Für queere Menschen gibt es in der Öffentlichkeit keine sicheren Räume

Schreckliche Hilflosigkeit

Bodycheck - Die Kolumne zu Biopolitik und Alltag Von Kirsten Achtelik

Die Zahl der Angriffe auf queere und transgeschlechtliche Menschen nimmt zu. Die Mel­­dun­gen häufen sich, es waren in den vergangenen Wochen so viele, dass man kaum noch hinterher kommt.

Am 2. September starb der 25jährige transgeschlechtliche Mann Malte C. infolge schwerer Kopfverletzungen. Eine knappe Woche zuvor war er dazwischengegangen, als andere Teilnehmende beim Christopher Street Day (CSD) in Münster lesben- und frauenfeindlich ­beschimpft worden waren. Der mittlerweile festgenommene mutmaßliche Täter Nuradi A. hatte C. mehrfach ins Gesicht geschlagen.

Nur einen Tag nach C.s Tod wurde eine 57jährige transgeschlecht­liche Frau in einer Bremer Straßenbahn aus einer Gruppe Jugend­licher heraus attackiert und schwer verletzt. An dem Tag hatte in der Stadt der »Trans*Inter*Dyke*-March« stattgefunden. Am selben Wochenende griffen drei maskierte Unbekannte beim CSD in Dresden mehrere Menschen an und verletzten sie schwer.

CSDs, Pride- und Dyke-Marches sind keine safe spaces. Das weiß man eigentlich, aber für als queer erkennbare Menschen gibt es in der Öffentlichkeit sowieso keine sicheren Räume. Es gibt aber Räume, die sicherer sind als andere oder sich zumindest so anfühlen. Auf Demonstrationen für queere Sichtbarkeit und Rechte kann es ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und des aufeinander Aufpassens geben, das Sicherheit vermittelt. Wenn ausgerechnet solche Orte angegriffen werden, erschüttert das dieses Gefühl.

C. hat sich eingemischt, als andere Teilnehmerinnen des CSD beleidigt wurden. Er hat versucht zu schlichten und so den Raum wieder sicherer zu machen. Das hat er mit dem Leben bezahlt. Der Schock in der Community sitzt noch tief, die Hilflosigkeit ist groß.

Die Zahl der Straftaten gegen queere Menschen steigt: Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 870 Straftaten aufgrund von sexueller Orientierung, davon 154 Fälle von Körperverletzung. 2020 waren es noch 578 Straftaten und 114 Körperverletzungen. Transfeindliche Straftaten werden vom Bundeskriminalamt erst seit 2020 erfasst, unter dem Begriff »Geschlecht / Sexuelle Identität«. Während vor zwei Jahren noch 204 Straftaten registriert wurden, waren es 2021 schon 340 – ein Anstieg um mehr als 66 Prozent. Bei 51 dieser Straftaten des vergangenen Jahres handelt es sich um Körperverletzungen. Es muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden; viele Taten werden nicht angezeigt. Gerade marginalisierte queere Personen haben oft schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht.

Welche Motivation die Täter und Täterinnen jeweils haben, ist im Detail oft schwer festzustellen. Man erwischt sie nicht, und falls doch, sagen sie nicht aus, auch weil nachgewiesene Hasskriminalität das Strafmaß beträchtlich erhöhen kann. Nach dem Angriff auf C. diskutierte die Szene, ob es ein queer- oder ein originär transfeindlicher Angriff war. In den sozialen Medien wurde die Kampa­gne in der Welt und Emma gegen den Entwurf eines Selbstbestimmungsgesetzes für die Tat verantwortlich gemacht, die Hass und Aggressionen gegen transgeschlechtliche Personen schüre.

Die »genderkritische« Strömung, die nicht als Terfs bezeichnet werden will, stellte in Frage, ob C. als Transmann erkannt worden sei, missgenderte das Opfer und wollte in dem Angriff lediglich eine frauenfeindliche Tat sehen. Als der mutmaßliche Täter verhaftet wurde, konzentrierte sich die öffentliche Debatte auf seine russisch-tschetschenische Herkunft, über Kontakte zu Islamisten und in die Drogenszene wurde spekuliert.

Der mutmaßliche Täter von Münster dürfte wohl genauso wenig wie die inzwischen festgenommenen, teilweise erst zwölf Jahre ­alten mutmaßlichen Täter von Bremen Die Welt oder die Emma abonniert haben. Normalos finden Queers, ihre Identität, ihr Begehren und ihre Lebensweise ohnehin oft zumindest merkwürdig, häufig tatsächlich ekelhaft. Wenn eine Gruppe davon, wie derzeit transgeschlechtliche Menschen, als besonders problematisch markiert wird, als gefährlich für Frauen und Kinder, dann kann das ­genauso einen Unterschied machen wie islamistische Propaganda.

Die konkrete Diskussion über ein Selbstbestimmungsgesetz, das es trans- und nicht binärgeschlechtlichen Menschen ermöglichen würde, beim Standesamt ihren Personenstand und Vornamen zu ändern, hat gerade erst begonnen. Alles, was vermeintlich dagegen spricht, sind vorgeschobene Gründe, für die es keine Belege gibt. Die Frauenhauskoordinierung e. V. erklärte am Dienstag, sich dafür einzusetzen, »dass alle Frauen diskriminierungsfreien und hürdenarmen Zugang zu Schutz vor Gewalt erhalten« – und ergänzte, mit »alle Frauen« seien »grundsätzlich cis Frauen, trans* Frauen, intergeschlechtliche Frauen sowie alle Menschen, die sich als Frauen oder Mädchen verstehen«, gemeint.

Vorurteile werden häufig hinter Sorgen und Mitgefühl versteckt. So sagte die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) im Interview mit dem Fernsehsender Welt, dass »Transsexualität« durch die Abschaffung der psychologischen Gutachten »bagatellisiert« würde und darunter die »Anerkennung, die Transsexualität gesellschaftlich erfährt, wieder leiden werde«. Das derzeitige Transsexuellengesetz verlangt den Nachweis, dass Menschen krank sind und durch eine Geschlechtsangleichung geheilt werden können. Auf dieser Sichtweise zu bestehen, vorgeblich zum Wohle der Betroffenen, ist grotesk. Wenn man als linker, progressiver Mensch klingt wie Schröder, sollte man sich vielleicht Gedanken machen, was an der eigenen Haltung noch progressiv ist.

Am 20. September soll auf Einladung des Bundesinnenministeriums ein Expertengremium zur »Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt« die Arbeit aufnehmen. Ob dabei mehr herauskommt als warme Worte und Sensibilisierungsabsichten, bleibt abzuwarten.