Ein Gespräch mit Juan López de Uralde von Unidas Podemos über die politische Rechte und die Fleischindustrie in Spanien

»Es geht um Einfluss im ländlichen Spanien«

Interview Von Jan Marot

Kulturkampf mit Fleisch. Juan López de Uralde, Abgeordneter für Unidas Podemos, spricht über die spanische Rechte, ihre Verteidigung der Fleischindustrie und Fleischproduktion als Wahlkampfthema.

Ende Dezember hat der spanische Verbraucherschutzminister Alberto Garzón (Unidas Podemos, UP) im ­Interview mit dem britischen »Guardian« die spanische Fleischindus­trie und die Massentierhaltung kritisiert und gefordert, in Spanien müsse der Fleischkonsum reduziert werden, um Auswirkungen der Erd­erwärmung abzumildern und den Prozess der Wüstenbildung zu verlangsamen. Seither dominiert das Thema die Agitation der rechten und rechtsextremen Parteien gegen die linksgerichtete spanische Regierung. Warum ist das so?

Das ist typisch für die rechte Volkspartei (Partido Popular, PP) und die rechtsextreme Partei Vox. Sie suchen und nutzen jede Chance, den politischen Gegner zu attackieren, und das, indem sie Aussagen, in diesem Fall die von Garzón, verdrehen und verfälschen. Vor wenigen Tagen geschah mir Ähnliches wegen meines Auftritts in einem investigativen Fernsehprogramm über das Pestizid Glyphosat. Binnen kürzester Zeit warfen Rechte und Rechtsextreme mir und meiner Partei auf Twitter vor, wir wollten der spanischen Landwirtschaft den Todesstoß versetzen. Die Angriffe hatten nicht das Ausmaß wie diejenigen auf Garzón, aber es ist dieselbe Strategie: Man verdreht und verfälscht Aussagen und nutzt die sozialen Medien, um zu polemisieren. Hinsichtlich der Aussagen von Garzón ist ihnen das leider absolut geglückt. Bedauerlicherweise haben es die Rechtsextremen in Spanien geschafft, die Diskussionen zu bestimmen. Und der Partido Popular greift diese unreflektiert auf.

»Die extensive Schweinezucht ist hochproblematisch,weil sie die Umwelt stark belastet.«

Vertreterinnen und Vertreter Ihres Koalitionspartners, des sozialdemokratischen PSOE, distanzierten sich von den Aussagen Garzóns und meinten, es handele sich um »seine persönliche Meinung«. Der Landwirtschaftsminister Luis Planas (PSOE) empörte sich über die »ziemlich unglücklichen« Aussagen Garzóns und meinte, Ernährungsfragen gehörten nicht zu dessen Aufgabenbereich. Wie sehen Sie diese Reaktionen?

Der PSOE hat deutlich gezeigt, dass er an der Fleischproduktion und -industrie keine Kritik üben will. Aber damit haben die Vertreterinnen und Vertreter der Partei nur die Rechten und Rechtsextremen gestärkt und in der Debatte letztlich auch den Kürzeren gezogen. Sie mussten zwar Stellung beziehen, was sie in dieser Debatte lange nicht durchgehalten haben, sie standen mal auf der einen, mal auf der anderen ­Seite – das ist typisch für die Sozialdemokratie.

Die Fleischindustrie spielt in Spanien eine wichtige Rolle. Mittlerweile ist das Land nicht mehr nur – mit den Gewächshäusern zwischen Murcia und Almería – Obst- und Gemüselieferant, sondern nach Deutschland der zweitgrößte Fleischerzeuger in der EU. Welche ökologischen und sozialen Folgen hat das?

Die Fleischerzeugung hat in Spanien in den vergangenen Jahren einen immensen Zuwachs verzeichnet. Wir sind längst Nettoexporteure geworden, mehr noch, seit in China die Schweinepest die dortige Produktion stark gedrosselt hat. In ganz Spanien sind viele neue Massentierhaltungsbetriebe, in erster Linie zur extensiven Schweinezucht, entstanden. Diese Form der Zucht ist wegen der starken Belastung der Umwelt hochproblematisch. In ­erster Linie wird eine große Menge an Abfällen produziert und es ist nicht ­geklärt, wie man diese korrekt entsorgt und aufbereitet. Das Gros der Exkremente wird einfach über Tanklaster in die Böden entleert und verschmutzt das Grundwasser. Die Nitratbelastung im Trinkwasser ist in vielen Gemeinden Spaniens sehr hoch, oft über den EU-Grenzwerten.
Hinzu kommt, dass das Schweinefleisch nicht in Spanien weiterverarbeitet wird, sondern andernorts; es werden nur sehr wenige, schlecht bezahlte Arbeitsplätze geschaffen. Dahinter ­stehen eine Handvoll Großkonzerne der Fleischindustrie, die mit der Massenproduktion und Niedrigstpreisen kleineren, nachhaltiger wirtschaftenden Betrieben die Lebensgrundlage entziehen. Viele Kleinbetriebe müssen ­daher mit den großen zusammenarbeiten und begeben sich in Abhängigkeit von diesen. So mehren sich auch soziale Probleme, anstatt gelöst zu werden.

Ende Januar wurde das Rathaus von Lorca gestürmt. Im Umland der in der Provinz Murcia gelegenen Stadt wird unter anderem intensive Schweine- und Rinderzucht betrieben. Wie konnte es dazu kommen?

Der Angriff auf das Rathaus von Lorca Ende Januar, als Viehzüchter, Landwirte und Rechtsextreme, angestachelt von rechten und rechtsextremen Parteien, eine Institution der Demokratie stürmten, war ein extremes Beispiel für die Polarisierung. Dabei wollte der Stadtrat nur einen Mindestabstand von 1 500 Metern von Massentierhaltungsbetrieben zu Wohnbereichen beschließen, was eigentlich dem Gemeinwohl dient. Es war nicht einmal eine extreme Maßnahme.

