Im Thüringer Landtag wird die Pattsituation zum Normalzustand

Sitzblockade

Kommentar Von Johannes Reinhardt

Im Thüringer Landtag wird die Pattsituation zum Normalzustand.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) und seine rot-rot-grüne Minderheitsregierung bleiben im Amt. Ende der vergangenen Woche scheiterte erwartungsgemäß das konstruktive Misstrauensvotum, mit dem die AfD ihren Fraktions- und Landesvorsitzenden Björn Höcke zum Nachfolger Ramelows wählen lassen wollte. 22 Abgeordnete stimmten in geheimer Wahl für den Antrag – genau so viele sitzen für die AfD im Thüringer Landtag. Gleichwohl lässt sich die politische Gesamtsituation Thüringens nur als desolat bezeichnen.

Eigentlich sollte sich der Landtag bereits am 19. Juli mit einer Zweidrittelmehrheit auflösen und Neuwahlen für den 26. September, den Tag der Bundestagswahl, ansetzen. So hatten es die Regierungsparteien »Die Linke«, SPD und Grüne gemeinsam mit der CDU in ihrer mittlerweile obsoleten Kooperationsvereinbarung beschlossen. Nachdem die Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD im ­Februar 2020 bundesweit Aufsehen erregt hatte, war die CDU auf Schadensbegrenzung aus. Das Ergebnis waren die Kooperations­vereinbarung und die erneute Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten, der seither eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung führt.

Knapp anderthalb Jahre später wollten mindestens vier CDU-Abgeordnete die Fraktionsdisziplin und Kooperationsvereinbarung ­ignorieren und gegen die Auflösung des Landtags stimmen – wohl vor allem, weil sie um ihren persönlichen Wiedereinzug bangten. Zwar erklärte die Abgeordnete Ute Bergner, die noch Fraktions-, aber kein Parteimitglied der FDP mehr ist, ihre Absicht, für die Auflösung des Landtags zu stimmen – im Gegensatz zu den anderen vier FDP-Abgeordneten. Doch Bergner wird der Szene der Coronaleugner zugerechnet. Bei einer Landtagsneuwahl wäre sie als Spitzenkandidatin der Partei »Bürger für Thüringen«, die der »Quer­denker«-Szene nahesteht, angetreten. Zwei Abgeordnete der Partei »Die Linke« wollten deshalb bei der Landtagsauflösung auf Bergners Stimme ebenso wenig angewiesen sein wie auf die Stimmen der AfD und zogen ihre eigene Unterstützung für den Antrag zurück. Danach wurde die Abstimmung über die Landtagsauflösung abgesagt.

Stattdessen beantragte die AfD ihr konstruktives Misstrauensvotum für den 23. Juli, den letzten Sitzungstag vor der Sommerpause. Bei der parlamentarischen Aussprache vor der Abstimmung hielt Mario Voigt, der CDU-Fraktionsvorsitzende, überraschenderweise die kämpferischste Rede: »Wir brauchen keinen Sucher mit der Wünschelrute nach dem ewigen Volk. Wir brauchen niemanden, der vor dem Spiegel Goebbels rezitiert«, sagte er und endete mit der Ansage: »Wir stehen gegen Extremisten auf, heute, morgen und in der Zukunft.«

Und doch standen Voigt und seine CDU-Kolleginnen und -Kollegen während der Abstimmung über das Misstrauensvotum nicht auf, um ihre Stimmen abzugeben. Diesen »Boykott« hatten sie zuvor angekündigt. Was Voigt mit seiner Rede kaschieren wollte, ist, dass er nicht für die ganze thüringische CDU sprach. Immer wieder bemühen sich Teile des Landesverbands um eine Annäherung an die AfD. Am deutlichsten macht das die Abstimmungsverweigerung der Fraktion: Die Frage wäre sonst nicht gewesen, ob CDU-Abgeordnete für einen Rechtsextremen und gegen den Sozialdemokraten Ramelow als Ministerpräsident stimmen würden, sondern wie viele.

Die reguläre Wahlperiode des Thüringer Landtags endet erst 2024. Wie beziehungsweise wie lange die rot-rot-grüne Minderheitsregierung handlungsfähig bleibt, ist jedoch offen. Im Herbst muss der Haushalt für das kommende Jahr beschlossen werden. Spätestens dann ist die Regierung auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen, also entweder von der CDU oder der FDP.

Während unklar ist, wie kooperativ die CDU-Abgeordneten sein werden, nachdem sie die Bundestagswahl ausgesessen haben, steht die FDP vor einem ganz anderen Problem: Die Abgeordnete Bergner hat bereits angekündigt, nach der Sommerpause auch aus der Fraktion auszutreten, die dadurch ihren Fraktionsstatus verlieren würde.

Auch Neuwahlen hätten diese parlamentarische Pattsituation kaum aufgelöst, die Wählerinnen und Wähler bleiben schließlich die alten – 44 Prozent von ihnen stimmen der Studie Thüringen-Monitor 2020 zufolge der These zu, dass Deutschland »durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet« sei.