Das 70jährige Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. und die Sex Pistols

God Save the Queen

Warum die Sex Pistols nicht zum 70jährigen Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. eingeladen wurden.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Königin Elisabeth II. während der viertägigen Feierlichkeiten zu ihrem 70jährigen Thronjubiläum an ihr silbernes Jubiläum im Jahr 1977 zurückdachte. Zwar sollte das annus horribilis für das Königshaus, mit den Scheidungen ihrer Kinder Anne und Andrew, der immer wieder neue Schlagzeilen produzierenden Ehekrise von Charles und Diana sowie dem verheerenden Brand in Windsor Castle, erst 15 Jahre später eintreten. Gleichwohl erschütterte auch 1977 ein Skandal das Land und die Monarchie: Der Manager der Sex Pistols, Malcolm McLaren, hatte, um die Single »God Save the Queen« optimal zu promoten, während des Jubiläums ein Schiff gemietet, auf dem die Band unter anderem an den Houses of Parliament vorbeischipperte, während sie das Lied sehr laut spielte. Erwartungsgemäß nahm die Polizei einen Großteil der Fahrgäste fest, was zu viel Aufregung und sehr interessanten Bildern führte.

Es wäre zweifellos ein genialer Schachzug gewesen, die Sex Pistols zum Platin-Jubiläum einzuladen, allein, die Band ist mittlerweile noch zerstrittener als kurz vor ihrer Auflösung im Jahr 1978 und seit der dritten und letzten Reunion-Tour 2008 kommunizieren die unversöhnlichen Streithähne (John Lydon vs. Steve Jones / Paul Cook / Glen Matlock) hauptsächlich über Anwälte oder Presse. Derzeit ist man wegen der vor einigen Tagen gestarteten Serie »Pistols«, die auf der 2016 erschienenen Autobiografie von Steve Jones, »Lonely Boy. Tales from a Sex Pistol« basiert, sogar noch verkrachter. Weder sich noch andere schonend erzählt der mittlerweile von Rolling Stone zu den 100 besten Gitarristen der Welt gerechnete 66jährige Jones, wie er es schaffte, vom verstörten jungen Analphabeten und notorischen Kriminellen, der vom Stiefvater regelmäßig misshandelt und missbraucht wurde, zum mit Iggy Pop, Johnny Thunders und Bob Dylan zusammenarbeitenden Punkstar zu werden.

»Die Königin ist, auf ihre eigene Art und Weise, schon ein wenig ein ›Leftie‹.« ­ Ben Pimlott, Historiker

»Pistols« zeigt nicht nur, wie aus vier Arbeiterklassenjungs eine Band wurde, sondern auch, wie lähmend und unentrinnbar die Verhältnisse im Großbritannien der siebziger Jahre waren. John Lydon versuchte alles, um die Serie zu verhindern, scheiterte letztlich aber vor Gericht, weil sich die anderen ehemaligen Mitglieder der Sex Pistols einig waren. Und er versucht seit Erscheinen der Serie, ohne, wie er sagt, auch nur Ausschnitte gesehen zu haben, unermüdlich, sie zu diskreditieren. Zuletzt mokierte er sich darüber, dass die Geschichte aus dem Blickwinkel von Steve Jones gezeigt werde – ganz so, als zähle nur die Erinnerung desjenigen, der am lautesten schreit, als Wahrheit.

Königin Elisabeth dürfte das alles bekannt vorkommen, hatte das Königshaus doch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einigen Ärger mit Mitgliedern und unterschiedlichen Sichtweisen der Dinge. So hatten Prinz Harry und seine Frau Meghan in einem Fernseh-Interview nicht belegte Vorwürfe gegen die Royals geäußert, auf die die Königin mit dem Satz reagierte: »Recollections may vary.« (Erinnerungen können voneinander abweichen.)

Aus unklaren Gründen hatten Harry und Meghan allerdings nun darauf bestanden, an den Feierlichkeiten zum Thronjubiläum teilzunehmen. Selbst Zeitungen, die ihnen durchaus wohlgesinnt sind, gingen davon aus, dass sie hauptsächlich Aufnahmen für eine geplante Netflix-Serie machen wollten. Was sie vielleicht auch taten, allerdings nahmen sie, nur auf hinteren Plätzen sitzend, lediglich an einem Gottesdienst teil und kehrten noch vor dem Ende der Feierlichkeiten in die USA zurück.

Ähnlich aussichtslos dürfte auch eine Rückkehr in den Schoß der Pistols-Familie für John Lydon sein, dem einige seiner ehemaligen Kollegen vor dem ­Eklat um die im übrigen großartige Serie diverse politische Äußerungen zugunsten des EU-Austritts und Loblieder auf den Rechtspopulisten Nigel Farage sowie auf Donald Trump übel genommen hatten.

