Teile der niederländischen Bauernprotestbewegung stehen rechtsextremen Parteien nahe

Stickige Luft

In den Niederlanden haben sich in den vergangenen Jahren sogenannte Bauernproteste gegen die Regierung immer weiter zugespitzt. Teile der Protestbewegung stehen rechtsextremen Parteien nahe.

Am Abend des 5. Juli nahm der 16jährige Jouke Hospes an einer Traktorkolonne teil, die auf dem Weg zu einer Blockade im Zuge der derzeitigen Bauernproteste war. Als die Kolonne auf eine Polizeiabsperrung stieß, begannen die Traktorfahrer, die Absperrung zu umfahren. Ein Polizist zog seine Waffe und schoss gezielt auf Hospes. »Ich verstehe es nicht. Ich bin einfach nur hinter den anderen Traktorfahrern hergefahren«, sagte dieser im Interview mit dem Nachrichtenportal Hart van Nederland. Er blieb unverletzt, doch der ­Vorfall sorgte international für Schlagzeilen.

Die Blockade, an der er sich nach dem Zwischenfall beteiligte, war Teil einer seit Monaten anhaltenden Protestwelle. Sie soll die Regierung unter Druck setzen, jüngst beschlossene Vorgaben zur Reduktion des Stickstoffausstoßes zurückzunehmen. Die Regierungspolitik sieht vor, den Viehbestand und den Düngerverbrauch stark zu vermindern. Viele Landwirte bangen um ihre Existenzgrundlage.

Die extreme Rechte spielt bei den Protesten eine prägende Rolle. Große Bedeutung hat die Organisation Farmers Defence Force (FDF) um den Landwirt Mark van den Oever.

Der Konflikt reicht Jahre zurück. Auf eine Klage von Umweltschutzgruppen hin hatte das höchste Gericht des Landes 2019 entschieden, dass die Niederlande ihren Stickstoffausstoß senken müssen, um EU-Vorgaben zu entsprechen. In seinem Urteil verbot das Gericht den Gemeinden, bestimmte Genehmigungen auszustellen, zum Beispiel für den Neubau von Wohnungen in ländlichen Gebieten, für den Ausbau von Landwirtschafts- und Industrieunternehmen; Düngerverbrauch und Viehhaltung sollten reduziert werden: Bis 2030 muss der Ausstoß im Durchschnitt um 50 Prozent reduziert werden, in Naturgebieten sogar um mehr als 70 Prozent.

Zwei Versuche, das Problem anzugehen, beispielsweise mit einem sich als unwirksam herausstellenden en Lizenzverfahren für Stickstoffemissionsrechte, scheiterten am Widerstand der Agrarlobby. Erst Anfang dieses Jahres wagte die wiedergewählte Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte von der wirtschaftsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) einen weiteren Anlauf. Sie ernannte die Wirtschaftsliberale Christianne van der Wal zur Ministerin für Natur und Stickstoff, ein neu geschaffener Posten, der dem Ministerium für Landwirtschaft, Natur und Lebensmittel­qualität unterstellt ist. Van der Wal sollte den jahrelang blockierten Prozess vorantreiben.

Unbeirrt von den erneut aufkeimenden Protesten legte sie im April den Aktionsplan »Aanpak Stikstof« (Stickstoff-Ansatz) dem Parlament vor. Im Mai und Juni erreichten die Proteste der Bauern mit Autobahnblockaden, brennenden Heuballen und teils gewaltsamen Ausschreitungen ihren bisherigen Höhepunkt. Doch sie konnten nicht verhindern, dass das Parlament die Pläne am 28. Juni verabschiedete.

Seitdem hat sich die Strategie der Landwirte verändert. Teile der Protestbewegung wenden sich von den etablierten Lobbyverbänden wie der Land- en Tuinbouworganisatie (Land- und Gartenbauorganisation, LTO) ab und kleineren, militanten Splittergruppen zu. Sie machen verstärkt Logistikketten großer Agrarunternehmen wie Campina oder Supermarktketten wie Lidl, Aldi und Poiesz zum Ziel ihrer Aktionen, etwa durch Blockaden von Verteilerzentren. Damit protestieren sie gegen die Preispolitik der konzentrierten Handelskapitale.

