Ein Gespräch mit Konstantin Nimmerfroh über linke Selbstorganisation bei Fridays for Future

»Die Aktionsform Klimastreik hat sich totgelaufen«

Interview Von Luise Mosig

Neue Proteste braucht das Klima. Konstantin Nimmerfroh von der Klimaschutzbewegung »Fridays for Future« fordert neue linke Ansätze.

Ende Februar fand in Darmstadt der erste Basiskongress von Fridays for Future (FFF) als »Interregionale« statt. Wie ist die Interregionale entstanden?

Der Kongress entstand Anfang des Jahres aus der Idee, dass wir uns als linke Strömung innerhalb von FFF enger vernetzen wollen. Es ging unter anderem darum, sich kennenzulernen, weil bei FFF in den vergangenen Jahren viel ­online lief. Das Wochenende hatte drei Schwerpunkte: Vernetzung, Bildung und Praxisentwicklung. Es ging darum, zu erfahren, mit wem man sich da organisiert und welches Verständnis die anderen von politischer Arbeit haben. Die Vorträge waren inhaltlich sehr breit angelegt, von Antikolonialismus bis Antiableismus.

Dass über 100 Menschen aus über 30 Ortsgruppen an der Interregionale teilgenommen haben, war ein großer Erfolg. Bis zur von uns angestrebten Praxis haben wir aber noch einen langen Weg zu gehen.

Das heißt, es sind noch keine konkreten Aktionen geplant? Ein anderes Mitglied von FFF hatte im Gespräch mit der »Jungle World« im Dezember angekündigt, dass es »materielle Eingriffe in die fossile Wirtschaft« geben werde.

Es wurden bestimmte Sachen besprochen, wovon aber noch nichts ankündigungsfähig ist. Die Diskussionen werden jetzt weitergehen und noch vor einem zweiten Kongress, der hoffentlich noch im Sommer stattfinden wird, in konkrete Projekte münden. Dass es materielle Eingriffe in die fossile Wirtschaft geben soll, ist meines Erachtens Konsens, doch welche Aktionen wir  konkret machen wollen, ist noch nicht entschieden. Soweit ich weiß, sind für Lützerath (dort gibt es ein Protestcamp gegen den Braunkohleabbau, Anm. d. Red.) Aktionen geplant. Da es dort vorerst keine Räumung geben soll, ist das bisher nicht passiert.

Sie haben zwei Wochen vor der Interregionale auf Twitter geschrieben, dass Sie die innerhalb von FFF geführte Debatte über zivilen Ungehorsam sinnlos finden. Was meinen Sie damit?

Die Debatte, ob wir zivilen Ungehorsam ausüben wollen, ist nutzlos geworden, denn es passiert einfach. Einige Leute wollen anhand abstrakter Fallbeispiele immer noch diskutieren, ob wir bestimmte Aktionen machen sollten. Währenddessen haben das die Praxis bestimmter Ortsgruppen und die generelle Richtung der Bewegung schon entschieden. Die Frage ist also nicht mehr, ob wir zivilen Ungehorsam ausüben, sondern wie im konkreten Fall. Wir sollten diese Debatte nur anhand konkreter Projekte, beispielsweise Lützerath, führen. Alles andere ist Zeitverschwendung und frustrierend.

Wie blicken andere Gruppen bei FFF auf die Interregionale?

Vor dem Kongress gab es sehr kontroverse Diskussionen. Innerhalb von FFF herrscht große Angst vor Spaltung, die meiner Meinung nach unbegründet ist. Uns wird vorgeworfen, dass wir dadurch, dass wir solch einen Kongress organisieren und uns vernetzen, andere Meinungen in irgendeiner Form ausgrenzen. Das ist nicht passiert – jeder und jede konnte sich für die Interregionale anmelden. Diese Debatte über eine drohende Spaltung kocht bei FFF immer dann hoch, wenn linke Selbstorganisation passiert.

Wodurch ist solche linke Selbstorganisation derzeit gekennzeichnet?

