Veränderungen der Sprache sind Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen

Das richtige Zeichen setzen

Disko Von Jörn Schulz

Hinter der Abwehr von Sprachreformen verbirgt sich meist die Ablehnung der gesellschaftlichen Veränderungen, die sie zum Ausdruck bringen.

Die herrschende Sprache ist die Sprache der Herrschenden. Nirgends wird das so deutlich wie im Bereich der Ökonomie. Um sich als Philanthrop:in, also Menschenfreund:in, qualifizieren zu können, muss man mindestens Millio­när:in sein. »Sozial schwach« gilt als Synonym für »arm«, obwohl eher Reiche soziale Defizite haben, Arme und Geringverdienende werden als »einfache Menschen« bezeichnet, als steigere sich die Komplexität des Denkens und Charakters mit dem Einkommen. Solche Begriffsverirrungen sind wohl unvermeidlich in einer Gesellschaft, die es hinnimmt, dass von »der Wirtschaft« die Rede ist, wenn die Unternehmer:­innen und ihre Verbände gemeint sind. Das könnte als unfreiwillig korrekte Darstellung der Verhältnisse gewertet werden, ist aber in der Regel die Camouflage unverstandener Klassenherrschaft.

Man sollte meinen, dass die sprachliche Diskriminierung von Lohnabhängigen und ihre Tilgung aus »der Wirtschaft« wenigstens hin und wieder ein wenig Aufregung, womöglich gar Protest hervorrufen könnten. Doch wenn Linke über Sprache streiten, geht es fast immer um Genderzeichen und damit zusammenhängende Themen. Während seit mehr als 30 Jahren keine für das Kapital bedrohlichen oder auch nur ernsthaft herausfordernden Klassenkämpfe mehr stattfinden, hat es hinsichtlich der Rechte von Frauen, Homosexuellen und seit einigen Jahren auch Trans-Personen historisch beispiellose Fortschritte gegeben, ohne dass allerdings das Patriarchat beseitigt worden wäre. Dementsprechend größer ist in diesem Bereich der Druck diverser Bewegungen, den gesellschaftlichen Veränderungen sprachlich Rechnung zu tragen.

Der Kampf gegen die Anrede »Fräulein« war vergleichsweise einfach und kann mittlerweile als gewonnen betrachtet werden – doch hätte es damals bereits Twitter gegeben, wären unzäh­lige Hassbotschaften und Prophezeiungen des Untergangs der abendländischen Zivilisation von Gegner:innen dieser Reform erhalten geblieben. Fest­zuhalten bleibt: Yes, we can. Nun ist alles viel komplizierter, weil die Neuaushandlung der Gender- und Geschlechterrollen mehrere diskriminierte Bevölkerungsgruppen betrifft und vor allem in der Wissenschaft und in der Medienbranche innerhalb eines Konkurrenzkampfes stattfindet, bei dem es fast immer auch um Status und Marktwert geht. Die sozialen Medien wirken hier nicht nur als Demagogieverstärker, sie fördern auch eine verzerrte Wahrnehmung.

Tatsächlich ist die traditionelle Geschlechterordnung für den modernen Kapitalismus dysfunktional, denn es ist profitmindernd, auf weibliche Führungskräfte zu verzichten oder die homosexuelle Kundschaft zu verprellen. Auf der Führungsebene hält sich die patriarchale Macht gegen die kapitalistische Rationalität, doch in ihrer Außendarstellung und ihren Beschäftigungsverhältnissen müssen die Unternehmen auf gesellschaftlichen Druck reagieren; Initiator:innen des Fortschritts sind sie nicht.

Dennoch kursiert auch bei Linken die These, Fortschritte in der Antidiskriminierungspolitik seien eine Intrige des Großkapitals, um den Klassenkampf zu schwächen. Die Behauptung, auf der einen Seite gäbe es »die soziale Frage« und auf der anderen eine ab­gehobene Lifestyle-Linke, die sich dafür nicht interessiere, ist bestenfalls ein Irrglaube, eher aber eine interessengeleitete Lüge. Es ist kein Zufall, dass die Kritik an Genderzeichen und Repräsentationsforderungen von Trans-Personen am vehementesten von nationalistischen und mittlerweile offen deutsche Kapitalinteressen vertretenden Pseudolinken um Sahra Wagenknecht vorgetragen wird, die dem Magazin ­Cicero eröffnete, dass in einer »neuen linken Partei« – die sie bislang leider nicht zu gründen wagt – auch »ein moderner Konservatismus im Sinne der Bewahrung von Zusammenhalt stiftenden gemeinsamen Werten und Tradi­tionen« seinen Platz haben soll.

