Die Novelle des Mediengesetzes sorgt in Polen für Proteste

Stress mit der Lex

Obwohl die rechte Regierungskoalition in Polen zerbrochen ist, konnte die umstrittene Novelle des Mediengesetzes in der ersten Parlaments­kammer verabschiedet werden. Viele polnische Linke tun sich mit dem Widerstand gegen das Mediengesetz schwer.

»Einer geht noch!« skandierten Hunderte am Dienstagabend vergangener Woche im Zentrum von Poznań. Eigentlich wurde dort für die Freiheit der Medien demonstriert. Doch als die Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Jarosław Gowin bekanntgegeben wurde, feierten viele schon den Anfang vom Ende der rechtsautoritären Regierung unter Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

TVN gilt polnischen Rechten schon lange als Verkörperung des ver­hassten liberalen Polen und seiner medialen, angeblich vom Ausland gesteuerten »Eliten«.

Tatsächlich befindet sich das seit 2015 in Polen regierende Rechtsbündnis in einer Krise, und das gerade in dem Moment, in dem es sich einem der größten Bausteine des illiberalen Staatsumbaus widmet. Die »Repolonisierung« der Medien ist für PiS eines der wichtigsten Angriffsfelder der zweiten Regierungsperiode seit der Wiederwahl 2019. Der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński hat immer wieder zu verstehen gegeben, dass er Journalismus vor allem für eine Frage der Weltanschauung hält und es ihm im Mediensektor nicht um Freiheit und Pluralismus, sondern um politisch-kulturelle Hegemonie und insbesondere nationale Souveränität geht. »Nichtpolnische Medien müssen in unserem Land eine Ausnahme darstellen«, sagte er Anfang dieses Jahres.

Während in der ersten Regierungsperiode die staatlichen Funk- und Fernsehsender zu reinen Propagandakanälen der Regierungspartei umfunktioniert wurden, sind nun die privaten Medien an der Reihe. Bereits im vergangenen Jahr erwarb der staatliche Tankstellenkonzern Orlen von der deutschen Verlagsgruppe Passau die Gruppe Polska Press und damit 20 Regional- und fast 120 Lokalzeitungen sowie 500 Online-Portale, insgesamt mit 17,4 Millionen Nutzerinnen und Nutzern. Seither werden die Chefredakteurinnen und -redakteure der Regionalzeitungen sukzessive durch PiS-Getreue ersetzt.

Der jüngste Schritt der »Repolonisierung« ist die angestrebte Novelle des Medienrechts, die es Radio- und Fernsehkanälen mit mehrheitlich außereuropäischen Anteilseignern verbieten soll, in Polen zu senden. Viele bezeichnen diese Novelle, die sich noch im Gesetzgebungsprozess befindet, als »Lex TVN«, da sie zweifellos direkt auf den privaten Fernsehsender TVN zielt, der zum US-amerikanischen Konzern Discovery gehört. Die Konzession von TVN läuft im September aus; kurzfristig hat der Sender nun eine niederländische Konzession erworben, die eine weitere Ausstrahlung des Programms in Polen ermöglichen soll.

TVN gilt bei polnischen Rechten schon lange als Verkörperung des verhassten liberalen Polen und seiner medialen, angeblich vom Ausland gesteuerten »Eliten«. Bereits 2011 setzten rechte Hooligans einen Übertragungswagen des Fernsehsenders in Brand. Unter der PiS-Regierung hatte sich TVN als kritisches Gegengewicht zu den regierungskonformen staatlichen Medien etabliert.

Immer wieder war TVN daher das Ziel von Schmutzkampagnen der Regierungsmedien oder von Sanktionen seitens des von der PiS kontrollierten Rundfunkrats. Ermahnungen der Botschaft oder des Außenministeriums der USA waren regelmäßig die Folge. Auch diesmal unterstützt das US-Außenministerium TVN sowie dessen US-amerikanischen Mutterkonzern und fordert von der PiS eine Kursumkehr. Auch Vertreterinnen und Vertreter der EU kritisieren das Vorgehen der polnischen Regierung.