Linke Kräfte innerhalb von FFF eignen sich gerade immer mehr Formate an, die bis dato eher Leute nutzten, die FFF in Richtung einer NGO prägen wollen. Bisher hat beispielsweise eher der realpolitische Flügel solche großen Treffen organisiert. Das machen wir jetzt einfach selbst. Auch Zentralstreiks, wie der im August in Frankfurt am Main mit Fokus auf dem Finanzsektor, setzt der linke Flügel immer öfter um.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Personen, die FFF parlamentarisieren wollten, zurückgezogen haben. Der Grund ist, dass der Klimawahl-Slogan bei der Bundestagswahl gescheitert ist, das hat dieser Kreis gemerkt. Der linke Flügel muss dieser Perspektivlosigkeit genau jetzt mit neuen Praxisansätzen begegnen.

Hat der linke Flügel mittlerweile eine Mehrheit innerhalb der Bewegung?

Ja, diesen Eindruck habe ich. Ich glaube, es gibt innerhalb von FFF mehr Menschen, die sie als kämpferische Bewegung auf der Straße sehen, als ­solche, die FFF als NGO wahrnehmen. Jetzt muss diskutiert werden, was genau es bedeutet, kämpferisch auf der Straße zu sein.

Für den 25. März hat FFF den nächsten weltweiten Klimastreik an­gekündigt. Im englischsprachigen Raum wird mit dem kapitalismuskritischen Hashtag #PeopleNotProfit mobilisiert. In Deutschland wird unter dem Slogan #ReichtHalt­Nicht mobilisiert, was suggeriert, dass sich die Bundesregierung ein bisschen mehr anstrengen müsse, damit die Klimakrise entschärft werden könne. Weshalb gibt es diese unterschiedlichen Deutungen?

Innerhalb von FFF Deutschland gibt es schon lange einen Konflikt darüber, ­inwieweit man die internationalen Losungen übernehmen sollte. Vor Klimastreiks hat FFF Deutschland nie den internationalen Hashtag benutzt. Das liegt zum einen daran, dass es immer deutliche inhaltliche Differenzen zwischen FFF Deutschland und der internationalen Ebene gab. Andererseits funktionieren deutschsprachige Hashtags hierzu­lande besser als englische.

Viele Ortsgruppen weigern sich, für den 25. März den Hashtag #ReichtHaltNicht zu benutzen, weil er zu klar realpolitisch aus­gerichtet ist. Sie wollen nicht darauf eingehen, wie viele Milliarden Euro zu wenig Robert Habeck irgendwo reingesteckt hat, sondern sehen die Klimakrise als ein Problem, das systemische Lösungen braucht. Deshalb rücken sie Antikapitalismus und Gerechtigkeitsfragen in den Mittelpunkt, so wie es auf internationaler Ebene getan wird. Es wird nicht der letzte Klima­streik sein, bei dem dieser Konflikt sichtbar wird.

In letzter Zeit hat eine andere Klima­bewegung, der »Aufstand der letzten Generation«, mit Sitzblockaden auf Autobahnen für Aufmerksamkeit gesorgt. Wieso verbündet sich FFF nicht mit dem »Aufstand«?

Ein großer Teil von FFF zeigt sich solidarisch mit dem »Aufstand«, denn wir kämpfen denselben Kampf. Doch es gibt aus meiner Sicht deutliche thematische und strategische Unterschiede. Dieser Schwerpunkt auf Lebensmittelrettung, den der »Aufstand« setzt, ist zwar ganz nett und auch wichtig, aber für mich reicht das nicht als Kern­forderung einer ganzen sozialen Bewegung aus. Außerdem finde ich die ­Aktionsform nicht sinnvoll.

Warum?

Wir müssen den Hebel an anderer Stelle setzen. Solche Blockaden können sinnvoll sein, wenn man sie nicht wahllos auf irgendeiner Autobahn durchführt, sondern beispielsweise gezielt Produktionsstätten lahmlegt. Den Zorn der Autofahrerinnen und -fahrer, die einfach nur zur Arbeit wollen, auf sich zu ziehen, ist taktisch unklug.

Wir hingegen sollten mit einer Massenbewegung genügend Durchschlagskraft erzeugen, dass Einzelne sich nicht mehr gezwungen fühlen, Hunger­streiks zu machen oder sich auf der A­utobahn festzukleben.

