente Parteimitglieder wie Wagenknecht befürworten diese Politik allerdings nicht. In Umfragen nähert sich die Partei ­immer mehr Zustimmungswerten von nur noch knapp über fünf Prozent, zahlreiche Mitglieder können sich nicht so recht für den Wahlkampf motivieren.

Sollte die Partei den Einzug in den Bundestag verfehlen, könnte sie auf absehbare Zeit nur noch in der Liste der »Sonstigen« vorkommen. Das zu verhindern, wird die schwierigste Aufgabe für die Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler. Ob Durchhalteparolen wie jene von Hennig-Wellsow, dass sie und Oskar Lafontaine »gar nicht so weit« auseinander­lägen, helfen, wird sich zeigen.