Eine Studie beschäftigt sich mit Schriftstellern, die im »Dritten Reich« blieben

Geblieben, um zu schreiben

Hans Fallada ist für Anatol Regnier das Paradebeispiel eines Schriftstellers, der sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren versuchte. Aus der Beschäftigung mit der Biographie Falladas ist eine umfangreiche Studie über Schriftsteller im Nationalsozialismus entstanden.

Der Autor und Musiker Anatol Regnier beschäftigt sich in seiner Studie »Jeder schreibt für sich allein« mit den Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die nicht ins Exil gegangen, sondern in Nazideutschland geblieben sind. Wer im »Dritten Reich« publizieren wollte, musste sich als Mitglied der Reichsschrifttums­kammer registrieren lassen. Wie regimetreu waren diese Literaten, wie viel Anpassung wurde verlangt, wie viel Opposition war möglich? Diesen Fragen geht Regnier anhand der Biographien so unterschiedlicher Schriftsteller wie Hans Fallada, Erich Kästner, Gottfried Benn, Ina Seidel, Will Vesper oder Hans Grimm nach, aber auch heute vergessene Namen werden erwähnt.

Zunächst hatte Regnier – Sohn der Schauspieler Pamela Wedekind und Charles Regnier sowie Enkel des Dramatikers Frank Wedekind – lediglich eine Biographie über Hans Fallada und dessen Haltung während des »Dritten Reiches« schreiben wollen. Als ihm der Germanist Peter Walther mit seiner 2017 veröffentlichten Fallada-Biographie zuvorkam, änderte Wedekind sein Konzept, fasste sein Thema sehr viel weiter und fügte seine Vorarbeiten zu Fal­lada in die nun vorliegende umfassende Studie ein. Sie beschäftigt sich sowohl mit den Regimetreuen als auch den Mitläufern, die anfangs weder überzeugte Nazis noch glühende Antisemiten waren. Manche Autoren radikalisierten sich während der zwölf Jahre der national­sozialistischen Herrschaft, andere suchten ihre Nischen, in ­denen sie sich aus der Politik herauszuhalten versuchten. Aktive Gegner des Regimes waren sie alle nicht.

»Benn verwickelt sich in Widersprüche, in dem Wissen, dass er sich zumindest mitschuldig gemacht hat.« Anatol Regnier

Regnier nähert sich den Biographien der in Nazideutschland Geblie­benen anhand von Briefen, Notizen, Tagebüchern und Manuskripten an. »Ich wollte nichts hinzudichten und mich nicht auf sekundäre Quellen verlassen, sondern nachvollziehen, welche Gedanken sie hatten, was sie dazu bewegt hat, diese auch für sie folgenschweren Entscheidungen zu treffen«, sagt Regnier im Gespräch mit Jungle World. Diese Herangehensweise hat ihre Berechtigung, sie stößt allerdings an ihre Grenzen, da sie nur das zutage fördert, was die Autoren auch selbst preisgeben. Insbesondere die Frage, was die deutschen Intellektuellen über die Judenvernichtung wussten, kann so nicht geklärt werden.

Das besondere Interesse des Verfassers an der Geschichte Hans Falladas ist der Studie »Jeder schreibt für sich allein« deutlich anzumerken. Bereits der Titel spielt auf Fallada und dessen letztes Buch »Jeder stirbt für sich allein« an. Regnier skizziert Falladas widersprüchliche Haltung, schildert dessen Unentschlossenheit und inneren Kämpfe, die schließlich in Alkoholismus, Gewalttätigkeit und körperlichem Verfall münden. »Fallada war mit Sicherheit kein Nazi, aber er hat nicht nur keinen Widerstand geleistet, sondern er hat auch, wenn es sein musste, Aufträge von Leuten angenommen, die überzeugte Nazis waren.« 1943 reiste er sogar im Auftrag der Regierung ins faschistische Spa­nien. Das schlechte Gewissen blieb.

Kurz vor Falladas Tod im Jahr 1947 erschien schließlich sein Roman »Jeder stirbt für sich allein«. Er handelt vom Ehepaar Anna und Otto Quangel, die nach dem Tod von Annas Bruder im Frankreich-Feldzug Postkarten und Flugblätter auslegen, um gegen das NS-Regime zu protestieren. Die Eheleute werden von einer Nachbarin denunziert und vom Volksgerichtshof wegen »Wehrkraftzersetzung« und »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode verurteilt. Falladas Buch sei sowohl als Selbstkritik wie auch als Kritik an all jenen zu verstehen, die weggesehen oder mitgemacht haben.

Gottfried Benn war einer der ersten Schriftsteller, die sich offen zum Nationalsozialismus bekannten. Am Abend des 24. April 1933 las er im Berliner Radiosender Funk-Stunde aus seinem Essay »Der neue Staat und die Intellektuellen«. Dieser neue Staat sei entgegen der Bestrebungen der Mehrheit der deutschen Intellektuellen entstanden, die eine »Revolution vom Nationalen« als »un­moralisch, wüst, gegen den Sinn der Geschichte gerichtet« verurteilt, aber der Politik Moskaus einen »moralischen Kredit« eingeräumt habe.

Das Kapitel »Raus aus allem« befasst sich mit Benns Aufenthalt in Hannover Mitte der dreißiger Jahre. Dort entstand auch seiner bekannter Aufsatz »Sein und Werden«. Darin beruft er sich auf den von Martin Heidegger beeinflussten Vordenker des italienischen Faschismus, Julius Evola: »Im Faschismus und Nationalsozialismus« sehe dieser die »Möglichkeiten einer frischen Bindung der Völker an die Traditionswelt, neuer Legitimierung für die Beziehungen zwischen Geist und Macht«, in der Lehre Evolas erkenne man »die Tiefe und das Epochemachende dieser Bewegung ganz besonders klar«.