Für die Taktik des »Aufstands« spricht, dass er ein großes Medien­echo hervorgerufen hat, was FFF in den vergangenen Monaten nicht gelungen ist.

Nicht nur FFF, sondern die gesamte Klimagerechtigkeitsbewegung könnte sich eine Scheibe vom »Aufstand« abschneiden, weil diese Leute gerade die Einzigen in Deutschland sind, die Aktionen machen und so den öffentlichen Diskurs dominieren. Klar, Klimastreiks und Spontandemonstrationen, die ­coole Bilder produzieren, sind ganz nett. Der »Aufstand« aber hat es geschafft, eine kontroverse Aktionsform auf die Straße zu bringen und sich etwas zu trauen. Das hat großen Respekt verdient.

Dass FFF als vielleicht die größte unter den Klimagerechtigkeitsbewegungen gerade nicht mehr so wehtut, muss uns zu denken geben. Es sollte unser Ziel sein, dass wir wieder der Grund sind, weshalb die Politik Angst bekommt, weshalb eine Aktuelle Stunde im Bundestag anberaumt wird, weshalb sich irgendwelche FDP-Politikerinnen ärgern. Es sollte unser primäres Ziel sein, dass die Politik sich genauso über uns ärgert, wie sich LKW-Fahrer gerade über den »Aufstand« ärgern.

Weshalb ist FFF gerade so handlungsunfähig?

Das hat für mich einerseits sehr stark mit dem gescheiterten Versuch zu tun, die Bundestagswahl zur Klimawahl zu machen. Danach standen wir da und hatten keine Ahnung, was unsere Rolle als Klimabewegung mit der neuen ­Regierung sein wird. Andererseits müssen wir als linker Flügel uns den Vorwurf machen, dass wir es bisher nicht geschafft haben, diese Perspektivlosigkeit zu nutzen und aktiv zu werden. Wir sind erst auf dem Weg dahin.

Wir bei FFF müssen uns trauen, wieder Missfallen auf uns zu ziehen. Der Klimastreik ist eine Aktionsform, die sich in den vergangenen drei Jahren komplett totgelaufen hat. Es muss neue Handlungsfähigkeit her.

Im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine haben FFF-Ortsgruppen in vielen Städten Friedensdemonstrationen organisiert. Wie hat der Krieg den Protest von FFF verändert?

Ich habe den Eindruck, dass sich aufgrund des Kriegs gerade eine ganze Generation an Schülerinnen und Schülern politisiert. Unsere Aufgabe sollte es jetzt sein, diesen Menschen eine Orga­nisierung zu bieten oder ihnen dabei helfen, eine Organisation aufzubauen, damit diese Politisierung nicht einfach verpufft.

In Hamburg hat der Bildungssenator die Schulen gebeten, den Jugendlichen freizugeben, um ihnen eine Teilnahme an der von FFF organisierten Friedensdemonstration zu ermöglichen. Bei den Klimastreiks hat der Lehrerverband eine solche ­Praxis deutlich kritisiert. Wie positioniert sich FFF dazu?

Es sollte keine Kategorie für uns sein, ob irgendein Bildungssenator unseren Protest toll findet oder nicht, denn letztlich gehen wir auch gegen diese Regierung auf die Straße – egal ob bei ­Klima- oder Friedensdemonstrationen. Diese Regierung duldet gerade, dass an den Grenzen immer noch der rassistische Normalzustand herrscht. Diese Regierung plant gerade eine immense Aufrüstung der Bundeswehr. FFF muss das Ziel haben, dass diese Menge an Schülerinnen und Schülern auf die Straße geht, unabhängig davon, ob der Politik diese Demonstration gefällt. Wenn wir es nur schaffen, die Massen zu mobilisieren, wenn der Protest staatlich abgenickt ist, dann sollten wir uns als Schulstreikbewegung selbst hinterfragen.

 

Konstantin Nimmerfroh

Konstantin Nimmerfroh gehört der Klimaschutzbewegung Fridays for Future (FFF) an und hat deren ersten Basiskongress »Interregionale« mitorganisiert, der am letzten Februarwochenende in Darmstadt stattfand.