Zugleich richten sie damit die Aufmerksamkeit auf eine Schieflage in den Stickstoffvorgaben der Regierung. Die Landwirte verweisen nämlich darauf, dass andere Branchen noch deutlicher gegen Stickstoffemissionsauflagen verstießen als die Landwirtschaft. Eine Recherche der investigativen Plattform Pointer zeigt, dass etwa der Großkonzern Tata Steel in IJmuiden bei Amsterdam und der Energieerzeuger Rijnmond Energie in Rotterdam deutlich mehr Stickstoff ausstoßen, als nach aktuellen Vorgaben erlaubt wären. Immer wieder blockierten wütende Bauern darum die Zentrale von Tata Steel – was nichts daran ändert, dass die Landwirtschaft des zweitgrößten Agrarexportlandes der Welt für etwa 70 Prozent der vom Menschen verursachten Einträge von Stickstoffver­bindungen verantwortlich ist.

Einer Umfrage des Nachrichtenportals RTL Nieuws von Ende Juni zufolge bekundeten 83 Prozent der Befragten Sympathie für die Proteste der Landwirte. Als Zeichen der Unterstützung werden niederlandeweit umgedrehte Landesflaggen aufgehängt; auf See galt die sich dabei ergebende Farbfolge blau-weiß-rot früher als SOS-Signal. Dieses Symbol tauchte in den vergangenen Jahren vor allem auf Demonstrationen gegen die Pandemieschutzmaßnahmen der Regierung auf, es ist ein Markenzeichen des verschwörungsgläubigen bis extrem rechten Milieus.

Die extreme Rechte spielt bei den Protesten eine prägende Rolle. Große Bedeutung hat die Organisation Farmers Defence Force (FDF) um den Landwirt Mark van den Oever. Sie macht durch militante Aktionen auf sich aufmerksam, zum Beispiel durch Blockaden mit Traktoren und brennenden Heuballen. Auch an der Protestaktion, an der der 16jährige Hospes teilnahm, war die FDF beteiligt.

Die Organisation sucht offen den Schulterschluss mit der rechtslibertären Bauernpartei Boer Burger Beweging (BBB) von Caroline van der Plas, der extrem rechten Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit, PVV) von Geert Wilders und der rechten antisemitischen Partei Forum voor Democratie (Forum für Demokratie, FVD) um Thierry Baudet. Insbesondere Baudets Partei schaffte es zunächst, sich als Bündnispartnerin der Bauernproteste in Szene zu setzen, und trat schon 2019 als parlamentarischer Arm der FDF auf.

Die Proteste sind für die extreme Rechte gefundenes Fressen. Mit den überwiegend mittleren und kleinen Landwirtschaftsbetrieben können sie auf ein romantisierendes Symbol nationalen Unternehmertums und ländlicher Arbeit rekurrieren. Die etablierten Feindbilder EU, sogenannte Globalisten, internationale Großkonzerne und Klimabewegung erscheinen als »natürliche Gegner«. Strategisch zielt die Politik der extremen Rechten dabei vor allem auf die christlich-soziale ­Regierungspartei CDA. Die Agrarunternehmer stellen traditionell eine wichtige Klientel der Partei dar, die sich jedoch in den vergangenen Jahren immer mehr von ihr abwandte und ihr mit den derzeitigen Protesten gänzlich verlorenzugehen droht.

Doch die Strategie der ­extremen Rechten scheint nicht aufzugehen. Darauf deuten jüngste Umfragen hin, denen zufolge vor allem die BBB profitiert. Doch sollte diese erst 2019 gegründete Partei es nicht schaffen, die Protestbewegung an sich zu binden, könnte die Desintegration der CDA im ländlichen Raum eine substantielle Stärkung der extrem rechten Parteien PVV oder FVD zur Folge haben.