Gegen den Klimaschutz bildet sich in Deutschland eine informelle Koalition

Woher der Wind weht

Was kümmert mich der Dax Von Jörn Schulz

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»Der Schutz der Anwohner vor Immissionen muss im Mittelpunkt unserer Politik stehen.« Wenn ein CDU-Politiker – in diesem Fall handelt es den umwelt- und energiepolitischen Sprecher der Fraktion im Thüringer Landtag, Thomas Gottweiss – so etwas sagt, kann man sicher sein, dass es nicht um die Reduzierung des Autoverkehrs in Großstädten oder Ähnliches geht, sondern um die imaginierte Lärmbelästigung durch Windräder. Das Motorgeräusch eines Autos beträgt beim Anfahren etwa 68 Dezibel, das Quaken eines Froschs kann 80 Dezibel erreichen, Vögeln zetern zuweilen sogar mit bis zu 90 Dezibel. Ein Windrad in 600 Metern Entfernung kommt auf 40 Dezibel, das entspricht dem Geräuschpegel in einer ruhigen Wohnung – der aber nur erreicht wird, wenn man sich vor ihr befindet. Und bei dieser nichtlinearen, logarithmischen Maßeinheit bedeutet eine Steigerung um zehn Dezibel eine Verdopplung der Lautstärke.

Nachdem die thüringische CDU gedroht hatte, gemeinsam mit AfD und FDP eine 1 000-Meter-Abstand von Wohnbebauung für Windräder gesetzlich zu verankern, lenkte die rot-rot-grüne Minderheits­regierung Anfang Juni ein; Ministerpräsident Bodo Ramelow (»Die Linke«) soll Medienberichten zufolge der CDU einen »Kompromiss« angeboten haben, der darin besteht, dass die 1 000-Meter-Abstandsregel durchkommt. Die Grünen nörgeln noch, doch wie immer sind Zweifel an der Standhaftigkeit dieser Partei angebracht. Die AfD wird also wohl bekommen, was sie will, ohne einen Finger rühren zu müssen. Antifa heißt Kapitulation – offenbar wendet die Linkspartei die Grundsätze ihrer Ukraine-Politik nun auch im Inland an.

Es erscheint erstaunlich, dass konservative, wirtschaftsliberale und rechtsextreme Politiker und ­Publizisten, die sonst über Krötenretter spotten und jeglichen Widerstand gegen Industrieprojekte als innovationsfeindliche Bedenkenträgerei geißeln, auf die mimosenhafte Empfindlichkeit einiger Landbewohner so große Rücksicht nehmen wollen. Meist ist der Verweis auf die angebliche Lärmbelästigung aber wohl schlicht ein Vorwand. »Der Ausbau der Windkraft droht durch die geplante Einführung einer Abstandsregel zum Erliegen zu kommen«, warnte das Bundesumweltamt 2019 – für die Feinde des Ausbaus erneuerbarer Energien dürfte das allerdings eine Aufforderung gewesen sein. Politiker von Union und FDP können sich nicht offen zur Sabotage der Klimapolitik bekennen. In Thüringen hat sich gezeigt, dass die Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD eine jederzeit ­widerrufbare taktische und keine grundsätzliche Entscheidung ist. Darüber hinaus bildet sich ein informelles Bündnis von Konservativen, Wirtschaftsliberalen und Rechtsextremen gegen den Klimaschutz, das zwar nicht von der gesamten Union und FDP getragen wird, dort aber bislang kaum auf Widerspruch stößt.