Arbeiterfotografie in der Weimarer Republik

Kämpfe mit der Kamera

In den zwanziger Jahren entstand in Deutschland die Bewegung der Arbeiterfotografen.

Freizeit spielte in der traditionellen Arbeiterkultur der Weimarer Republik eine nicht unwesentliche Rolle. Das dokumentieren zahlreiche Bilder, die in den zwanziger Jahren im Umfeld der Bewegung der Arbeiterfotografie entstanden. Eine Frau, die entspannt mit ihren Kindern auf einer Wiese sitzt, fotografierte 1929 der Berliner Laienreporter Ernst Thormann in der Nähe des heutigen Alexanderplatzes. Im selben Jahr entstand sein Foto einer Gruppe junger Männer in einem Cabrio, die sich offenbar für eine Spritztour in Schale geworfen haben. Nur der Fahrer ist noch nicht ausgehfein und rasiert sich noch im offenen Wagen. In der Mehrzahl zeigen Thormanns Fotos allerdings das arme Berlin. Sein Augenmerk galt insbesondere dem Elend der Kinderarbeit.

Die Arbeiterfotografien korrigieren das Bild von den »goldenen zwanziger Jahren«, in dessen Zentrum die individuelle Freiheit einer kleinen Mittelschicht in den Großstädten steht, und richten das Augenmerk auf die Freiheiten, die sich damals vor allem der linke Flügel der Arbeiterbewegung kollektiv erkämpft hatte.

In der Fotografiegeschichte haben die zur Bewegung der Arbeiterfotografen zählenden Amateure wenig Beachtung gefunden. Lediglich das kurz aufflammende Interesse für die proletarische Kultur- und Lebenswelt in den siebziger Jahren bescherte den Arbeiterfotografen eine gewissen Aufmerksamkeit in der BRD. Die Mitglieder der der DKP nahestehenden Arbeiterfotografiegruppen, die sich vielerorts gründeten, begeisterten sich für die Aufnahmen, die das Proletariat als kämpfende Klasse imaginierten, die hinter roten Fahnen in Richtung Sozialismus marschiert. Solche propagandistischen Arbeiten gehörten ebenso zum Repertoire der Arbeiterfotografen wie Sozialreportagen und Milieustudien.

Zu den produktiven Arbeiterfotografen zählt auch Kurt Pfannschmidt, gelernter Buchdrucker, Mitglied der KPD und Funktionär des Arbeitersports in Leipzig. Mit der Kamera hielt er sein Umfeld in Leipzig fest.

Bildpropaganda sollte zu einer Waffe im Kampf um das Bewusstsein der Arbeiterklasse werden. Diesem Konzept verschrieb sich die von dem kommunistischen Verleger Willi Münzenberg gegründete Arbeiter-Illustrierte Zeitung, die der proletarischen Lichtbildkunst ein Forum bot und bei der Gründung der Bewegung eine wichtige Rolle spielte. Im März 1925 rief die Zeitung Arbeiter dazu auf, eigene Fotos einzusenden. Dahinter stand die Erkenntnis, dass die Presseagenturen kein Interesse hatten, das Leben der Arbeiter ab­zubilden. 1926 gründete sich die Verei­nigung der Arbeiterfotografie Deutschlands (VdAFD) mit dem Ziel, das Leben des Proletariats zu dokumentieren.

Dieses Leben bestand nicht nur aus Arbeit. Das betont Julia Hartenstein in einem Vortrag zu der von ihr kuratierten Ausstellung »Der proletarische Blick«, die bis April im Bröhan-Museum in Berlin gezeigt wurde und nun digital zugänglich ist. Neben dem politischen Engagement und den Ausbeutungsverhältnissen, so Hartenstein, bildeten die Arbeiterfotografen auch die Freuden des Alltags ab. Man sieht auf den Fotos Menschen jeden Alters, die bei sonnigem Wetter am Ufer eines Gewässers sitzen, um gemeinsam zu singen. Ernst Thormann hat sie Ende der zwanziger Jahre in der Umgebung von Berlin aufgenommen.

