Rechtsrock im Zeitalter der Streaming-Dienste

Rechtsextreme Playlists

Musik ist wichtiges Propagandamittel von Rechtsextremen und dient der Finanzierung der Szene. Heutzutage wird sie größtenteils online verbreitet, auch auf Streaming-Diensten wie Spotify.

Besonders subtil war die Band Hetzjaeger nicht, als sie im Januar zum ersten Mal mit Song-Teasern in Erscheinung trat. Sowaren das H und das J im Bandnamen graphisch hervorgehoben. »Wenn du begreifst, dass Stück für Stück dein Land sich vor dem Feind ergibt«, lautet eine Zeile aus ihrem ersten Lied »Kameraden«, das allerdings zunächst nur als Hörprobe bei mehreren Plattformen veröffentlicht wurde. Der Gesang des Hetzjaeger-Frontmanns klang verdächtig nach dem der beliebten rechtsextremen Hooligan-Band Kategorie C. Auf Youtube wurde als Begleitung ein Kurzvideo veröffentlicht. Wie es einige Neonazi-Bands praktizieren, waren Musiker und Statisten maskiert. Angekündigt wurde zudem, der ganze Song werde am 30. Januar um 18.18 Uhr publiziert. Die Eins und die Acht stehen für die ­Initialen Adolf Hitlers, der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde.

Ende Januar lüftete der Hamburger Verein »Laut gegen Nazis« das Geheimnis: Er stand hinter dem Projekt, das Lied war als eine Art trojanisches Pferd gedacht, mit dem eine antifaschistische Botschaft in die Hörempfehlungen der Streaming-Dienste für Rechtsrock-Hörer transportiert werden sollte. Der vollständige Song wechselt nach 80 ­Sekunden (Fake-)Rechtsrock zu einem Appell gegen Nazis. »Wir kicken die ­Faschisten aus der Playlist raus! (…) Mit aller Kraft gegen den Hass!« heißt es im Lied weiter. Die Aktion wollte unter anderem demonstrieren, dass der Algorithmus der Streaming-Plattformen dazu beiträgt, rechtsextreme Musik und Propaganda zu verbreiten. Der Teaser hatte, vom Algorithmus gefördert, Interesse bei Rechtsextremen wecken sollen. Das gelang der Initiative nach eigenen Angaben. Die Band sei Probeaccounts automatisch empfohlen worden – zum Beispiel im Mix der Woche, in den Playlists oder als Tipp bei den Neuerscheinungen. Allerdings hatten zuvor schon einige miteinander vernetzte Musiker und Unternehmer aus der Rechtsrock-Szene geahnt, dass etwas mit Hetzjaeger nicht stimmte. Durch eine Sicherheitslücke bei Youtube waren sie offenbar an eine Kopie der ganzen Songs gelangt und veröffentlichten diese noch vor »Laut gegen Nazis«.

Mittlerweile bespielen Online- und Streaming-Plattformen wie Spotify, Deezer, Soundcloud, Youtube und Apple Music den Volksempfänger 2.0.

Musik ist schon lange ein wichtiges Propagandamittel von Rechtsextremen. Der Sänger der Neonazi-Kultband Skrewdriver, Ian Stuart Donaldson, sagte 1993 kurz vor seinem Unfalltod: »Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näherzubringen. Besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden.« Die Neonazi-Szene nutzt seit den frühen achtziger Jahren Musik im Stil der jeweiligen Zeit: Liedermacher, Rock, Heavy Metal und Punk, später auch Hard- und Moshcore, Techno und sogar HipHop.

In den neunziger Jahren erreichte in Deutschland die Zahl der Rechtsrockveröffentlichungen einen Höchststand. Damals war die Szene noch relativ unprofessionell, die politische Ideologie stand im Vordergrund. In den nuller Jahren »hat sich in Deutschland jedoch ein professioneller Rechtsrockmusikmarkt etabliert«, heißt es in einer Studie vom September vergangenen Jahres. Sie wurde vom Counter Extremism Project herausgebracht, einer internationalen NGO, die sich gegen politischen Extremismus einsetzt, vor allem gegen Islamismus und Rechtsextremismus. Derzeit gebe es der Studie zufolge in Deutschland »38 als relevant ein­zuschätzende Unternehmen am Markt, die in Sachen Produktion und/oder Versand von Tonträgern aktiv sind«. Die Musiker-Szene bestehe aus circa 150 Bands und 60 Liedermachern beziehungsweise Solistinnen. Diese eng ­verwobene Musikszene ist eine bedeutende Finanzquelle für deutsche Rechtsextreme. Vor der Covid-19-Pandemie seien ­einschlägige Konzerte von etwa 35 000 Besuchern jährlich besucht worden, heißt es in der Studie. Das würde einen Umsatz von schätzungsweise 1,5 bis zwei Millionen Euro bedeuten. Noch mehr Geld werde im Versandhandel mit Merchandise und Kleidung verdient. Physische Tonträger spielen dabei wie im normalen Musikmarkt eine immer kleinere Rolle: Die Musik wird vermehrt online verbreitet.

