1974 wurde Neşet Danış in Hamburg von türkischen Rechtsextremen ermordet

»Wer seinen Gott liebt, erschlägt die Kommunisten«

Jahrzehntelang verfolgten türkische Rechtsextreme auch in der BRD ihre Gegner. Das zeigt das Beispiel von Neşet Danış, der 1974 in Hamburg von Mitgliedern der Grauen Wölfe ermordet wurde.

Manchmal mahlen die Mühlen des Rechtsstaats besonders langsam. »Wann endlich werden die Mordbanden der ›Grauen Wölfe‹ verboten?« fragte schon 1981 eine Flugschrift linker deutsch-türkischer Arbeitervereine. Über 40 Jahre später kann man dieselbe Frage immer noch stellen. Ende 2020 forderten die Bundestagsfraktionen von Union, SPD, FDP und Grüne in einem gemeinsamen Antrag die Regierung dazu auf, ein Verbot der Grauen Wölfe zu prüfen – die Linkspartei hatte in einem eigenen Antrag direkt ein Verbot gefordert. Seitdem prüft die Bundesregierung. Und prüft. Aber bisher ist sie zu keinem Ergebnis gekommen.

Diese türkischen Rechtsextremen – auch Ülkücü-Bewegung genannt – haben keine einheitliche Organisation, sie verteilen sich auf verschiedene Vereine und Verbände. In Deutschland hat es lange Tradition, die Grauen Wölfe gewähren zu lassen. Das liegt womöglich auch daran, dass die meisten, die von den Grauen Wölfe angegriffen, eingeschüchtert oder sogar getötet werden, nicht zur deutschen Mehrheitsgesellschaft gehören. Besonders brutal gingen die Grauen Wölfe in den siebziger und achtziger Jahren vor. Deutlich macht dies die Geschichte von Neşet Da­nış, dem wohl ersten Menschen, der in der BRD von türkischen Rechtsex­tremen ermordet wurde.

Die in Hamburg an den Tag gelegte Kumpanei zwischen deutschen Sicherheitsbehörden und türkischen Rechtsextremen hatte in den Jahren nach 1974 Konsequenzen.

»Ich sehe, wie Menschen in panischer Angst aus dem Saal rennen. Einer springt durch ein geschlossenes Fenster, andere laufen in einen Nebenraum und ziehen die Schiebetür hinter sich zu«, berichtete ein Rechtsanwalt über die Ereignisse am 5. Mai 1974 in der Gaststätte »Zum tiefen Brunnen« in Norderstedt. An diesem Tag sollte der zweite Anlauf der Vorstandswahlen des Vereins türkischer Arbeitnehmer in Hamburg und Umgebung stattfinden. Es hatte schon vorher bittere Konflikte um diese Wahl gegeben. Linke Gewerkschaftler und Arbeiter wollten verhindern, dass die Posten mit Rechtsextremen besetzt würden – als plötzlich bewaffnete Schlägertrupps die Veranstaltung stürmten.

»Minuten später stürzt eine Gruppe von Türken mit Stühlen und Stuhlbeinen heraus, an mir vorbei und reißt die Schiebetür auf«, berichtete der Anwalt weiter. Ein Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats soll das Überfallkommando angefeuert haben: »Schlagt zu, schlagt zu! Die Kommunisten wollen rein! Wer seinen Gott liebt, erschlägt die Kommunisten!« Die völlig überraschten Attackierten hätten versucht zu fliehen. Einige waren mit ihren Frauen und Kindern zur Versammlung gekommen. Gegenwehr habe es kaum gegeben. Mehrere Personen seien leicht, fünf schwer verletzt worden.

Mitten im Geschehen sei der Bauingenieur Neşet Danış gewesen. Sechs bis acht Schläger hätten ihn so lange traktiert, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Danış wurde lebensgefährlich am Kopf verletzt. Am 21. Mai erlag er im Krankenhaus Heidberg seinen schweren Verletzungen. Er war 30 Jahre alt.

Der Bericht des namentlich nicht genannten Rechtsanwalts erschien in der Broschüre »Faschistischer Mordanschlag auf türkische Arbeiter«, die unter anderem von der Ortsgruppe Hamburg der Roten Hilfe und dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) vertrieben wurde. Um die Details der damaligen Ereignisse zu rekonstruieren, muss man sich auf solche linken Publikationen und Flugblätter verlassen. Die Hamburger Morgenpost hatte damals zwar in einer Überschrift gefragt: »Was steckt hinter der Türkenschlägerei?« Doch die Antwort blieb man der Leserschaft schuldig. So genau wollte man es wohl nicht wissen.

