Die deutsche Regierung will, dass die Kundinnen Gasversorgungsunternehmen retten

Konzernretter wider Willen

Die von der deutschen Bundesregierung beschlossene Gasumlage soll Energieunternehmen vor der Pleite bewahren. Gasverbraucher müssen ab Oktober rund 2,4 Cent pro Kilowattstunde mehr bezahlen. Um sie zu entlasten, soll die Mehrwertsteuer auf Gas gesenkt werden. Sozialverbände kritisieren die Maßnahmen als ungerecht.

Die kalte Jahreszeit rückt näher und damit häufen sich auch die düsteren Prophezeiungen. Die deutsche Bundesregierung macht sich anscheinend vor allem Sorgen, dass große Gasversorgungsunternehmen wegen der hohen Preise zusammenbrechen könnten. Das würde die gesamte Energieversorgung im Land gefährden, heißt es.

Weil Russland deutlich weniger Gas liefert als vereinbart, müssen Versorgungsunternehmen wie Uniper mit Sitz in Düsseldorf das fehlende Gas zu deutlich höheren Preisen von anderen Produzenten einkaufen. Da die Unternehmen langfristige Verträge mit ihren Abnehmern eingegangen sind, bleiben sie auf den zusätzlichen Kosten sitzen. Uniper argumentiert, dass es dadurch in eine unverschuldete Notlage geraten sei. Es sei nicht absehbar gewesen, dass die russischen Vertragspartner ihre Verpflichtungen nicht erfüllen würden. Im ersten Halbjahr 2022 machte der Konzern pro Minute 50 000 Euro Verlust.

Um den Kollaps dieser Unternehmen zu verhindern, hat die Bundesregierung Mitte August per Verordnung die befristete Einführung der sogenannten Gasumlage beschlossen. Alle Abnehmerinnen und Abnehmer sollen vom kommenden Oktober bis einschließlich März 2024 2,419 Cent mehr pro Kilowattstunde zahlen. Die zusätzlichen Einnahmen sollen als finanzieller Ausgleich für die Importeure dienen, um deren Insolvenz zu verhindern. Zwar heißt es im Begründungsteil der Verordnung, dass die zusätzlichen Zahlungen »nicht zu einer Absicherung von Gewinnen auf Kosten der Verbraucher führen« dürften, doch wie dies verhindert werden soll, ist unklar. Gasbeziehende Privathaushalte müssen damit rechnen, dass ihre Energieversorgung um einige Hundert Euro jährlich teurer wird.

Einem Bericht des Wirtschaftsnachrichtenportals Business Insider zufolge soll die Idee für die Gasumlage von Rating-Agenturen und aus dem Umfeld von Uniper gekommen sein. Zudem sollen demnach Vertreter von Uniper und »Bosse zweier großer Energiekonzerne persönlich« an der Ausformulierung der Verordnung beteiligt gewesen sein.

Gasbeziehende Privathaushalte müssen damit rechnen, dass ihre Energieversorgung um einige Hundert Euro jährlich teurer wird.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die Umlage als »möglichst ­gerechte Form«, in der sich die Versorgung in Deutschland sicherstellen lasse. Schließlich seien alle Verbraucher davon betroffen. Diese Sicht der Dinge teilen die Sozialverbände allerdings nicht. So sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, der Welt: »Es ist fatal, wenn davon gesprochen wird, dass wir alle unter den Preiserhöhungen leiden und wir alle ärmer werden. Das stimmt nicht.« Rund die Hälfte der deutschen Haushalte verfüge über ein ausreichendes Einkommen, um keiner Entlastung zu bedürfen. Zwar sei auch für sie ärgerlich, was passiere. »Sie sind derzeit aber nicht so betroffen, dass sie nicht wissen, wie sie über den Monat kommen«, so Schneider.

Auch der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge bezweifelt in der Welt Habecks Aussage: »Beim Gaspreis gerät die soziale Gerechtigkeit an ihre Grenzen. Um gerecht zu entlasten, müsste man berücksichtigen, wie viel Wohnraum zu beheizen und wie dieser gedämmt ist, aber auch das Haushaltsnettoeinkommen kennen, aus dem die Heizkosten beglichen werden.«
Seit die Liste der Unternehmen, die einen Antrag auf die Ausgleichszahlungen gestellt haben, bekannt geworden ist, hat die Kritik noch einmal deutlich zugenommen. Denn auf der Liste finden sich auch Unternehmen, die hohe Gewinne gemacht haben, wie beispielsweise Vitol. Der Ölhändler mit Sitzen in den Niederlanden und der Schweiz hat dank der steigenden Energiepreise im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von mehr als vier Milliarden US-Dollar erwirtschaftet.

