Guatemalas Journalisten leben ­gefährlich

Unbequeme Recherchen

In Guatemala hat es erneut Proteste gegen Korruption und die insti­tutionelle Krise gegeben. Unter der Regierung von Präsident Alejandro Giammattei leben insbesondere Journalisten gefährlich.

Inklusive Demokratie statt institutionelle Krise – das forderten Abgeordnete der Opposition zusammen mit verschiedenen sozialen und indigenen Organisation in einer Stellungnahme Ende August von Guatemalas Regierung unter Präsident Alejandro Giammattei. Zehntausende Menschen hatten in den vergangenen Wochen für den Rücktritt des Präsidenten, gegen Korruption und die schleppende Impfpolitik demons­triert.

Am 9. Februar hatte Giammattei die Impfkampagne seiner Regierung vorgestellt. Das Ganze hatte nur einen Haken: Es gab gar keinen Impfstoff – und daran hat sich bis heute wenig geändert. Hätten die USA nicht drei Millionen Dosen Impfstoff gespendet, stünde die Regierung des ausgebildeten Arztes noch schlechter da.

Kritik an ihr findet sich in den Medien vor allem in Tageszeitungen und unabhängigen Online-Portalen; Letztere konnten in Guatemala in den vergangenen Jahren ihre Reichweite deutlich steigern. Kritische Fragen zur Covid-19-Pandemie, der Strategie der Regierung und den konkreten Infektionszahlen sowie der Ausstattung der Kran-­
kenhäuser seien jedoch nicht willkommen, berichten Sonny Figueroa und Marvin Del Cid. Die beiden Journalisten arbeiten investigativ für zwei Nachrichtenportale, Vox Populi und Artículo35, außerdem engagieren sie sich für Pressefreiheit. Im Präsidentenpalast sind sie alles andere als gern gesehen, denn die beiden, die Giammattei abfällig als »el combo« (das Team) bezeichnet hat, beschäftigen sich auch mit mehreren Personen aus dem Umfeld des Präsidenten, die auf undurchsichtige Weise zu Reichtum gelangt sind.

Korruptionsskandale hat es seit der Vereidigung Giammatteis im Januar 2020 zu Dutzenden gegeben, Figueroa und Del Cid haben ihre besten 15 Reportagen dazu gerade als Buch veröffentlicht. Kein Bestseller, aber ein Nadelstich für den »Pakt der Korrupten«, wie der politische Filz in Guatemala genannt wird, der das Land und dessen Institutionen peu à peu übernommen hat. Der letzte markante Beleg dafür war die Entlassung Juan Francisco Sandovals, des Leiters der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit (FECI), am 23. Juli – es steht zu vermuten, dass er gehen musste, weil er seine Arbeit richtig gemacht hatte. Das löste Proteste im ganzen Land aus. Der 39jährige Staatsanwalt galt als letztes Bollwerk gegen die Korruption in Guatemala und war von den USA als engagierter Korruptionsbekämpfer ausgezeichnet worden.

»Tatsache ist, dass die Korruption und die Unterwanderung des Staats dazu geführt haben, dass ein Staatsanwalt in dieser Position einfach entlassen wird«, ärgert sich Figueroa. Ihm zufolge hat seit dem Ende des Mandats der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) im September 2019 ein Rückfall im Justizsystem stattgefunden, den kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die von den UN entsandte CICIG hatte knapp zwölf Jahre im Land gearbeitet und die Strukturen im Justizsystem systematisch gestärkt, aber dann gegen den damaligen Präsidenten Jimmy Morales ermittelt. Daraufhin musste sie gehen – unter anderem weil ihr der damalige US-Präsident Donald Trump den Rückhalt verweigerte (Jungle World 2/2019). Dessen Nachfolger Joe Biden hat angekündigt, die Korruption in Mittelamerika zu bekämpfen, ist aber in Sachen Migration auch auf die Kooperation des »Pakts der Korrupten« angewiesen.

Investigative Reporterinnen und Reporter in Guatemala könnten Unterstützung durchaus gebrauchen. Sie leben gefährlich, nahezu täglich erhalten sie Drohungen. Die indigene Berichterstatterin Anastasia Mejía Tiriquiz zum Beispiel wurde im September 2020 unter anderem wegen »Aufwiegelung« inhaftiert, nur weil sie über eine Demonstration gegen einen korrupten Bürgermeister berichtet hatte. Die Journalistenvereinigung Guatemalas (APG) dokumentiert die Angriffe auf Medien­-
schaffende: 85 waren es im Jahr 2019, im Jahr darauf sogar 149, in den ersten drei Monaten dieses Jahres zählte sie 39 Angriffe.

Die Medien Guatemalas teilen sich in zwei Lager. Auf der einen Seite stehen regierungskritische Medien wie die Tageszeitungen El Periódico und La Hora sowie investigative Nachrichtenportale wie Plaza Pública, No Ficción und Vox Populi; auf der anderen die Fernsehkanäle 3, 7, 11 und 13. Erstere gälten als incómodo (unbequem), Letztere als modo (bequem), weil sie im Sinne der Regierung berichten und auf deren Anzeigen angewiesen seien, so Jordán Rodas. Er leitet die Ombudsstelle für Men­schenrechte und hat Figueroa und Del Cid mehrfach zur Seite gestanden.

Doch der Druck auf kritische Medien nimmt zu. Längst ist ein Kampf um die Deutungshoheit in den sozialen Medien entbrannt. »Das ist der Regierung ein ›Net Center‹ wert, in dem alles getan wird, um das Image der Regierung und vor allem des Präsidenten aufzuwerten – inklusive Kampagnen gegen unbequeme Journalisten«, kritisiert Del Cid. Anfeindungen von dubiosen Usern gehören ebenso zum Alltag wie der Umstand, ausspioniert zu werden. Zudem lassen offizielle Stellen die »Unbequemen« gern warten: auf Informationen, Stellungnahmen, Interviews. Da wird vertröstet, verzögert oder nicht reagiert, obwohl das Gesetz die Regierung verpflichtet, Informationen weiterzugeben.

Der Kampf gegen Korruption ist manchmal lebensgefährlich, wie das Beispiel von Pedro Alfonso Guadrón zeigt. Der Journalist aus Chiquimula im Süden Guatemalas wurde am 30. Juli erschossen. Er hatte auf einer Facebook-Seite über Lokales berichtet, neben Korruptionsfällen auch über Proteste gegen die Regierung und den Drogenhandel. Ombudsmann Jordán Rodas hat das Justizministerium aufgefordert, den Mord aufzuklären, und angemahnt, endlich das Schutzprogramm für Reporterinnen und Reporter umzusetzen. Dieses hätte bereits 2012 auf Weisung der UN-Menschenrechtskommission implementiert werden sollen. Doch ähnlich wie seine Vorgänger hat Präsident Giammattei bisher keine Anstalten gemacht, die nötige Weisung dafür zu geben.