Valentine Faure untersucht Militanz, Gewalt und Kriminalität von Frauen

Rache, die nicht süß ist

Platte Buch Von Jakob Hayner

<p>Die Sache scheint so klar wie früher auf den Flugblättern der RAF: Der Mann ist ein »Schwein« und wird erschossen. Er ist ein gewalttätiger Säufer, der die eigenen Kinder missbraucht.</p>

Die Sache scheint so klar wie früher auf den Flugblättern der RAF: Der Mann ist ein »Schwein« und wird erschossen. Er ist ein gewalttätiger Säufer, der die eigenen Kinder missbraucht. Den Abzug betätigt seine Ehefrau, nach Jahrzehnten der Beziehungshölle. Doch auch zu Zeiten des bewaffneten Kampfs waren die Dinge selten so einfach, wie sie – Teil der Lösung oder Teil des Problems – scheinen. Die Journalistin Valentine Faure hat die unglaubliche Geschichte von Jacqueline Sauvage aufgeschrieben, die 2012 ihren Mann ­erschießt und vor Gericht kommt. Es ist ein Fall, der ganz Frankreich erschüttert. Nach einer Kampagne begnadigt der damalige Präsident François Hollande die Frau, zuvor war sie von Geschworenengerichten für schuldig befunden worden.

Feministische Gruppen setzen sich für eine Strafrechtsänderung ein, um »nachträgliche Notwehr« zu reklamieren. Sie berufen sich auf das »Syndrom der misshandelten Frau«, um die Schuldfähigkeit der Angeklagten in Zweifel zu ziehen. Die Frau als Opfer des Patriarchats, das für die eigenen Handlungen keine Verantwortung trägt? Mit einem Blick in die Geschichte zeigt Faure, dass dies selbst ein patriarchaler Mythos ist. Sauvage ist kein unschuldiges Opfer, sie ist auch eine Komplizin. Zudem: Als sie ihren Mann erschoss, bedrohte er sie nicht, sondern machte einen Mittagsschlaf. Trotzdem plädierte ihre Verteidigung auf Notwehr. Und fast ein halbe Million Menschen setzte sich für die Begnadigung ein.

Was Faure gelingt, ist furios. Nicht nur ist ihr Langessay spannend wie ein Thriller, sie löst das Geschehen aus dem vorgestanzten Etikettendenken heraus und zeigt es in aller Widersprüchlichkeit – zwischen ­realer Unfreiheit und der Notwendigkeit, Freiheit trotzdem anzunehmen. Das Buch ist eine beeindruckende Verunsicherung, die selbst zum Urteil zwingt, eine vorbehaltlos zu empfehlende Lektüre nicht allein für True-Crime-Fans.

Valentine Faure: Als ich wieder aufstand, nahm ich das ­Gewehr. Gewalt von Frauen. Aus dem Französischen von Christoph Hesse. Edition ­Tiamat, 176 Seiten, 22 Euro