Das in Hessen geplante Versammlungsgesetz soll äußerst restriktiv ausfallen

Das hessische Pappnasenverbot

Auch Hessen soll ein eigenes Versammlungsgesetz bekommen – es wird deutlich restriktiver ausfallen als die bisherigen Regeln. Im Gesetz­entwurf werden »linksextremistische« Demonstrationen genannt, deren Teilnehmer »häufig die Versammlungsfreiheit« missbrauchen würden.

Bei der schwarz-grünen Landesregierung in Hessen scheint man ganz schön stolz zu sein auf den Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz. Von einem »Versammlungsfreiheitsgesetz, das sich sehen lassen kann«, sprach Lukas Schauder im vergangenen November bei der ersten Lesung des ­Gesetzes im hessischen Landtag; er ist der Sprecher für Extremismuspräven­tion, Demokratieförderung und Justizvollzug der Grünen-Fraktion. Innenminister Peter Beuth von der CDU sprach von einem »modernen und wegweisenden Gesetz«.

Versammlungsgesetze regeln Rechte und Einschränkungen bei öffent­lichen Versammlungen, also auch bei Demonstrationen und Protesten. Seit der Föderalismusreform von 2006 können die Länder ­eigene Gesetze zum Versammlungsrecht erlassen, und mehrere Bundesländer haben das bereits getan – in den anderen gilt das Versammlungsgesetz des Bundes fort.

Es stellt sich die Frage, ob zukünftig allein schon kämpferisches Auftreten ausreichen könnte, um das Grundrecht auf Versammlungs­freiheit zu verwirken.

Wenig Freude löst der Entwurf bei der Landtagsfraktion der Linkspartei aus. Deren rechtspolitischer Sprecher, Ulrich Wilken, bilanzierte anlässlich der Expertenanhörung im Innenausschuss des Landtags am 6. Februar: »Der Begriff Versammlungsfreiheitsgesetz ist für den vorgelegten Entwurf unangebracht – besser würde Gefahrenabwehrgesetz passen.« Das neue Versammlungsgesetz schaffe zu große Hürden für Versammlungen und betrachte sie vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Gefährlichkeit.

Ähnliche Einwände wurden bereits gegen die Versammlungsgesetze anderer Länder aus den vergangenen Jahren erhoben. So soll Hessen, wie bereits Nordrhein-Westfalen Anfang vorigen Jahres (Jungle World 51/2021), ein sogenanntes Militanzverbot bekommen. Dann wären Demonstrationen verboten, auf denen das Auftreten der Teil­nehmer:innen den »Eindruck von ­Gewaltbereitschaft vermittelt und eine einschüchternde Wirkung erzeugt«.

Das sei zu unbestimmt und abhängig von subjektiven Wertungen, kritisierte die Bürgerrechtsorganisation Komitee für Grundrechte und Demokratie in ihrem Sachverständigengutachten für die Expertenanhörung. Im Gesetzentwurf werden neben faschistischen Aufmärschen auch linke Demoblöcke als Beispiel für ein unter das Militanzverbot fallendes Verhalten angeführt, auch in der parlamentarischen Debatte wurde dieses Beispiel genannt. Im Abschnitt »Begründung« des Gesetzentwurfs werden zunächst »rechtsextremistische Versammlungen« angeführt, die »besondere Probleme bereiten«, anschließend heißt es: »Linksextremistische Versammlungen sind dagegen zunehmend durch ein militantes, aggres­sives Auftreten von Versammlungsteilnehmern, insbesondere sog. ›Blöcke‹, geprägt.« Die »Veranstalter und Teilnehmer« solcher Versammlungen »missbrauchen häufig die Versammlungsfreiheit«, heißt es weiter.

Damit stellt sich die Frage, ob zukünftig schon kämpferisches Auftreten oder die Präsenz eines bei linken Demonstrationen oft anzutreffenden »Schwarze Blocks« ausreichen könnte, um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu verwirken.

Das Gesetz sieht vor, dass die Behörden Anordnungen treffen können, die im Einzelfall konkretisieren, was bei einer Versammlung zu unterbleiben hat. Immerhin: Nur wenn gegen eine solche Anordnung verstoßen wurde, kann ein Ordnungsgeld wegen eines Verstoßes gegen das Militanzverbot verhängt werden.

Das Grundrechtekomitee kritisierte zudem das pauschale Vermummungsverbot, das im Gesetzentwurf vorge­sehen ist. Als Beispiele für eine »Unkenntlichmachung« nennt der Entwurf nicht nur Masken, sondern auch »Bemalen«, das »Aufkleben falscher Bärte« und das »Tragen von Pappnasen«. ­Außerdem werde die Möglichkeit, Videoaufnahmen von Demonstrationen ­anzufertigen, nicht ausreichend eingeschränkt. Die Befürchtung, dass ihre politische Tätigkeit staatlich erfasst wird, könne Menschen davon abhalten, von ihrer Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen.

Ebenso kritisierte das Grundrechtekomitee die im Gesetz eingeräumte Möglichkeit, Kontrollstellen auf Zugangswegen zu Demonstrationen einzurichten. Dort, aber auch auf der Demonstration selbst und auf »unmittelbaren Wegen dorthin« sind Identitätsfeststellungen möglich, wenn sich »Anhaltspunkte« für einen »bevorstehenden Verstoß« beispielsweise gegen das Militanzverbot ergeben. Dies habe »einen immens einschüchternden Charakter«, denn »das Recht auf Anonymität« würde damit untergraben. Ein weiterer abschreckender Effekt ergebe sich daraus, dass die Versammlungsbehörde die persönlichen Daten von Ordner:innen verlangen können soll, wenn von einer Demonstration eine »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« ausgeht. Dass die Behörde zudem Versammlungsleiter:innen und Ord­ner:innen aus Sicherheitsgründen ­ablehnen können, lässt das Grundrechtskomitee gar von der »Einführung einer Art ›versammlungsrechtlicher Zuverlässigkeitsprüfung‹« schreiben. Insgesamt würde der Entwurf, sollte er Gesetz werden, »die Versammlungsfreiheit in Hessen empfindlich einschränken«.

In der Öffentlichkeit hat sich bisher noch nicht allzu viel Kritik an dem ­geplanten Gesetz geregt. Gut möglich, dass sich das im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses noch ändert. Denn das Versammlungsrecht ist essentiell für die Demokratie – und die weitreichenden Einschränkungen, die der Gesetzesentwurf vorsieht, sind demokratiefeindlich.