Die Bundesregierung streicht die Forschungsförderung zusammen

Akademische Austerität

In der Forschungsförderung der Bundesregierung drohen erhebliche Budgetkürzungen und Schwerpunktverschiebungen. Betroffene Wissenschaftler kritisieren eine intransparente Kommunikation und die Ausrichtung auf »schnellen Impact«.

Wer wissen will, was cancel culture tatsächlich bedeutet, konnte es in den vergangenen Wochen an den Verlautbarungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) studieren. Das von Bettina Stark-Watzinger (FDP) geleitete Ministerium hat mehrere Förderprogramme zusammengestrichen und die Verlängerung laufender Forschungsprojekte eingestellt. Besonders betroffen sind die Geistes- und Sozialwissenschaften, bei denen die Förderung dem Haushaltsentwurf für 2023 zufolge um zehn Prozent auf knapp 95 Millionen Euro sinken soll.

Hintergrund sind Einsparungen im Bundeshaushalt, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) seit Monaten angekündigt hat. Auf Twitter schrieb er Mitte Juni: »Wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, dann brauchen wir Gründergeist, unternehmerisches Risiko und auch Respekt vor Leistung wie eben Überstunden. Steuererhöhungen und Staatsschulden bringen uns keine Zukunft. Blame me for it!« Linder will im kommenden Jahr die sogenannte Schuldenbremse wieder einhalten, die seit 2009 im Grundgesetz festgeschrieben ist, aber 2020 pandemiebedingt ausgesetzt wurde. So konnte der Bund in den vergangenen drei Jahren in großem Umfang Kredite aufnehmen. Im Haushaltsentwurf für 2023 sieht das Bundesfinanzministerium nun um 50 Milliarden Euro geringere Ausgaben vor als im laufenden Jahr. Die Neuverschuldung soll um 120 Milliarden Euro sinken. Das Kabinett hat den Entwurf am 1. Juli ­gebilligt, nun muss der Bundestag entscheiden.

»Steuererhöhungen und Staatsschulden bringen uns keine Zukunft. Blame me for it!« Christian Linder auf Twitter

Was die Forderung nach Gründergeist, Überstunden und Kürzungen in der Praxis bedeutet, konnten man bereits Anfang Juni einem Schreiben des BMBF an das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt, einen Träger von Forschungsprojekten und Drittmittelgeber, entnehmen. Darin begründet das Ministerium die Aussetzung der Projektverlängerung mit »aktuell geringeren zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und neuen Schwerpunktsetzungen hin zu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen«. Eines der betroffenen Projekte ist das 2019 begonnene Klima- und Biodi­versitätsprojekt Biotip, an dem deutschlandweit knapp 130 Wissenschaftler in sieben Teilprojekten beteiligt sind. Sechs der Teilprojekte hatten im Februar Anträge auf eine Projektverlängerung eingereicht, die vom BMBF abgelehnt wurden.

Dass Verlängerungsanträge nicht bewilligt werden, gehört im kompetitiven Wissenschaftssystem Deutschlands zum Berufsrisiko. Unüblich ist allerdings, dass Schwerpunkte von Förderrichtlinien vor Ablauf der Projektlaufzeit verändert werden. Regine Schönenberg leitet eines der betroffenen Projekte am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. Ihr Team erforscht die gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen von Naturzerstörung im Amazonasgebiet. In den bisherigen Förderbescheiden sei die Projektverlängerung einkalkuliert gewesen, berichtet sie der Jungle World. Der Förderstopp bedeute, dass die Ergebnisse nicht wie gewünscht aufbereitet und kommuniziert werden können. Sie fordert mindestens ein Auslaufjahr, um diesen Wissenstransfer sicherzustellen.

»Besonders schlimm ist das für die Projektpartner im Globalen Süden«, so Schönenberg. Diese hätten vier Jahre lang in ein Forschungsprojekt investiert und warteten nun auf die Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Streichung dieser Transferphase sei ein gravierender Vertrauensbruch. »Das ist neokoloniale Wissenschaft«, kritisiert die Politikwissenschaftlerin. Die Folgen bekommt nun auch eine ihrer Doktorandinnen zu spüren: Da sie aus Guatemala stammt, ist ihr Aufenthaltstitel an die Projektlaufzeit geknüpft. Bis März muss sie eine alternative Förderung organisieren. Das ist kein leichtes Unterfangen, ­zumal bei anderen Förderprogramm ebenfalls Kürzungen drohen.

Neben dem BMBF stellt das Auswärtige Amt einen wichtigen Anteil der deutschen Forschungsfinanzierung. Das betrifft vor allem die Grundfinanzierung von internationaler Wissenschaftskooperation, die Institutionen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) leisteten. Im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungsparteien für diese Grundfinanzierung eigentlich auf eine jährliche Budgetsteigerung um drei Prozent verständigt.

