Die Gaskrise und Nord Stream 2

Nebenkostennachzahlung wegen Putin

Kommentar Von Paul Simon

Ungewöhnlich hohe Gaspreise belasten auch in Deutschland Industrie und Privatverbraucher. Nutzt Russland die Gasknappheit, um die EU zu erpressen?

Industrievertreter und Regierungen in der EU schlagen Alarm: Der Winter kommt näher, aber viele EU-Gasspeicher sind immer noch nicht ausreichend gefüllt. Zwar scheinen bisher keine Versorgungsengpässe in der EU zu drohen, doch muss mit deutlich steigenden Preisen gerechnet werden. Erst im Laufe des kommenden Jahres soll sich die Lage wieder entspannen.

Daran geben viele der russischen Regierung die Schuld: Sie verknappe absichtlich die Lieferung von Erdgas, um Druck auf die EU auszuüben. Tatsächlich konnte Wladimir Putin bei zahlreichen seiner öffentlichen Auftritte in den vergangenen Monaten kaum seine Genugtuung verbergen. Nach all den Jahren westlicher Kritik scheint nun endlich Russland am längeren Hebel zu sitzen.

Die derzeitige Situation zeigt, warum die EU trotz all der Spannungen und Sanktionen immer an halbwegs stabilen Beziehungen zu Russland interessiert war und selbst nach dem von Russland angezettelten Krieg in der Ukraine auf allzu drastische Maßnahmen verzichtete: Russland ist nicht nur eine Atommacht, mit der man keinen militärischen Konflikt will, sondern liefert auch 40 Prozent des in der EU verbrauchten Erdgases. Vor allem die deutsche Industrie ist von dieser billigen und, wie man zumindest dachte, verlässlichen Energiequelle abhängig, zumal wenn der Verbrauch von Kohle- und Atomstrom reduziert werden soll.

Putin legte in den vergangenen Wochen immer wieder dar, dass sich die EU doch selbst in die derzeitige missliche Lage gebracht habe. Europäische Länder hatten in den vergangenen Jahren weniger langfristige Verträge mit festen Liefervolumen geschlossen, sondern immer mehr kurzfristig auf dem Markt gehandeltes Gas gekauft. So wollte die EU ihre Importquellen etwa durch per Schiff geliefertes Flüssiggas diversifizieren und von niedrigen Weltmarktpreisen profitieren. Doch nun, wo weltweit die Fabriken wieder ­auf Hochtouren laufen und in Asien ebenfalls Energieknappheit herrscht, explodieren die Preise. Russland erfüllt zwar brav alle langfristigen Verträge, hat aber kaum ein Interesse daran, mit zusätzlichen Lieferungen die Lage auf dem EU-Gasmarkt zu entspannen.

Russland nutzt die Notlage der EU aus, um klarzumachen, dass diese auch in Zukunft auf langfristig vereinbarte Liefervolumen mit dem russischen Staatskonzern Gazprom bauen sollte, um Lieferengpässe zu vermeiden. Kein Wunder, dass das in der EU jene auf den Plan ruft, die seit Jahren vor der Abhängigkeit von Russland warnen. Denn Russland hat noch ein anderes Ziel. Am Freitag vergangener Woche wies Wladimir Putin erneut darauf hin, dass eine schnel­le Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 das Problem der EU lösen könne. Diese ist zwar fertig gebaut, doch steht die Erlaubnis der deutschen Behörden zur Inbetriebnahme noch aus.

An Nord Stream 2 spaltet sich nicht nur die EU, sondern auch die wohl zukünftige Bundesregierung. Während Annalena Baerbock (Grüne) immer noch will, dass die Pipeline nicht in Betrieb geht, vertritt die SPD die Haltung der bisherigen Bundesregierung und die Interessen der deutschen Industrie: »Lieferanten kann man sich leider selten nach der Sympathie für ein politisches System aussuchen, das ist beim Öl ganz genauso«, sagte kürzlich Norbert Walter-Borjans, der Vorsitzende der SPD, der Augsburger Allgemeinen.