Benn hatte sich zu dem Zeitpunkt von der NSDAP abgewandt: »Gewisse Dinge haben mir den ­letzten Stoß ­gegeben. Schauerliche Tragödie! Das Ganze kommt mir ­allmählich vor wie eine Schmiere, die fortwährend ›Faust‹ ankündigt, aber die Besetzung langt nur für ›Husarenfieber‹«, schrieb er nach dem sogenannten Röhm-Putsch an die Lyrikerin Ina Seidel.

Nach dem Krieg versuchte Benn, seinen Namen reinzuwaschen. In seinem 1950 erschienenen Buch »Doppelleben« fragte er sich, weshalb das deutsche Volk »diesem halben Dutzend Krakeeler, die seit nunmehr zehn Jahren dasselbe Geschwätz in denselben Sälen vor denselben gröhlenden Zuhörern periodisch abspulten« folgte. Glaubwürdig klingt das mit Blick auf seine Schriften der dreißiger Jahre nicht. »Benn verwickelt sich in Widersprüche, in dem Wissen, dass er sich zumindest mitschuldig gemacht hat«, sagt Regnier.

Dennoch erhielt Benn 1951 den renommierten Georg-Büchner-Preis, wurde Mitglied der Akademien in Darmstadt und München und bekam das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, obwohl einige seiner Schriften anfangs auf dem Index standen und Benn zunächst in der Schweiz veröffentlicht wurde. Trotz der Ehrungen wurde Benns Werk in einem Atemzug mit seiner frühen Zusammenarbeit mit dem NS-Regime genannt – dass dies einer Karriere in der Bundesrepublik nicht immer im Wege stand, ist hinlänglich bekannt.

Anders als Benn sind viele der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in dem Buch erwähnt werden, mittlerweile ebenso vergessen wie ihr Werk. Wer kennt noch Heinz Ste­guweit oder Josef Magnus Wehner? Wenn ihre Name auftauchen, dann im Zusammenhang mit der im Oktober 1933 veröffentlichten Erklärung »Gelöbnis treuester Gefolgschaft«. 88 Autoren bekundeten darin ihre Treue zu Adolf Hitler. Nach 1945 wurde die Unterschrift zu einer schweren Hypothek – egal, ob sie aus Über­zeugung oder aus Opportunismus unterschrieben hatten. »Das Werk verschwindet dahinter völlig«, sagt Regnier.

Hans Grimm, dessen Schrift »Volk ohne Raum« zum Schlagwort in ­Nazideutschland wurde, unterzeichnete die Erklärung nicht – obwohl er ein überzeugter Nationalist und Antisemit war. »Er ist nie der Partei beigetreten, hat gegen die NSDAP agitiert, ist mit Goebbels aneinander­geraten und wäre deshalb beinahe im KZ gelandet. Er war zwar ein nationaler Dichter, aber kein überzeugter Nazi. Das ist ein Unterschied«, glaubt Regnier und verweist ausgerechnet auf Hans Heyck, der zwar zwischen »national« und »nationalsozialistisch« unterschied, aber bereits 1931 in die NSDAP eingetreten war, stets völkische Themen bearbeitete und nach dem Krieg Mitglied im rechts­extremen Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes war.

Für viele habe es nach der »Machtergreifung« nicht mehr ausgereicht, national eingestellt zu sein. »Man musste nationalsozialistisch sein«, so Regnier. Das bedeutete: dem Führer zu folgen, das Parteiprogramm und die Ideologie zu verinnerlichen. »Es gab daher auch national eingestellte Leute, die nicht mitmachten. Für sie war der Nationalsozialismus eine Verunglimpfung des nationalen Gedankens. Daraus folgte auch die ­widersprüchliche Haltung, einerseits nicht mitzumachen, andererseits aber auch nicht in den Widerstand zu gehen«, glaubt Regnier.

Der Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wurde von einer Mehrheit der in Deutschland gebliebenen Autoren wohlwollend begrüßt, Unterschiede zwischen national und nationalsozialistisch traten in den Hintergrund: »Es ist ja auch eine Art Erleichterung, dass dieses Eitergeschwür endlich geplatzt ist. Für die Soldaten, die seit Monaten im Osten herumliegen – vielen unserer Bekannten darunter – wird die Aktivität sicher eine Art Erleichterung sein zunächst«, schrieb Annemarie Seidel an ihre Schwester Ina. Letztere widmet den Soldaten sogar ein zwölfzeiliges Gedicht, das in rund 40 Zeitungen abgedruckt wurde und für allgemeine Begeisterung sorgte. Am Schluss heißt es dort: »Unser Sorgen ist es, unser Beten, Unser dank, der Erde anvertraut – Doch auch wenn ihr vorgeht, immer treten Wir mit an, ob ihr uns gleich nicht schaut.«

Selbst der offenkundige Vernichtungskrieg in Osteuropa mit den Opfern auf den Schlachtfeldern, in den Lagern, Städten und Dörfern sorgte nur langsam für ein Umdenken. »Die Niederlage der 6. Armee in Stalingrad lässt zwar erste Zweifel aufkommen. Wer den Nationalsozialismus unterstützt oder sich zumindest mit ihm arrangiert hat«, resümiert Regnier auch im Hinblick auf die Nachkriegszeit, » wendet sich nicht von heute auf morgen von ihm ab.«

Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus. C. H. Beck, München 2020, 366 Seiten, 26 Euro