Die Ampelkoalition will mit der sogenannten Gaspreisbremse die Industrie subventionieren

Wer arm ist, 
hat schon lange genug

Mit einer sogenannten Gaspreisbremse verspricht die Bundesregierung, den stark gestiegenen Preisen für Energie entgegenzuwirken. Tatsächlich läuft der Plan auf eine Subventionierung der Industrie hinaus. Andere EU-Staaten kritisieren deswegen die Bundesrepublik.

Einen »Doppel-Wumms« nannte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die jüngsten Beschlüsse der Ampelkoalition. ­Gemeint war ein Betrag in Höhe von 200 Milliarden Euro, den die Bundes­regierung zur Verfügung stellen will, um den stark gestiegenen Gas- und Energiepreisen entgegenzuwirken. Eine drohende Rezession soll damit verhindert und die Nationalökonomie vor einem zu erwartenden Schock gerettet werden. Am Montag stellte eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission erste Ergebnisse vor.

Der Plan der Expertenkommission sieht zwei Schritte vor: Der Staat soll die Abschlagszahlungen für Gas- und Fernwärmekunden für den kommenden Dezember übernehmen, wie die Kommission bei der Vorstellung eines Zwischenberichts ­erläuterte. Die Maßnahme gilt allerdings nur für Privathaushalte und kleine Unternehmen, Abschläge für ­Industrie und Kraftwerke zur Stromerzeugung sind ausgenommen. Im zweiten Schritt soll ab März 2023 bis mindestens Ende April 2024 eine sogenannte Gaspreisbremse greifen. Diese sieht für eine Grundmenge an Gas einen staatlich garantierten Bruttopreis von zwölf Cent pro Kilowattstunde vor. Diese Grundmenge soll 80 Prozent des Verbrauchs betragen, der der Abschlags­zahlung vom September dieses Jahres zugrunde lag. Für den Verbrauch, der über dieses Kontingent hinausgeht, sollen Marktpreise gelten. Für Bezieher von Fernwärme soll es eine in analoger Weise funktionierende sogenannte Wärmepreisbremse geben, der garantierte Bruttopreis soll hier bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde liegen. Insgesamt schätzt die Expertenkommission die Kosten des zweistufigen Verfahrens auf mindestens 91 Milliarden Euro.

Wer ein dickeres Finanzpolster besitzt, kann es sich auch trotz der hohen Preise eher leisten, die Heizung im Winter hochzudrehen.

Vor zu großen Hoffnungen warnte die Vorsitzende der Gaspreiskommission, Veronika Grimm, die der Funke-Mediengruppe sagte: »Der Gaspreis wird aufgrund der höheren Flüssiggas-Beschaffungspreise trotz einer Gaspreisbremse deutlich höher bleiben als vor dem russischen Überfall auf die ­Ukraine.« Ein weiteres Kommissionsmitglied, die Ökonomin Isabelle M. Weber, sagte in einem Podcast des Nachrichtenportals The Pioneer: »Der Gaspreisdeckel löst nicht das Angebotsproblem im Gasmarkt. Aber er kauft Zeit und bringt Stabilität in die Wirtschaft.« Weber hatte bereits im vergangenen Dezember »strategische Preiskontrollen« als Mittel gegen die steigenden Preise gefordert. Dabei wurde sie unter anderem vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und ­Konjunkturfor­schung (IMK) unterstützt. Die erkaufte Zeit könne nun »genutzt werden, um in neue Energiequellen, in erneuerbare Energien zu investieren und damit das derzeitige Angebotsproblem zu lösen«, so Weber in der vergangenen ­Woche.

Den von Grimm außerdem geforderten »Sparanreiz« soll die Bundesregierung mit der erwähnten Kontingentierung des subventionierten Verbrauchs setzen. Bei wem der insbesondere ­wirken soll, erklärte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (Bündnis 90/Die Grünen), im Interview mit der ARD vergangene Woche: »Um solidarisch mit der Industrie zu sein, muss auch der private Verbrauch sinken.« Bereits Anfang September hatte der Lobbyverband Wirtschaftsvereinigung Stahl in einer Mitteilung die Einführung einer »Preisbremse« für Gas und Energie gefordert. Für Unternehmen soll die »Bremse« schon ab dem 1. Januar 2023 gelten, wie der Präsident des Bundesverbands der Deutschen ­Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, am Montag für die Kommission mitteilte. Für den Gasverbrauch von Industrieunternehmen solle ab kommendem Januar für 16 Monate für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs ein fester Bruttopreis von sieben Cent pro Kilowattstunde gelten.

Im Gespräch mit der Jungle World sagt Ines Schwerdtner von der Kampagne »Genug ist genug«: »Der Grund, dass der Gaspreisdeckel jetzt kommt, ist nicht, weil der Protest von links ­besonders stark war. Der ökonomische Druck wurde zu groß. Die inzwischen verworfene Gasumlage hätte weder für die Haushalte noch für die Unternehmen funktioniert, weshalb das am Ende selbst die FDP verstanden hat.« Schwerdtners Kampa­gne bemüht sich um eine linke Protestbewegung gegen die sozialen und ökonomischen ­Folgen der Preis­steigerungen und will die britische Gewerkschaftskampagne »Enough is enough« nach Deutschland holen.