Wie das Auswärtige Amt dem Tagesspiegel mitteilte, stehen jedoch beiden Organisationen aufgrund der Haushaltseinschnitte ebenfalls deutliche Kürzungen bevor. Bereits in diesem Jahr soll die institutionelle Förderung des DAAD von 204 Millionen Euro auf 195 Millionen Euro sinken. Im kommenden Jahr droht ein weiterer Rückgang um vier Millionen Euro. Bei der AvH sind Einsparungen von 6,3 Prozent in diesem und 7,8 Prozent im kommenden Jahr geplant.

Laut Angaben des DAAD würden durch die Kürzungen jährlich rund 700 Langzeitstipendien für ausländische Studierende, Promovierende und Forschende sowie etwa 5 000 Kurz­zeitförderungen für Vortrags- und Forschungsreisen wegfallen. Auch ein Fünftel der vom DAAD finanzierten Lektorate und Dozenturen an ausländischen Hochschulen sei mittelfristig ­gefährdet. Für das laufende Jahr hat der DAAD bereits viele Förderprogramme ausgesetzt. Die AvH geht davon aus, dass sie im laufenden Jahr etwa 30 Prozent weniger Forschungsstipendien ver­geben kann. Für das kommende Jahr drohe zudem die Einstellung von laufenden Programmen, darunter die erst 2021 eingeführten sogenannten Forschungshubs für deutsch-afrikanische Kooperationsprojekte.

In einem offenen Brief an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) haben über 3 200 Wissenschaftler nun zur Rücknahme der Kürzungen aufgerufen. In dem »Stop the Cuts!« betitelten Dokument heißt es, dass die Kürzungen das Ansehen Deutschlands als Wissenschaftsstandort und die Re­putation deutscher Universitäten und Hochschulen nachhaltig beschädigen würden. Zudem zementiere der Wegfall zahlreicher Fördermöglichkeiten ein Zweiklassensystem zwischen Wissenschaftlern mit unbefristeten Hochschulstellen und denen, die von Drittmitteln und Stipendien abhängig sind. Vor allem Letztere leiden unter den Kürzungen, wenn etwa Konferenzbesuche oder Forschungsaufenthalte nicht wie geplant stattfinden können.

Im internationalen Vergleich zeichnet sich das deutsche Hochschulsystem ohnehin durch besonders prekäre Arbeitsbedingungen aus. Die meisten ­Arbeitsverträge unterliegen dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das harte Qualifikationsziele festlegt. Wer es nach zwölf Jahren nicht geschafft hat, eine Professur zu erlangen, kann in der Regel nicht mehr auf Haushaltsstellen beschäftigt werden, also befristeten Mitarbeiterstellen, die zum Etat eines Lehrstuhls gehören. Vor kurzem hat die Hochschulrektorenkonferenz vorgeschlagen, diese Zeit bei der anstehenden Novellierung des Gesetzes sogar auf zehn Jahre zu verkürzen.

Eine Ausnahme sind sogenannte Drittmittelprojekte wie die Ausschreibungen des BMBF. Da hier die Förder­bescheide aber in der Regel sehr kurzfristig eintreffen, leben die Wissenschaftler mit einer großen Zukunftsunsicherheit. Sie müssen viel Zeit in Anträge investieren, die natürlich auch erfolglos bleiben können. Andere planen ihre berufliche Zukunft anhand von Stellen, von denen nicht gesichert ist, wie lange sie finanziert werden.

Auch die im März und Juni 2021 ausgeschriebenen Förderrichtlinien »Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie – Forschung für Integ­ration, Teilhabe und Erneuerung« und »Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus« sind von den Kürzungen beim BMBF betroffen. In einer Anfrage an die Bundesministerin für Bildung und Forschung kritisiert Paula-Irene Villa Braslavsky, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, dass Projekte, die eigentlich am 1. Juli hätten beginnen sollen, noch immer auf verbindliche Zuwendungsbescheide warteten. Universitäten können ohne diese Bescheide keine Arbeitsverträge ausstellen.

Als Betroffene hatte Villa Braslavsky am 7. Juli zu einem Online-Vernetzungstreffen eingeladen, an dem sich 65 Wissenschaftler aus den Bio-, Geo-, Ingenieur-, Geistes- und Sozialwissenschaften beteiligt haben. In der Diskussion wurde vor allem die intransparente Kommunikation des Minis­teriums moniert. Es sei völlige unklar, wie das BMBF mit den Förderricht­linien umgehe. »Stattdessen muss die wissenschaftliche Community sich momentan mit Tweets, einzelnen Telefonaten und sehr vagen E-Mails der Projektträger begnügen«, heißt es in einem Protokoll der Sitzung, das der Jungle World vorliegt.

Eine Sprecherin des Ministeriums verwies den Tagesspiegel auf die »Rahmenbedingungen« des Haushalts. Die Rede von »schnellem Impact« und den im Koalitionsvertrag angekündigten »Aufbruch in ein Innovationsjahrzehnt« muss die Forschung, wie es scheint, als Drohung verstehen.