In Polen selbst haben über 1 000 Journalistinnen und Journalisten einen offenen Brief gegen das neue Mediengesetz unterzeichnet. Im ganzen Land fanden in der vergangenen Woche Demonstrationen für freie Medien und für TVN statt. Die Proteste sind eindeutig bürgerlich-liberal geprägt. Viele Linke tun sich dagegen schwer, für den kommerziellen Sender auf die Straße zu gehen. Wie schon im Fall der Angriffe der PiS-Regierung auf die Unabhängigkeit der Justiz mangelt es an Motivation, sich für eine Institution einzusetzen, die man mit der postsozialistischen neoliberalen Hegemonie assoziiert.

TVN gilt als Sprachrohr der liberal-konservativen Opposition. Auch dass TVN immer wieder Vertreterinnen und Vertreter der extremen Rechten ei­ne Plattform bietet, Streiks und soziale Kämpfe hingegen eher marginal behandelt, dämpft bei vielen Linken das Solidaritätsgefühl. Zumindest die parlamentarische Linke positioniert sich klar für den Grundsatz der Pressefreiheit, für Medienpluralismus und damit gegen die »Lex TVN«.

Trotz der Proteste auf der Straße, des Widerspruchs der Opposition sowie des internationalen Drucks ist die PiS gewillt, ihren autoritären Kurs fortzusetzen. Allerdings ist Kaczyński mit Streit im eigenen Lager konfrontiert. Bereits seit langem schwelte der Konflikt zwischen der PiS-Führung und Gowin, dem Vorsitzenden der wirtschaftsliberalen Partei Porozumienie (auf Deutsch etwa: Verständigung, Einigung), die bislang Teil des rechten Regierungsbündnisses war. Gowins heftige Kritik an den jüngsten Regierungsplänen für eine Erhöhung von Unternehmensteuern, die er als »extremen Sozialismus« bezeichnete, war für Kaczyński schließlich Anlass, sich des unliebsamen Partners zu entledigen.

Ohne Gowin und dessen Getreue fehlt dem Regierungsbündnis nun jedoch eine feste Mehrheit im Parlament. Wie prekär die parlamentarische Machtbasis Kaczyńskis ist, zeigte sich bereits in der Sitzung des Sejm, einer der beiden Parlamentskammern, am 11. August, bei der über die »Lex TVN« entschieden wurde. So konnte die Opposition zunächst eine Abstimmung über einen Antrag, die Sitzung zu vertagen, für sich entscheiden. Nur dank des routiniert skrupellosen Umgangs mit parlamentarischen Regeln gelang es der PiS-Fraktion, eine Niederlage abzuwenden. Mit einer fadenscheinigen Begründung wurde die Abstimmung einfach wiederholt. Die PiS konnte diesmal genügend Stimmen für sich organisieren. Die Sitzung des Sejm wurde nicht vertagt und schließlich wurde auch das Mediengesetz angenommen.

Der Vorgang zeigt dennoch, dass das Parlament ohne die Stimmen von Porozumienie nicht mehr jene zuverlässige Abstimmungsmaschine der Regierung ist, mit der bislang die nationalistisch-autoritäre Formierung vorangetrieben wurde. So konnte PiS auch Abgeordnete der Partei des rechtspopulistischen früheren Rockstars Paweł Kukiz, Kukiz’15, auf ihre Seite ziehen. Künftig wird sich Kaczyński immer wieder sporadische Mehrheiten suchen müssen.

Das Mediengesetz wird nun im von der Opposition dominierten Senat weiterbehandelt und voraussichtlich abgelehnt werden. In der darauffolgenden erneuten Sejm-Abstimmung benötigt die PiS dann eine absolute Mehrheit. Vielleicht lässt sich diese noch mit Zugeständnissen an Abgeordnete der ex­trem rechten Partei Konfederacja erkaufen. Wie lange Kaczyński aber auf diese Weise Mehrheiten organisieren kann, ist ungewiss. Zwar hat er sich machtpolitisch schon oft trickreich durchsetzen können, trotzdem halten viele Beobachterinnen und Beobachter vorgezogene Neuwahlen bereits zu Beginn des kommenden Jahres für möglich.