Der »Appell« gegen die Aufrüstungspläne der Bundesregierung

Der kleinste gemeinsame Nenner

Kommentar Von Lars Quadfasel

Zehntausende Menschen haben einen »Appell« genannten Aufruf gegen die Aufrüstungspläne der Bundesregierung unterschrieben.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat auch die gute alte Friedensbewegung kalt erwischt. Über Jahrzehnte ging man – von der Öffentlichkeit, wenn nicht gerade ein von den USA geführter Krieg anstand, weitestgehend unbeachtet – seinem Bewegungsgeschäft nach, zu mahnen und zu warnen, dass Waffen keinen Frieden schaffen. Nun ist man auf einmal damit konfrontiert, dass das, was man sonst als Propaganda der Kriegstreiber denunzierte, der russische Expansionismus, gar kein Hirngespinst ewiggestriger Kalter Krieger ist, sondern bittere Realität.

Ausdruck dieser Verunsicherung ist der »Appell« genannte Aufruf »Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!«. Initiiert von den üblichen Verdächtigen aus Politik, Kultur und Kirche, von Pax Christi bis zur Naturfreundejugend und von Jakob Augstein bis Katja Riemann, kommt er mit vergleichsweise wenig heißer Luft aus. Während der zombiekommunistische Flügel der Friedensbewegung wilde Verschwörungstheorien darüber strickt, wie die Nato Russland in die Falle gelockt habe, oder einfach gleich die russische Kriegspropaganda nachplappert – in dem Hamburger Vorort Wedel präsentiert der Infokasten der örtlichen »Friedenswerkstatt« nebst bunten Bildern mit Luftballons stolz Auszüge aus Wladimir Putins Kriegserklärung vom 24. Februar –, redet der Appell, was die Frage der Kriegsschuld betrifft, nicht lange um den heißen Brei herum.

Von Dingen, die jahrzehntelang als Essentials galten, einem Stopp der Waffenexporte oder der Nato-Osterweiterung, ist keine Rede mehr, und auch weltanschauliche pazifistische Bekenntnisse muss man schon mit der Lupe suchen. Was bleibt, ist der Minimalkonsens: Man mobilisiert gegen die 100 zusätzlichen Milliarden Euro für die Bundeswehr, die nach den Plänen der Verantwortlichen ­sogar im Grundgesetz verankert werden sollen. Und selbst hier argumentiert man eher pragmatisch: Russland werde das nicht abschrecken, den Ukrainern nicht helfen, und das Geld fehle dann anderswo, in der Bildung, der Armutsbekämpfung oder beim ­Klimawandel.

Dagegen ist sachlich wenig einzuwenden. Das Subventionspaket für die deutsche Rüstungsindustrie folgt weniger realen strategischen Erwägungen als vielmehr jenem in der postpolitischen Demokratie so beliebten Spektakel namens »Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen« (was keineswegs ausschließt, dass das ganze schöne Kriegsgerät nicht doch irgendwann unter großem Hallo zum Einsatz kommen wird). Und die Idee, dem Mumpitz auch noch Verfassungsrang zu geben, nur um ja nicht die bekloppte »Schuldenbremse« wieder herausstreichen zu müssen, ist in der Tat hane­büchen.

Aber die Beschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hilft auch, einige unbequeme Fragen zu vermeiden. Von pazifistischen Regierungsberatern, als die sich das Gros der mittlerweile gut 36 500 Unterzeichner wohl sieht, hätte man schon gerne gewusst, was denn stattdessen den Menschen in der Ukraine derzeit helfen würde. Wählen zu müssen zwischen der moralischen Verpflichtung, den Opfern eines völkischen Annexionskriegs beizustehen, und dem zivilisatorischen Gebot, der Nachfolgestaat des »Dritten Reichs« habe keine Waffen in Kriegsgebiete zu exportieren, führt ja wirklich in eine verteufelte realpolitische Aporie.

Kritikerinnen von Staat und Vaterland wiederum könnte der Aufruf auch daran erinnern, wie sehr man das alles schon kennt. Seit der sogenannten Wiedervereinigung vergeht ja kaum ein Jahr, in welchem nicht Linke beschwörend darauf hingewiesen hätten, dass jetzt aber wirklich der Dammbruch bevorstehe und Deutschland auf dem Sprung zur militärischen Supermacht sei. Auch die Autoren des Appells sind sich nicht recht einig, ob es sich bei der geplanten Aufrüstung um eine 180-Grad-Wende handelt oder bloß um die Fortsetzung der bisherigen Politik.

Grund genug vielleicht, sich zu fragen, ob die Behauptung, die Landsleute seien auf dem Schlachtfeld zu wer weiß was für Meisterleistungen fähig, weniger eine Warnung denn ein unverdientes Kompliment darstellt; und ob man, statt auf zukünftige militärische Schandtaten zu starren, nicht eher jenen friedlichen Verheerungen Beachtung schenken sollte, zu denen Deutschland jetzt schon ohne weiteres in der Lage ist – ob als Zuchtmeister Griechenlands in der EU oder als treuer Handelspartner aller Schreckensregime.