Tatsächlich kann sich Wagenknecht auf eine schlechte Tradition nicht nur der deutschen Linken beziehen, den Proletkult, dem der heroisch blickende Stahlarbeiter und seine patriarchale Kleinfamilie als Ideal, Homosexualität hingegen als bourgeoise Dekadenz galt. Real existierende Stahlarbeiter:­innen – gewerkschaftlich organisierte jedenfalls – haben sich zum Glück längst von solchen Klischees emanzipiert. »LGBTQI*: Gemeinsam für Gleichberechtigung«, heißt es bei der IG Metall, die US-Gewerkschaft United Steelworkers führt es genauer aus:»Die amerikanische Arbeiter:­innen­bewe­gung und die lesbische, schwule, ­bisexuelle, transgeschlechtliche und queere Community können nicht ­getrennt werden, und wir stehen heute besonders eng zusammen wegen der Angriffe sowohl auf die LGBTQ-Gleichheit als auch die Freiheiten der Arbei­ter:innen, die von demselben dunklen Gewebe von Unternehmensinteressen ausgehen.«

Aus grundsätzlichen humanitären, aber auch aus ganz praktischen klassenpolitischen Gründen – eine nach Genderkriterien hierarchisierte Belegschaft ist weniger kampffähig – gehören Arbeitskampf und Antidiskriminierungspolitik zusammen und bilden gemeinsam »die soziale Frage«. Die Gewerkschaften sind in dieser Hinsicht auch ein Instrument der Selbsterziehung der Lohnabhängigen und somit Schauplatz antihierarchischer Kämpfe innerhalb dieser Klasse, die ja nicht per se fortschrittlich ist. Manche Kämpfe wurden weitgehend unter Männern ausgetragen, wie jener der Lehrlinge gegen prügelnde Meister vor etwa einem halben Jahrhundert, meist ist jedoch der Feminismus – wie in der Linken allgemein – das Korrektiv der toxischen und bräsigen Männlichkeit gewesen. Nunmehr gendert auch der DGB.

Überzeugende Gegenargumente gibt es nicht. Bei den meisten Feind:innen von Genderzeichen entpuppt sich die schöngeistige Empfindsamkeit angesichts angeblicher Sprachverhunzung als Vorwand, sobald man deren eigenes sprachliches Œuvre betrachtet. Wer mit der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung oder der Marx’schen Werttheorie leben kann, sollte auch mit einem Doppelpunkt im Wort klarkommen. Bei sehr strikter Verwendung von Genderzeichen können sich Probleme er­geben, die in der Regel aber durch Umformulierung lösbar sind. Ohnehin ist Sprache oftmals unlogisch und inkonsequent, doch beklagt sich niemand darüber, dass man auf dem Obstmarkt Obst und auf dem Fischmarkt Fisch, auf dem Gendarmenmarkt aber keine Gendarmen kaufen kann. Und wer meint, dass es doch weit Wichtigeres gebe als Genderzeichen, sollte sich dem Wichtigeren widmen und die Veränderung akzeptieren.

Tatsächlich beweist ja bereits die Aufregung, dass die Angelegenheit so unwichtig nicht sein kann. Eine richtige Sprache im falschen Leben gibt es zwar nicht, doch Sprache bringt gesellschaftliche Veränderungen zum Ausdruck und kann auch Bewusstsein schaffen, meist verbirgt sich hinter der Abwehr von Sprachreformen die Ablehnung der Veränderungen. Deshalb hat die Genderdebatte noch einmal ­einen Eskalationsschub erfahren, seit es auch um Trans- und Intersexualität geht, Phänomene also, die zuvor ignoriert, negiert oder psychiatrisiert wurden, weil sie die Geschlechterordnung grundsätzlich in Frage stellen.

Das Bemühen um gendergerechte Sprache – bei dem es nicht nur darum geht, wie, sondern auch darum, worüber gesprochen wird – kann nur eine Annäherung bringen und sollte als work in progress verstanden werden. Ein trial and error-Verfahren ist un­vermeidlich, wenn die Interessen verschiedener Gruppen austariert wer­­den sollen. Dieses Verfahren kann anstrengend bis nervtötend sein, weil es oft von der Tradition linken Sektierertums wie auch von Konkurrenzkämpfen in der Mittelschicht geprägt ist. Doch Sprachkonservatismus ist die falsche Reaktion, eher sollte die Sprachkritik auf andere Bereiche ausgeweitet werden. Denn Elon Musk ist kein Menschenfreund, auch wenn er im vorigen Jahr Tesla-Aktien im Wert von 5,7 Milliarden US-Dollar gespendet hat.