Nicht einmal in puncto Queen, deren »faschistisches Regime« man 1977 besang, ist man heutzutage noch einer Meinung. Glen Matlock sagte anlässlich des Re-Release von »God Save the Queen« zum Platin-Jubiläum, seine Sicht auf Königin und Vaterland habe sich nicht geändert, royaler, als ein Queens-Park-Rangers-Shirt zu tragen, werde es für ihn nicht, und er sei froh, während der Feiern nicht in England zu sein. Lydon äußerte, man habe nicht die Queen, die er im Übrigen sehr re­spektiere, als Person attackiert, sondern die Institution Monarchie, während Steve Jones bekannte, dass ihn die Königin einfach nicht interessiere und der Song für ihn damals bloß ein Witz gewesen sei: »Wir waren doch nur Kids, naiv, ja, aber auch bereit, loszulegen, wie man es eben mit 19, 20 ist.«

Die Serie zeigt allerdings auch, wie ernst die Sex Pistols, wenn auch unbeholfen, den Klassenstandpunkt nahmen. Weihnachten 1977 spielte die Band in Huddersfield ein Benefizkonzert für die Kinder seit neun Wochen streikender Feuerwehrleute. Keine Flüche, kein Herumrotzen, nur fun und Rücksicht auf die Kids, ermahnte John Lydon die Kollegen vorab, und damit begann ein großer Spaß für alle Beteiligten. In der Serie werden sich Lydon und Jones nach dem Ende der Sex Pistols damit trösten, dass ihnen die Erinnerung an Huddersfield immer bleiben wird.

Im wirklichen Leben wurde zwei Jahre später Margaret Thatcher Premierministerin und die Zerschlagung der Gewerkschaften begann. Die Königin war von dieser politischen Entwicklung nicht begeistert, wie der Historiker Ben Pimlott in seiner 1996 zum 70. Geburtstag der Königin erschienenen Biographie »The Queen. A Biography of Queen Elizabeth II« schreibt.

Pimlott konzentrierte sich in seinem heutzutage als Standardwerk geltenden Buch nicht auf die Skandale, glamou­rösen Events und den Pomp der Monarchie, sondern auf die Rolle und die Positionen der Queen im politischen Prozess. Und kam zum Schluss: »Die Königin ist, auf ihre eigene Art und Weise, schon ein wenig ein leftie.« So sei sie gegen die britische Beteiligung an der US-Invasion von Grenada gewesen, habe kein Verständnis dafür gehabt, dass Margaret Thatcher Sanktionen gegen den Apartheidstaat Südafrika vehement ablehnte, und habe den sogenannten Thatcherismus wegen seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber Ärmeren und Schwächeren abgelehnt.

Thatcher und die Königin hatten Zeitzeugen zufolge ohnehin ein eher schwieriges Verhältnis zueinander. Das lag nicht nur an der unterschiedlichen Herkunft der beiden Frauen; Margaret Thatcher, Tochter eines Kolonialwarenhändlers, wurde vom Establishment als Emporkömmling belächelt. Und ihre Versuche, sozusagen auf Augenhöhe mit der Monarchin zu kommunizieren, scheiterten nicht zuletzt daran, dass die Queen für ihren trockenen Witz bekannt ist, während Thatcher als weitgehend humorlos galt.

Die Journalistin und Biographin von Lady Di, Judy Wade, schildert im 2014 erschienenen Dokumentarfilm »The Queen and her Prime Ministers«, dass Thatcher vor einer Veranstaltung am Hof angefragt habe, was die Queen anlässlich eines anstehenden Galadiners zu tragen gedenke. Die Antwort muss die ehrgeizige Iron Lady sehr geschmerzt haben, denn sie lautete: »Keine Sorge, die Königin nimmt grundsätzlich nicht zur Kenntnis, was andere Frauen ­tragen.«

Obwohl Ben Pimlott in seinem Buch konstatiert, dass »die Monarchie Teil des Problems« gewesen sei, »das zu lösen die Mission des radikalen Konservatismus war«, versuchte Thatcher unermüdlich, einen guten Eindruck auf die Königin zu machen. Zu Terminen erschien sie grundsätzlich eine Viertelstunde zu früh, obwohl Elisabeth II. sie dann zuverlässig 15 Minuten lang warten ließ. Der Journalist Anthony Sampson schrieb 1982, dass Thatcher sich exaltiert aufführe wie eine Monarchin, während die Queen eher bodenständig sei und einen stilvollen Umgang mit Menschen pflege.

Sie werde weiter nach Kräften ihrem Land und dessen Einwohnern dienen, hatte Königin Elisabeth nach dem Ende der diesjährigen Feierlichkeiten erklärt. Nicht zuletzt durch die Parade am letzten Tag, bei der soziale und technische Entwicklungen der vergangenen 70 Jahre gezeigt wurden und unter anderem Drag Queens, Krankenpflegepersonal, berühmte Sportler und Popstars gefeiert wurden, hat die Monarchie jedenfalls eine Menge neuer Fans gewonnen. Viele von ihnen befürchten allerdings, dass die fragil wirkende Seniorin nicht mehr viele Jubiläen erleben wird.