Die Youtube-Survivorshow »7 vs. Wild«

Dschungelcamp für Y-Promis

Schon zum zweiten Mal schickte der Youtuber Fritz Meinecke für seine Show »7 vs. Wild« sieben Influencer und Videoproduzenten in die Wildnis. Zivilisationsmüdigkeit traf hier auf Geschäftssinn.

Kaum ein Mythos begleitet die moderne Zivilisation so verlässlich wie die Robinsonade: die Phantasie, wie es wohl wäre, wenn es die Gesellschaft nicht gäbe. Der auf der einsamen Insel gestrandete Robinson Crusoe aus dem Roman von Daniel Defoe bietet eine perfekte Projektionsfläche, um mit dem widersprüchlichen Verhältnis von Individuum und bürgerlicher Gesellschaft fertigzuwerden.

Crusoes Notsituation in­spiriert seit jeher den Traum, endlich wirklich man selbst zu sein, wenn nur die unmittelbare Natur und die echten Notwendigkeiten des Über­lebens zu spüren sind. Die Entfremdung des modernen Menschen erzeugt eben eine »Zivilisationsmüdigkeit«, wie sie der Liedermacher ­Rainald Grebe vor einigen Jahren besang, oder gleich Zivilisationsverachtung, wie in Christian Krachts Erfolgsroman »Imperium« über den deutschen Aussteiger August Engelhardt und dessen wahnhafte Kokosnussdiät auf einer Insel im Südpazifik.

Die Streamerin Nova beklagt an einer Stelle von »7 vs. Wild« ihre Einsamkeit mit den Worten: »Ich vermisse mega meinen Chat.«

Die vage Ahnung, dass die gesellschaftliche Grundlage der eigenen Individualität diese zugleich be­hindert, nährt den Wunsch, die Zivilisation zu verlassen – selbst wenn das den sicheren Tod bedeutet. Vor diesem Hintergrund liegt die These nahe, dass dieses Unbehagen in gesellschaftlichen Krisen wächst. Spätestens in Zeiten von Weltuntergangsstimmung, Krieg und Klimakatastrophe dürfte es daher kaum verwundern, dass Menschen vom individuellen Überlebenskampf phantasieren. Anzeichen dafür sind beispielsweise Bürgerkriegswünsche libertärer Rechter, das weitverbreitete Preppertum von Leuten in paramilitärischer Kampfmontur, die einen selbstgebauten Bunker mit Dieselaggregat bereithalten, sowie die enorme Konjunktur von Überlebens- und körperlichen Grenzerfahrungen.

Als Massenphänomen muss das in Deutschland spätestens nach dem enormen Erfolg der Youtube-Serie »7 vs. Wild« des Survival-Youtubers Fritz Meinecke betrachtet werden. Die Reality-Spielshow, die Meinecke für seinen Youtube-Kanal produziert hat, entsandte jüngst zum zweiten Mal eine Truppe von Abenteuerlustigen in die Wildnis, wo diese sieben Tage lang auf sich allein gestellt überleben mussten – und sich dabei filmten. Tatsächlich zog bereits die erste Staffel, die 2021 in der schwedischen Pampa aufgezeichnet wurde, ein Millionenpublikum an. In der kürzlich zu Ende gegangenen zweiten Staffel wollte sich das Format mit dem Ausflug in den Dschungel von Panama noch einmal selbst überbieten. »7 vs. Wild: Panama« ist »das Krasseste, was du dir vorstellen kannst«, wie es Kandidatin Nova zusammenfasste.

Der Superlativ ist nicht unangebracht, denn die Serie verkörpert tatsächlich eine kulturindustrielle Zuspitzung. Man könnte es die bisher demokratischste und modernste Form antidemokratischer Verachtung der Moderne nennen. Denn hier vereint sich die »authentische« Nahbarkeit von für »ihre Community« produzierenden Influencern mit dem Professionalisierungsgrad großer Fernsehproduktionen, um ein neues Youtube-Genre zu kreieren, das es offenkundig auf von der Zivilisation zugerichtete Jäger und Sammler ­abgesehen hat. Meinecke, die Hauptfigur, einmal wegen seiner »toxischen« Art zur Rede gestellt, schimpfte in einem seiner Videos, dass ihm »diese völlig verweichlichte Gutmenschen-Gesellschaft so auf die Eier« gehe.

Passend zu dieser Einstellung liefert »7 vs. Wild« raue und harte ­Natur, angelehnt an Demütigungs-Reality-Shows wie »Big Brother« oder »Dschungelcamp«. Die sieben selbsternannten Abenteurer:innen – im Unterschied zur ersten Staffel sind auch zwei Kandidatinnen dabei – wurden auf einer Insel Panamas abgeworfen, die seit Chemiewaffentests in den vierziger Jahren verlassen ist. Dort versuchen sie, sieben Tage lang getrennt voneinander zu überleben, und zwar zunächst mit maximal sieben Hilfsmitteln wie Machete, Feuerstahl oder Plastikkordel. Je nach Ergebnis eines internen Rankings der Fähigkeiten erhalten manche aber nur einen Gegenstand. Unterschlupf und weitere Werkzeuge müssen die Robinsons komplett selbst bauen. Je weniger sie mitbringen, desto authentischer die Erfahrung. Daher versucht sich beispielsweise der Fitness- und Ernährungs-Youtuber Sascha Huber daran, ob er auch auf seinen mitgebrachten Wasserfilter und die Hängematte verzichten kann.