Der ökonomische Druck auf die Industrie erklärt auch, warum bei der Planung des sogenannten Gaspreisdeckels lange nichts feststand, außer dass das Kapital nicht ungebührlich belastet werden soll. Nun sollen also Energiekonzerne weder enteignet noch vergesellschaftet, sondern die Gas­anbieter subventioniert werden, indem der Staat einen Teil der hohen Preise übernimmt. Die Subventionen sollen aus einem Sonderfonds der Bundes­regierung finanziert werden, also durch die Aufnahme kurz- und mittelfristiger Kredite an den Kapitalmärkten, die formal nicht zum Bundeshaushalt gezählt werden, um wenigstens pro forma die sogenannte Schuldenbremse einhalten zu können. Die Pläne der Bundesregierung könnten allerdings gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen, da es sich de facto um nationale Subventionen für Industrieunternehmen handeln würde.

Das kommt in anderen EU-Ländern nicht besonders gut an, denn durch die nationalen Alleingänge bleiben Staaten mit deutlich höheren Haushaltsdefiziten auf der Strecke; sie könnten den deutschen Weg nicht gehen, weil die Konditionen für Kreditaufnahme für sie deutlich schlechter sind. Daher forderten zuletzt 15 EU-Länder, darunter Frankreich, Portugal, Griechenland, die Slowakei und Slowenien, eine EU-weite Beschränkung der Gaspreise im Großhandel; Gasimporteure könnten dann in der EU weniger verlangen. Der Agentur Reuters zufolge sprachen sich die deutschen ­Vertreter auf einem ­informellen EU-Gipfel in Prag am vergangenen Wochenende jedoch erneut gegen eine solche Beschränkung von Gas- und Energiepreisen aus.

Die Bundesregierung erhielt bei ihrer Ablehnung einer EU-weiten »Gaspreisbremse« Unterstützung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Eine Obergrenze für Gaspreise müsse »so gestaltet sein, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist«, warnte sie. Ein staatlich fixierter niedriger Gaspreis in der EU könnte Unternehmen etwa aus Norwegen, den USA oder Katar dazu bringen, ihr Gas an Kunden außerhalb der EU zu verkaufen.

Von der Leyen erklärte zudem ihre prinzipielle Offenheit für einen von der EU subventionierten »Preisdeckel« für Gas, das zur Energieproduktion ­genutzt wird. Bis Mitte Oktober will die Kommission einen Entwurf vorlegen. Der Gaspreis ist aufgrund der Struktur des EU-Energiemarkts ein wesentlicher Treiber der generell hohen Energiepreise. Denn das sogenannte Merit-Order-System sorgt dafür, dass der teuerste Preis zur Herstellung von Energie, die zur Deckung der Nachfrage benötigt wird, den allgemeinen Preis bestimmt, was den günstigeren Herstellern als Extraprofit zugute kommt. Dank der in die Höhe geschnellten Gaspreise machen Produzenten anderer Energieformen derzeit hohe Gewinne. Diese Extraprofite sollen einem Vorschlag der EU-Kom­mission zufolge mit einer Übergewinnsteuer abgeschöpft werden. Wie hoch diese angesetzt und wie sie von wem eingetrieben werden sollte, ist noch unklar. Die Fraktion »Europäische Linke« im EU-Parlament forderte Anfang Oktober sogar ein EU-weites Grundrecht auf Energie und ein kostenloses Energiekontingent für Privathaus­halte.

»Der Gaspreisdeckel muss unbedingt von einer Übergewinnsteuer begleitet werden«, sagt Schwerdtner. So könne in der Krise eine solidarische Umverteilung stattfinden. Der als »Sparanreiz« beschönigte Zwang zum Sparen dürfte ärmere Rentnerinnen und Rentner, Pflegebedürftige und alleinerziehende Lohnabhängige ganz besonders treffen. Nicht nur, weil es sich in der energieeffizienten Neubauwohnung oder im Eigenheim leichter spart als in der schlecht isolierten Mietskaserne. Wer ein dickeres Finanzpolster hat, kann es sich auch trotz der hohen Preise eher leisten, die Heizung im Winter hochzudrehen.

Die geplante Preisbeschränkung für nur 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs, sagte Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für ­Makro­ökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Funke-Medien­gruppe, sei zudem »besonders problematisch bei den Hocheinkommenshaushalten mit hohem Gasverbrauch, etwa den Bewohnern von Villen aus den 1970er Jahren mit Schwimmbad«.

Auch darum ruft die Kampagne »Genug ist genug« dazu auf, sich dem ­gewerkschaftlichen Kampf um höhere Löhne anzuschließen. Zudem fordert sie eine Einmalzahlung »für alle« von 1 000 Euro im Winter, ein früheres ­Inkrafttreten der »Preisbremse« für Haushalte in Deutschland sowie die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets. Ob sich daraus eine relevante Gegenkraft gegen die nationalistischen Krisenproteste und Querfrontten­denzen in Teilen der Linken entwickelt, wird sich noch zeigen müssen.