Das ist Teil der Strategie der Rechtsextremen und Rechten, dass sie mit ­ihrer Agitation des Hasses den Sturm auf eine demokratische Einrichtung rechtfertigen. Sie haben zu dem Angriff nicht nur aufgestachelt, es folgten nicht einmal Worte der Kritik oder eine Distanzierung von den Vorkommnissen. Das ist eine überaus gefährliche Dynamik, die in Spanien in Gang gesetzt wurde, dass man gegen die demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter einer ­Gemeinde zur Gewalt greift. Wenn jegliche Initiative, die dem Schutz der Umwelt und auch der dort lebenden Menschen dient, auf diese Weise gebremst werden soll, dann sind wir ehrlich gesagt verloren.

Sind Fleischkonsum und -erzeugung zu einem weiteren Feld des »Kulturkampfs« der spanischen Rechten geworden?

Mehr als um das Fleisch per se geht es den Rechten und Rechtsextremen um ihren großen Einfluss im ländlichen Spanien. Und in diesem Rahmen wettern sie gegen jeden, der etwa die Jagd, den Jagdtourismus oder den Stierkampf kritisiert oder Formen der Landwirtschaft, die den Einsatz von Pestiziden wie Glyphosat oder Massentierhaltung bedeuten. In ihrer Propaganda stellen sie uns, UP, PSOE und andere Kleinparteien, als die »wahren Feinde des ländlichen Raums« dar; wobei die politischen Initiativen der Rechten kaum über den Tellerrand von Jagd und Stierkampf herausblicken.

Am Sonntag fanden in der autonomen Gemeinschaft Kastilien und León vorgezogene Regionalwahlen statt. Das ist einer der größten Re­gionen Spaniens, die Landwirtschaft und vor allem die Tierzucht sind in ihr von großer ökonomischer Bedeutung, die Landflucht stellt die Kommunen aber vor schwere Probleme. Bei den Wahlen im Mai 2019 erreichte der PSOE zwar die meisten Stimmen, die Regierung bildete allerdings der zweitplatzierte PP zusammen mit der drittplatzierten rechtsliberalen Partei Ciudadanos. Bei den jüngsten Wahlen haben rechte Parteien zusammen erneut die Mehrheit erlangt. Der PP kam mit 31,4 Prozent der Stimmen auf den ersten Platz, gefolgt vom PSOE mit 30 Prozent. Vox erhielt als Drittplatzierte 17,6 Prozent, ein enormer Zugewinn; Ciudadanos verlor hingegen deutlich und sank auf 4,5 Prozent. Im Wahlkampf war Fleisch das wichtigste Thema. Wie hatten die Parteien links der Mitte agiert?

Der ländliche Raum ist noch überaus divers. Wir von UP und den Grünen haben gezielt den Kontakt zu kleinen Vereinen gesucht, die gegen die Massentierhaltung auftreten, aber auch zu Nachbarschaftsvereinen in Kleinstädten und Dörfern. Auch sie gehören zum ländlichen Raum, nicht nur Großbetriebe, die Vox und der PP umwerben. Die Bevöl­kerung ist allerdings stark überaltert, viele der Älteren sind streng konser­vativ, erheben kaum ihre Stimme und wollen eigentlich nicht, dass sich etwas ändert an diesen noch feudal geprägten Strukturen. Wir konzentrieren uns auf jene Gesellschaftsgruppen, die einen Wandel hin zu nachhaltigeren, umweltschonenden Formen der landwirtschaftlichen Erzeugung und der Fleischproduktion wollen.

Wie wollen Sie von den Grünen, in Allianz mit UP, einen Wandel der Land- und Viehwirtschaft für das ländliche Spanien bewirken?

Zuallererst müssen wir es schaffen, in all diesen Bereichen die Debatte wieder zurück zu einer gewissen Rationalität zu führen. Es gibt viele politische Möglichkeiten, wie den Mindestabstand für Betriebe, der in Lorca hätte durchgesetzt werden sollen. Wir haben auch für sensible ökologische Zonen ein ­Moratorium befürwortet, damit dort keine neuen Massentierhaltungsbetriebe errichtet werden können. Dabei geht es um Schadensbegrenzung, aber nicht einmal das war zu erreichen. Im spanischen Parlament wurde dies abgewiesen, auch mit Gegenstimmen und Enthaltungen aus den Reihen des PSOE. Mittel- bis langfristig wollen wir von UP und den Grünen einen Wandel hin zur nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft. Wir haben zwar den Rückhalt von Teilen der lokalen Bevölkerung und Vereinen, aber politisch stehen wir in diesem Bereich fast völlig allein da.

Ist davon auszugehen, dass es zu ähnlichen Vorkommnissen wie in Lorca kommen wird?

Schwer zu sagen. Sicher ist, dass ein Verbund spanischer Großindustrieller Vox zu einem beachtlichen Teil finanziert. Und der PP folgt Vox politisch auf Schritt und Tritt, anstatt sich rationaler und »europäischer« zu positionieren. Das Wichtigste ist, die Debatte in demokratischen Bahnen zu halten.

 

Juan López de Uralde

Juan López de Uralde ist Abgeordneter im spanischen Parlament für das linke Parteienbündnis Unidas Podemos (UP). Im Abgeordnetenhaus leitet er die Kommission für ökologischen Wandel. Von 2001 bis 2010 war er leitender Direktor von Greenpeace España. 2011 gründete er die grüne Partei Equo mit, trat 2019 aber aus dieser aus. 2021 gründete er innerhalb von UP die grüne Partei Alianza Verde.