»Die Gasumlage ist quasi eine Übergewinnumlage«, sagte der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn (CDU), »auch Konzerne mit Milliardengewinnen erhalten Geld, die Bürger zahlen über die Gasrechnung.« Die Leiterin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen), fordert deshalb eine genaue Prüfung der Anträge: »Die Bundesregierung hat klar gesagt, dass die Gasumlage von den Unternehmen nur zur Insolvenzvermeidung in Anspruch genommen werden darf und nicht zur Absicherung von Gewinnen.«

Selbst die FDP fordert mittlerweile vom Bundeswirtschaftsministerium, die Vorgaben für die Gasumlage zu verschärfen, damit wirtschaftlich erfolgreiche Energieversorgungsunternehmen nicht davon profitieren. Die Kritik erinnert an die am umstrittenen Tankrabatt, der diese Woche ausgelaufen ist. Anfang Juni senkte die Bundesregierung die Energiesteuer, was zu deutlich niedrigeren Preisen für Benzin und Diesel führen sollte. Rund 17 Milliarden Euro kostete nach Schätzungen des Bundesfinanzministeriums die Maßnahme, die anfänglich wenig Wirkung zeigte. Schnell wurde der Vorwurf laut, die Mineralölkonzerne würden die Preissenkungen nicht in vollem Umfang an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben.

Die Bundesregierung zögerte zunächst, die Verordnung zur Gasumlage zu verändern. Sie argumentierte, 90 Prozent der 34 Milliarden Euro, die für die Gasumlage bis April 2024 prognostiziert werden, entfielen ohnehin nur auf Uniper sowie das Unternehmen Securing Energy for Europe (SEFE; bis Ende Juni firmierte es noch als Gazprom Germania), deren Tochtergesellschaft Wingas beziehungsweise deren Hauptvertragspartner VNG (Verbundnetz Gas). Am Sonntag kündigte Habeck dann an, die Verordnung zu ändern. Damit solle verhindert werden, dass wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen von der Umlage profitieren. »Wir müssen sehen, dass diese Unternehmen, die eigentlich keinen Zugang zu dieser Umlage brauchen, ihn auch nicht bekommen«, sagte er in der ZDF-Sendung »Heute Journal«.

Über einen Umweg will die Bundes­regierung die finanzielle Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher verringern. So soll auf Gas bis Ende März 2024 ein ermäßigter Steuersatz von sieben statt bisher 19 Prozent gelten. Die ermäßigte Mehrwertsteuer wird auf Waren der Grundversorgung angewendet, also etwa Brot oder Kartoffeln, aber auch auf Bücher und Theaterkarten.

Das dürfte die finanzielle Belastung für die Konsumentinnen und Konsumenten tatsächlich deutlich reduzieren, ist aber auch für die Bundesregierung eine teure Angelegenheit, da ihr dadurch hohe Steuereinnahmen entgehen. Genauso gut hätte die Bundesregierung daher die Verbraucherinnen und Verbraucher direkt entlasten können. Warum hat sie also stattdessen ein umständliches und intransparentes Verfahren gewählt?

»Es ist widersprüchlich«, sagte der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, Clemens Fuest, »Gaspreise erst durch eine Umlage zu erhöhen und sie dann durch eine Umsatzsteuersenkung wieder zu verbilligen.« Und der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, schrieb auf Twitter: »Die Bundesregierung gibt an, die finanzielle Entlastung durch die geringere Mehrwertsteuer kompensiere die höheren Kosten durch die Gasumlage. Frage: Wieso trägt die Bundesregierung die Gasumlage dann nicht selbst und spart sich viel zusätz­licher Bürokratie und Unsicherheit?«

Eine direkte Finanzierung wäre nur über deutliche höhere Staatsausgaben möglich. Wegen der geplanten Wiederinkraftsetzung der sogenannten Schuldenbremse zum kommenden Jahr können jedoch nur sehr bedingt neue Kredite aufgenommen werden. Und eine Gegenfinanzierung zum Beispiel durch eine Übergewinnsteuer scheitert am kategorischen Widerstand der FDP, der aber auch einigen Sozialdemokraten offenbar ganz gelegen kommt.

Dabei sind mehrere andere europäische Länder gerade dabei, eine solche Übergewinnsteuer einzuführen. Spanien will damit in den nächsten zwei Jahren etwa sieben Milliarden Euro einnehmen und direkt für Sozialausgaben verwenden, vor allem im Bereich des ÖPNV: Von September bis Dezember gibt es im öffentlichen Nahverkehr Mehrfachfahrkarten gratis. Belgien beabsichtigt, Übergewinne von Energieunternehmen mit 25 Prozent zu besteuern und mit den Einnahmen ebenfalls die Energiekosten für Privathaushalte zu senken. Italien, Österreich und Frankreich erwägen einen solchen Schritt oder sind dabei, ihn zu vollziehen. Europaweit verdienten Energiekonzerne in der jüngsten Vergangenheit ausgezeichnet. Und auch der Essener Energiekonzern RWE hat seine Gewinnerwartungen für dieses Jahr deutlich erhöht – statt von knapp vier Milliarden Euro geht man nun von fünfeinhalb Milliarden Euro aus.