Homestory

Homestory #2

<p>Katrin Göring-Eckardt hatte sich wohl ausgerechnet, Ministerin in der neuen Bundesregierung zu werden.</p>

Katrin Göring-Eckardt hatte sich wohl ausgerechnet, Ministerin in der neuen Bundesregierung zu werden. Daraus wurde nichts, jetzt ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und hatte zumindest gleich eine Idee, mit der sie es in alle Zeitungen schaffte: eine eigene »Parlamentspoetin« solle es geben, eine offiziell angestellte Dichterin des Bundestags. Die Idee geht zurück auf die Schriftstellerinnen Mithu Sanyal und Simone Buchholz und den Schriftsteller Dmitrij Kapitelman. In der Süddeutschen Zeitung schrieben sie, der Parlamentsdichter müsse »politische Debatten und Strömungen in Poesie oder Prosa gießen«, sein Werk solle dann über »Leuchtschriften oder Lichtinstallationen an der Bundestagsfassade« veröffentlicht werden. Eine der Urheberinnen des Vorschlags, Simone Buchholz, hatte in einem Interview den Rapper Haftbefehl als ersten Amtsinhaber vorgeschlagen. Wichtig sei vor allem, »dass sich die Person auf ganz andere Art mit Politik auseinandersetzt als wir es gewohnt sind«. Das zumindest trifft auf Haftbefehl zu. Zu jemandem wie Kathrin Göring-Eckardt würde aber vielleicht eher eine kreuzbrave »Slam-Poetin« wie Julia Engelmann passen.

Der perfekte Parlamentspoet wäre sowieso ein Grüner, und zwar Robert Habeck. Der ist schließlich Schriftsteller, er kann poetisch in die Kamera schauen und hat sogar mal ein Theaterstück über den Matrosenaufstand 1918 verfasst, in dem er sich äußerst empathisch mit Gustav Noske auseinandersetzt, dem sozialdemokratischen späteren »Reichswehrminister«, der genau diesen Aufstand niederschlagen ließ. Damit ist Habeck für eine artist residency im deutschen Bundestag praktisch überqualifiziert – wenn er sich nicht als Wirtschaftsminister leider mit trivialeren Dingen herumschlagen müsste.

Bei der Jungle World kommen der institutionalisierten Dichtkunst am nächsten wohl die Comics, die jede Woche auf dieser Seite und auf der letzten Seite des Dschungels zu finden sind. Aber wir haben das Abo-Angebot zu unserer Jahresend-Ausgabe (»Bis zu 4 Monate kostenlos Jungle World lesen! Jetzt abonnieren!«) noch einmal bis Ende Januar verlängert, und wer weiß – wenn es damit richtig gut läuft, können vielleicht auch wir uns irgendwann leisten, eine festangestellte Redaktionspoetin anzustellen. Zumindest träumen und schon einmal überlegen kann man ja, wer denn da am ehesten in Frage käme. Der Favorit eines Redakteurs ist leider nicht mehr am Leben: Wolfgang Pohrt. Der hat keine Gedichte geschrieben, mag man jetzt einwenden, aber Karl Held, ja, der vom Gegenstandpunkt, hatte Pohrt zumindest 1993 beim Konkret-Kongress als Dichter tituliert. Pohrt hatte damals eine ideologiekritische Reflexion über den deutschen Pogromrassismus vorgetragen, woraufhin Held ihm anschließend entgegenblaffte, er habe nur »Gedichte vor­gelesen, und weiter nichts! Und in diesen Gedichten sind Dinge vorgekommen, die eines Kommunisten unwürdig sind!« Anstatt zu dichten, solle Pohrt sich besser mal mit »DM, Welthandel und so Zeugs« beschäftigen.

Ein anderer Vorschlag war Joachim Ringelnatz. Zugegeben, der ist noch viel länger tot als Wolfgang Pohrt. Aber dafür hat er tatsächlich Gedichte geschrieben. Eines möchten wir unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten – als Kompensation gewissermaßen, dafür, dass es in der Jungle World dann doch oft um »Welthandel und so Zeugs« geht. »Die neuen Fernen«: In der Strato­sphäre, / Links vom Eingang, führt ein Gang / (Wenn er nicht verschüttet wäre) / Sieben Kilometer lang / Bis ins Ungefähre. / Dort erkennt man weit und breit / Nichts. Denn dort herrscht Dunkelheit. / Wenn man da die Augen schließt / Und sich langsam selbst erschießt, / Dann erinnert man sich gern / An den deutschen Abendstern.