Das Besondere am Format ist, dass die Kandidat:innen tatsächlich alleine sind. Es gibt weder ein Kamerateam noch sonstige Infrastruktur auf der Insel. Alle sind auf sich selbst gestellt, auch darin, sich andauernd und möglichst abwechslungsreich mit der Go-Pro-Kamera zu filmen. Ob ihnen gerade der Bau eines »Shelter« gelungen ist, sie sich den »Tages-Challenges« widmen, sich einen Holzsplitter eingetreten oder Panik vor einem Krokodil haben, heulen müssen, weil ihnen »die Psyche bricht«, wie es Meinecke formuliert – immer halten sie währenddessen mit einer Hand die Kamera drauf. Das ist insofern authentisch, als nahezu alle Kandi­dat:innen die professionelle Allverfügbarkeit ihrer Person und die permanente Mitteilung an die Community gewohnt sind. Die Streamerin Nova beklagt an einer Stelle ihre Einsamkeit mit den Worten: »Ich vermisse mega meinen Chat.«

Können der gesellschaftlich durchschnittlich erscheinende Vollbartträger Meinecke, der die Insel als einen riesigen Spielplatz des Bushcrafting begreift, oder der charakterlosen Gigachad Otto Bulletproof als Survivalprofis gelten, so besteht der Cast in dieser Staffel nicht nur aus solchen Kandidaten. Der Moderator und Entertainer Knossi bezeichnet sich selbst als »Notfallsurvivor« wie »90 Prozent der Leute« und grölt wie zum Beweis die meiste Zeit. ­Sascha Huber personifiziert gutgelaunte Soldatenmännlichkeit, do­kumentiert seinen Muskelabbau, der daher rührt, dass er nicht seine 4 000 Kalorien am Tag bekommt, und schreit zwischendurch den Dschungel an, dass es jetzt richtig losgehe. Sabrina Outdoor stapft über den matschigen Boden, der mit angeschwemmtem Müll übersät ist, und freut sich über die »einfach so unberührte Natur«.

Tatsächlich ist die riesige Menge an Plastikmüll am Inselstrand der erste Hinweis, wie illusorisch die Flucht aus der Zivilisation ist. Die Kandidat:i­nnen »looten« erst einmal jede Menge Trinkflaschen, Flipflops oder Gartenstühle. Wenn es eine Kokosnuss gibt, freuen sie sich, wenn es stundenlang regnet und stürmt, fragen sie sich: »Warum tue ich mir das nur an?« Eigentlich herrschen Langeweile, Peinlichkeit und Not. Für das Publikum ist das anziehend, weil hier nicht nur Zivilisationsflucht und Überlebensfähigkeiten ausgestellt werden, sondern diejenigen, die sich derlei anmaßen, zugleich auch gedemütigt werden. Die gesamte Sendung besteht aus Zusammenschnitten von Enthusiasmus und Resignation, wenn der Shelterbau nicht klappt, das Feuer nicht angeht, die Kokosnuss schon vergammelt ist.

Der Aspekt der Demütigung ist zugleich, was die zweite Staffel von der ersten der Serie abhebt. In der schwedischen Wildnis stand noch eine gewisse Reflexion der Erfahrung im Vordergrund. Das Ringen der kumpelhaften Typen von nebenan mit Isolation, Kälte und Nahrungsmangel erzeugte eher Mit­gefühl. In der zweiten Staffel verschwindet die ersehnte Strandidylle hinter Dauerregen, Müllfluten, Stechpalmen und Dschungelfäule. Die Demütigung der Kandidat:in­nen korrespondiert zugleich mit der ­Demütigung, die man beim ­Zuschauen erfährt. Die wackeligen Kamerabilder sind eigentlich unmöglich anzusehen, die musikalische Untermalung dramaturgischer Kitsch. Vor allem aber spiegelt das Format als Ganzes eine einzige De­pravation wider.

»7 vs. Wild« ist nicht nur dem Inhalt nach Regression, sondern auch der Form nach: Wie die Vorstellungskraft der westlichen Zivilisation auf die Idee regrediert, wie es wohl wäre, wenn man wieder schutzlos in der Wildnis hocken würde, so wird das Versprechen medialen Fortschritts durch das Internet zurückgenommen, eine bloße Fernsehsendung bleibt übrig. Die Serie ist die Imitation megalomaner Fernsehspektakel mit den Mitteln der Selbstausbeutung. Die große Verheißung des Internet­zeitalters – dass jeder aus seinem Zimmer heraus von der Weltöffentlichkeit für jeden nerdigen Spleen gefeiert werden könne – kommt hier zur Wahrheit, die lautet, dass diese Verheißung nur nach kulturindustriellem Muster zu erfüllen ist. Jene Hingabe an die Sache, die Youtuber:in­nen überhaupt erst hat interessant werden lassen, ist nur ein Verkaufsargument für die zahlreichen Sponsoren der gecasteten Personen: Die Angebote reichen vom Online-Shop bis zur Event- und Reiseagentur, bei der man sich gleich die eigene Sur­vivalexperience buchen kann.