Die junge Generation kämpft für Freiheit und gegen die Islamische Republik

Nicht weniger als die Freiheit

Die Proteste gegen das islamische Regime im Iran werden von einer jungen Generation getragen, die für ihre Freiheit kämpft. Der Mythos der Islamischen Revolution von 1979 hat ihnen nichts mehr anzubieten.

Seit Mitte September zeigt die Islamische Republik Iran der Welt einmal mehr, wie abgehalftert sie ist. Nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Moralpolizei finden die Demonstrationen im Iran kein Ende. Nach Schätzung der norwegischen NGO Iran Human Rights sind dabei bis Ende September 133 Menschen getötet worden. Das Regime antwortet, wie es bisher auch immer auf Proteste geantwortet hat: Es droht, lässt schießen und verhaftet, das Internet wird weitgehend abgeschaltet – aber ein paar »Reformer« dürfen auch kritische Einwände machen. Und schließlich hat sich auch der Oberste Führer Ali Khamenei geäußert, er machte wenig originell Israel und die USA für die Proteste verantwortlich. Man hatte ihn wegen seines Schweigens schon, wieder einmal, für todkrank gehalten, Khamenei ist immerhin 83 Jahre alt.

Die Demonstranten und vor allem Demonstrantinnen im Iran sind hingegen sehr jung. Der Protest wird diesmal maßgeblich von Frauen getragen, die ihre heruntergerissenen Kopftücher wie Siegestrophäen in der Luft schwenken, sie verbrennen oder gar mit unbedecktem Haupthaar durch die Straßen gehen. Andere schneiden sich die langen Haare öffentlich ab. Es sind starke Symbolbilder, mit denen die Geschichte der Islamischen Republik wieder zu ihrem Anfang zurückkehrt.

Die Einführung des Kopftuchzwangs war nicht nur Propagandagetöse aus der Zeit der Machtübernahme durch Khomeini und die Religiösen 1979, die weibliche Verhüllung war und ist das zentrale Symbol der Islamischen Republik Iran.

Der Zwang zur Bedeckung des weiblichen Haares war nicht nur Propagandagetöse aus der Zeit der Machtübernahme durch Khomeini und die Religiösen 1979, die Verhüllung war und ist das zentrale Symbol der Islamischen Republik Iran. Die penetrante und wie zwanghaft wirkende Fixierung auf die weibliche Kopfbedeckung ist darüber hinaus konstituierend für den Politischen Islam. Die Protestwelle im Iran stellt somit das System ganz grundsätzlich in Frage.

Die Islamische Republik hat darauf keine Antwort. Das ganze System ist schon vor vielen Jahren in einen Verrottungsprozess übergegangen, der unaufhaltsam scheint. Lediglich auf einem Gebiet war die Islamische Republik noch dynamisch und zeitweise auch sehr erfolgreich: In ihrem Machtstreben im Nahen Osten. Es ist die Revolutionsgarde, die diesen Imperialismus trägt und die längst den Kern des Regimes bildet. Es ist plausibel anzunehmen, dass es vor einer grundlegenden Änderung des Systems, oder gar einer Revolution, erst noch zu einer Militärherrschaft jener Revolutionsgarden kommen wird.

Die über Jahrzehnte angehäuften Machtmittel dieses militärisch-wirtschaftlichen Konglomerats sind gewaltig. Und man wird sie einsetzen, um an der Herrschaft festzuhalten. Das traditionelle Militär, das zeigen nun einzelne Videos von Soldaten, die die Garden vor exzessiver Gewaltanwendung gegen Demonstranten warnen, steht dazu potentiell in einem Spannungsverhältnis. Hier könnte ein künftiger Kipppunkt für das System liegen.

Die 1979 aus der Revolution gegen den Schah entstandene Islamische Republik war in gewisser Weise ein Generationsprojekt, so wie nun auch der Protest gegen sie, der mit der Symbolkraft des unbedeckten Frauenhaars ein grundsätzlich anderes Weltverständnis postuliert, als es die Khomeini-Anhänger, Männer wie Frauen, besaßen. Ideologisch und ökonomisch hat die Islamische Republik einem großen Teil der Bevölkerung schon lange nichts mehr zu bieten. Das Gefühl, dass alles Hoffen auf Reformen vergeblich sei, setzte schon in den späten neunziger Jahren während der Präsidentschaft Mohammed Khatamis ein. Die »Grüne Revolution«, die Protestwelle nach den Wahlen 2009, war dann der klare Bruch. Damals wurde offensichtlich, dass das islamistische Regime die Jugend des Landes verloren hatte.

Seither sind der Staat und der Mythos von 1979 immer mehr erodiert. Wirklich beruhigt hat sich die innere Lage im Iran nach 2009 nie wieder; Streiks, Demonstrationen und Skandale einer dysfunktionalen Kleptokratie sind Alltag. Ein düsterer Höhepunkt waren die durch eine Erhöhung des Benzinpreises ausgelöste Proteste 2019, als das Regime den Schießbefehl gab. Womöglich sind damals um die 1 500 Menschen getötet worden. Auch die Proteste gegen den Hijab-Zwang haben eine Vorgeschichte: In den vergangenen Jahren flammten immer wieder Internetkampagnen auf, bei denen etwa Frauen zeigten, wie sie ihre Haare im Wind flattern ließen. Oder Paare fotografierten sich, bei denen die Männer einen Hijab trugen.