In der Zeit vor dem Massentourismus war der Campingurlaub im Berliner Umland bei Arbeiterfamilien sehr beliebt. Die Ausstellung zeigt ein Foto Thormanns vom Zeltplatz »Kuhle Wampe«, der seinen Namen dem nahegelegenen See in der Form eines Bauchs verdankt und durch Slatan Dudows Film »Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?« (1932) bekannt wurde, an dessen Drehbuch Bertolt Brecht beteiligt war. Am Beispiel einer Familie schilderte Dudow das Problem der Arbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise. Weil sich viele Berliner Familien keine Wohnung mehr leisten konnten, zogen sie auf Zeltplätze oder in Laubenkolonien.

Auch der Arbeitersport prägte das Leben der Menschen. Für die Reportage »Berlin bei Nacht« fotografierte Ernst Thormann im Jahr 1930 Frauen beim Kegeln. Insgesamt war der Arbeitersport allerdings eine Männerdomäne. Die Fotos Kurt Pfannschmidts von einem Arbeitersportfest seiner Partei 1932 zeigen ausschließlich männliche Sportler. Eine Fotoserie von Thormann dokumentiert das Leben im Scheunenviertel, das vor 1933 ein Zufluchtsort für geflohene Juden war, die in Osteuropa verfolgt worden waren. Sie wurden auch in Deutschland schon vor der Machtübernahme der Nazis Opfer des Antisemitismus. Am 5. November 1923 zerstörte ein von völkischen Agitatoren aufgehetzter Mob jüdische Läden im Scheunenviertel und zerrte Menschen aus ihren Wohnungen. Die Fotos vom Leben im Scheunenviertel gewähren einen Blick auf eine Welt, die nach 1933 endgültig zerstört wurde.

In Der Arbeiter-Fotograf, der Vereinszeitung der VdAFD, fanden sich auch kritische Kommentare zu einzelnen Bildern. In mehreren Artikeln wird betont, dass sich die Fotografen nicht von Sentimentalität und moralischen Urteilen leiten lassen sollten. Es gehe vielmehr darum, das Leben der Arbeiter in all seinen Facetten unbestechlich zu dokumentieren.

Vor allem in der Endphase der Weimarer Republik wurden die Arbeiterfotografen verstärkt zum Angriffsziel der Polizei sowie der erstarkenden Nazibewegung. Auf ihren Streifzügen durch die Stadt schlossen sich die Fotoamateure daher in Gruppen zusammen, um sich besser gegen Obrigkeit und prügelnde Nazis wehren zu können. Nicht zuletzt sorgten sich die Laienkünstler um ihre Fotoausrüstung, in die sie viel investiert hatten. Geldmangel war ein ständiges Pro­blem der Arbeiterfotografen. Eine Kamera kostete immerhin mehrere Mo­natslöhne eines Arbeiters.

Das Selbstverständnis des Fotografen als Klassenkämpfer spiegelt sich in einer Fotografie von Ernst Thormann, der seinen Kollegen Richard Woike bei der Arbeit fotografierte. Woike pirscht sich an eine Gruppe von Jungen heran, die unter freiem Himmel Papiere falten mussten.

Die Arbeiterfotografien korrigieren das Bild von den »goldenen zwanziger Jahren«, das die individuelle Freiheit einer kleinen Mittelschicht in den Großstädten ins Zentrum stellt, und richten das Augenmerk auf die Freiheiten, die sich damals vor allem der linke Flügel der Arbeiterbewegung kollektiv erkämpft hatte. Dazu gehörten das Recht auf Freizeit, Bildung und Kultur, die den arbeitenden Menschen vorher weitgehend verwehrt geblieben waren.

Der digitale Guide zur Ausstellung »Der proletarische Blick. Arbeiterfotografie der 1920er Jahre von Kurt Pfannschmidt, Ernst Thormann und Richard Woike« findet sich unter: guide.broehan-museum.de

Eine Live-Tour durch die Ausstellung sowie begleitende Vorträge gibt es auf Youtube.