Die Neonazi-Kultband Division Germania sang im Song »Jugend in Bewegung«: »Jugend in Bewegung, in heißer Gegenwehr. (…) Land im Sturm, ein Volk, ein Reich, ein Ruf durch tausend Kehlen. (…) In unseren Adern fließt es weiter! Wir sind das Deutsche Reich!« Diese lupenreine Nazipropaganda wurde 2008 gratis im Internet verbreitet, auf dem Sampler »World Wide War Vol. 1« des italienischen Rechtsrock-Labels Perimetro. Sucht man heutzu­tage nach dem Lied, wird man auf unzähligen, meist im Ausland betriebenen Plattformen fündig.

Mitte der nuller Jahre kommunizierte die Szene zudem noch in den einschlägigen klassischen Internet-Foren. In dem der »Blood & Honour«-Bewegung, im Thiazi-Net oder dem Hatecore-Forum wurde darüber gestritten, ob man das Netzwerk aus Bands, Labels und Versandhändlern mit dem Kauf von Tonträgern unterstützen oder nicht besser deren Songs zwecks Generierung von Reichweite gratis im Internet verbreiten solle. MP3-Files der Lieder wurden da wohl schon längst auf Schulhöfen mittels Bluetooth zwischen den Handys getauscht. Wer seine Rechtsrock-Sammlung anderweitig vervollständigen wollte, konnte Youtube nutzen, wo selbst verbotene Songs zeitweise immer wieder zu finden waren. Mittels Download-Funktion konnte so ein umfangreiches digitales Archiv an Songs und Alben wachsen. Schon damals war es der Algorithmus, der einem neben legalen Songs auch menschenverachtende Hetze und Mordphantasien von Landser oder den Zillertaler Türkenjägern empfahl.

Mittlerweile bespielen Online- und Streaming-Plattformen wie Spotify, Deezer, Soundcloud, Youtube und Apple Music den Volksempfänger 2.0. Nazi-Musik ist bei nahezu allen Streaming-Diensten und Videoplattformen zu finden. Auf Spotify gibt es verschiedene Playlists mit Rechtsrock, eine heißt zum Beispiel schlicht »Rechtsextreme Musik« und enthält 32 Stunden Musik von verschiedenen Bands. Sucht man bei Apple Music Songs von Kategorie C, findet man etwa deren Single »Widerstand« von 2020. Die gibt es auch auf Youtube, sie hat dort über 80 000 Views. Auf Apple Music werden einem dann andere Rechtsrock-Bands vor­geschlagen oder Rapper, die der völkischen »Identitären Bewegung« nahestehen. Der bekannteste rechte Rapper ist wohl Chris Ares, der 2019 mit seinem Lied »Neuer Deutscher Standard« Platz sechs der wöchentlichen Download-Charts erreichte. Im Herbst 2020 zog er sich eigenen Angaben zufolge aus der rechtsextremen Szene und dem Musikgeschäft zurück.

Wie viel Geld über die Streaming-Dienste an rechte Bands fließt, ist nicht bekannt. Der Studie des Counter Ex­tremism Project zufolge verdienen Nazi-Bands auf Spotify kaum Geld. Auch die rechte Musikindustrie leidet wohl darunter, dass vieles inzwischen leicht im Internet verfügbar ist. Sie versucht dies durch Strategien zu kompensieren, die auch von normalen Plattenfirmen bekannt sind. Alben werden in üppig ausgestatteten, teureren »Fan-Versionen« angeboten. Ansonsten richtet man sich mit der Neuveröffentlichung älterer Songs, die in der Szene als Klassiker gelten, an ein in die Jahre gekommenes, aber zahlungskräftiges Publikum.