Dass das Regime 2021 bei der Präsidentenwahl alle sogenannten Reformer von der Kandidatenliste strich und mit Ebrahim Raisi einen Präsidenten an die Macht brachte, der nicht nur extrem unpopulär ist, sondern auch persönlich ganz dezidiert für die Gewaltgeschichte des Systems steht, war konsequent. Raisi gilt als einer der Hauptverantwortlichen für die Massenhinrichtung politischer Gefangener im Iran 1988. Mit ihm hat das Establishment gerade keinen Generationswechsel gewagt, zu groß war offenbar die Angst vor Kontrollverlust. Das System stagniert und zeigt sich ideenlos. Es lag in der Logik dieser Erstarrung, dass Raisi bald nach seinem Amtsantritt nichts Besseres einfiel, als wieder eine Kampagne der Religionspolizei anzuordnen, um den Kopftuchzwang demonstrativ durchzusetzen.

Eine entscheidende Frage für die Zukunft der Islamischen Republik ist die nach einem Nachfolger für den »Obersten Führer der Islamischen Revolution« Khamenei. Er ist der direkte Nachfolger Ruhollah Khomeinis und das politische System ist passgenau auf den »Revolutionsführer« als Inhaber aller Machtbefugnisse ausgerichtet. Die Frage seiner Nachfolge wird zur Schicksalsfrage der Islamischen Republik werden. Der Kandidat müsste genügend Rückhalt in allen Fraktionen des Establishments besitzen, auch bei den Revolutionsgarden – ohne aber von ihnen abhängig zu sein.

Für die demonstrierende Jugend ist das aber uninteressant. Das Projekt »Islamische Republik« hat ihnen nichts zu bieten. Die Frage wäre, ob das Regime einen Zustand erreichen könnte, der eine gewisse Liberalisierung der Öffentlichkeit zuließe. Khameneis Auftritt vor Polizeirekruten am Montag könnte ein Einlenken andeuten: Auch Frauen mit nachlässig getragenem Hijab könnten Anhängerinnen der Islamischen Republik sein, so der Revolutionsführer ungewohnt jovial. Was 2009 vielleicht eine aufsehenerregende Geste gewesen wäre, könnte 2022 längst nicht mehr genug sein. Und ohne den Markenkern des Hijab blieben nur noch die nackte Korruption und der Machtmissbrauch schmerbäuchiger alter Revolutionäre von dieser »Islamischen Republik«.

Der Iran hat sich nach 2011, dem Jahr des »Arabischen Frühlings«, auf den erfolgreichen und konsequenten Ausbau seines nahöstlichen Imperiums konzentriert. Doch so groß der iranische Einfluss im Nahen Osten ist, so fragil ist sein Imperium letztlich. Im Grunde hat er sich hier zu Tode gesiegt, er kann sein riesiges neues Hegemoniegebiet wirtschaftlich, aber auch politisch gar nicht halten. Und es sind nicht etwa die Ideologie des Khomeinismus, die »Herrschaft der Rechtsgelehrten« und der politische Islam, die Botschaften von »1979«, die die Anziehungskraft des Iran in der Region ausmachen, sondern seine Waffen.

Die iranische Aufrüstung gibt den unterstützen schiitischen Parteien, ob im Libanon, Jemen oder im Irak, Macht in die Hand. Da sich aber die USA aus weiten Teilen des Nahen Ostens zurückgezogen haben, steht der Iran längst vor dem drängenden Problem, als Ordnungsmacht fungieren zu müssen, ohne dies aber zu können. Dafür hat der Iran nicht das Potential. Er kann so weiterhin die politische Lage im Irak destabilisieren, er kann mit der Hizbollah Libanon alle anderen Parteien in Schach halten oder mit den Houthis dem Erzrivalen Saudi-Arabien einen endlosen Kleinkrieg in der jemenitischen Wüste liefern, aber eine dauerhafte Perspektive eröffnet das alles nicht. Der Zustand der permanenten Destruktion ist hier Ziel und Zweck zugleich.

Wenn man die Reaktionen auf die Proteste 2009 und 2022 vergleicht, dann fällt auf, wie sehr doch das Lager der »Reformer« verstummt ist, von denen man auch im Westen damals gar nicht genug bekommen konnte. Die Jahre der berüchtigten Kopftuchreisen von Claudia Roth und anderen sich als progressiv verstehenden internationalen Politikerinnen, die den Machthabern in Teheran ihre Reverenz erwiesen, scheinen vorüber zu sein. Denn das System der Islamischen Republik ist schlich nicht reformierbar. Und wenn im Westen mittlerweile vor vielen Solidaritätsaufrufen zuerst einmal die stets gleichlautende Behauptung stehen muss, das alles habe nichts generell mit dem Kopftuch oder mit »dem Islam« zu tun, dann mag man achselzuckend antworten, für diese Sorte Solidarität haben die Iraner und Iranerinnen gar keine Verwendung. Sie sind keine Projektionsfläche, sie kämpfen um ihre Freiheit.