Die Täter wurden nie gefasst. Der Broschüre zufolge nahmen die herbeigerufenen Polizisten damals nicht die Schläger, sondern einige der Opfer fest. Die eigens aus Hamburg angereiste Kriminalpolizei soll dabei aufs Engste mit den Konsulatsvertretern kooperiert haben. Mit dem Hinweis, es handle sich um »Anarchisten«, hätten Mitarbeiter des Konsulats der Polizei eine Schwarze Liste überreicht. Anhand dieser sollen einige der angegriffenen Arbeiter festgenommen worden sein. Die Schlägertrupps hingegen sollen freies Geleit erhalten haben und mit Kleinbussen zum Konsulat zurückgefahren sein. Mehrere Augenzeugen zufolge sollen die Angreifer Abzeichen getragen haben, auf denen die Silhouette eines heulenden Wolfes abgebildet war und der Spruch »Gott liebt die Türken« stand.

Als Reaktion auf die Ereignisse demonstrierten im Juni 1974 in Hamburg rund 2 000 Menschen. Dazu aufgerufen hatten unter anderem der Bund ausländischer Studenten, die Rote Hilfe, die KPD/ML, der türkische Bund der Arbeit sowie der Kommunistische Bund. Die Organisationen forderten den Rücktritt des Innensenators Hans-Ulrich Klose (SPD), weil dieser die Verantwortung für das Handeln der Polizei trage. Trotz mehrmaliger Aufforderung bezog Klose, der wenige Monate später Erster Bürgermeister wurde, nie öffentlich Stellung. Dadurch decke der Sozialdemokrat einen politischen Mord, schlussfolgerte der Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW) in einer Flugschrift.

Inzwischen ist der Tod von Neşet Da­nış weitgehend in Vergessenheit geraten. In vielen Chroniken rechtsextremer Morde kommt der türkische Bauinge­nieur nicht vor. Weder die Stadt Hamburg noch die Zivilgesellschaft gedenkt des Verstorbenen.

Die in Hamburg an den Tag gelegte Kumpanei zwischen deutschen Sicherheitsbehörden und türkischen Rechtsextremen hatte in den darauffolgenden Jahren Konsequenzen. Als der ideolo­gische Anführer der türkischen Rechtsextremen, Alparslan Türkeş, 1978 un­gehindert in der Dortmunder Westfalenhalle dazu aufrief, die Feinde der türkischen Nation auch in Deutschland anzugreifen, glaubten seine Anhänger offenbar, sich darauf verlassen zu können, dass ihre Straftaten kaum verfolgt würden. Davon berichtet eine Broschüre, die 1981 die Föderation der Türkischen Arbeitervereine (Fidef), die Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der BRD (Komkar) und der Fortschrittlich-Demokratische Arbeiter­verein (KDID) herausgaben. Ihr zufolge haben unmittelbar nach Türkeş’ Auftritt einige seiner Anhänger versucht, einen Bus mit Gegendemonstranten anzugreifen. Das sei zwar misslungen, aber die Botschaft der Rechtsextremisten war deutlich. Sie sollen ihren Gegnern zugerufen haben: »Uns schützt die deutsche Polizei. Wir werden euch ausrotten!«

In diesen Jahren kam es zu weiteren Angriffen türkischer Rechtsextremer. Zum Beispiel wurde 1980 der Kommunist Celalettin Kesim in Berlin-Kreuzberg ermordet. Die Broschüre der Arbeitervereine berichtet von Attacken auf ihre Büros, auch gebe es viele Übergriffe an den Arbeitsplätzen und im persönlichen Umfeld. Die in der Türkei erprobten Einschüchterungsstrategien wurden vor allem in den deutschen Fabriken angewandt. Die Autoren des Buchs »Graue Wölfe, Koranschulen, Idealistenvereine« berichten 1986, dass »Bedrohungen türkischer Gewerkschafter und Sozialarbeiter inzwischen an der Tagesordnung sind«.

Eine gewerkschaftliche Organisierung frisch aus der Türkei angekommener Arbeitskraftbehälter gezielt zu ­behindern, lag damals im Interesse der türkischen Rechtsextremisten – aber wohl auch in dem der deutschen Firmenleitungen. Der Tod eines angeworbenen Bauingenieurs störte den reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Normalbetriebs in der Bundesrepublik nicht. Eine Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft schon eher.