Die niederländische Grenzpolizei darf niemanden mehr nur aufgrund der Hautfarbe kontrollieren

Historisches Urteil

Die niederländische Grenzpolizei darf nicht länger Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe kontrollieren

Es war eine überfällige Entscheidung: Das Berufungsgericht der Niederlande in Den Haag hat am 14. Februar der Mi­litär- und Grenzpolizei Koninklijke Marechaussee das racial profiling verboten, also die Methode, eine Person aufgrund ihres körperlichen Erscheinungsbilds, wie ihrer Gesichtszüge oder Hautfarbe, polizeilich zu kontrollieren. Ein Zusammenschluss aus Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hatte gemeinsam mit dem Betroffenen Mpanzu Bamenga den Staat verklagt.

Bamenga, ein Jurist und Gründer mehrerer Menschenrechtsinitiativen, war von der niederländischen Gendarmerie einer Kontrolle unterzogen worden und sah darin eine Form rassistischer Diskriminierung. Er war im Jahr 2018 auf dem Rückweg von einer Kon­ferenz in Rom, wo er als Redner geladen war, als ihn die Marechaussee am Flughafen von Eindhoven für eine Mobile Sicherheitsüberwachung (Mobiel Toezicht Veiligheid, MTV) herauspickte. Die MTV wird zur Kontrolle von Reisenden innerhalb der Europäischen Union eingesetzt, wo Grenzkontrollen nicht erlaubt sind, wohl aber Kontrollen zur Verhinderung des illegalen Aufenthalts in den Niederlanden. Die Beamten sagten Bamenga auf Nachfrage, dass sie auf der Suche nach Kriminellen seien, die »nicht niederländisch« aussähen. Für Bamenga war klar, dass sie ihn wegen seiner dunklen Hautfarbe durchsucht hatten, wie er dem Nachrichtensender Omroep Brabant gegenüber sagte. Es folgten ein jahrelanger Rechtsstreit und eine öffentliche Debatte. Nun hat das Gericht den Kläger:innen recht gegeben.

Die Marechaussee erstellt für ihre Arbeit Risikoprofile, die sie aus »Trends in Migrationsströmen« ableitet. »Dabei kann die Hautfarbe relevant sein, etwa wenn viele Migranten aus einem bestimmten Land kommen«, erklärte ein Vertreter ihr Vorgehen vor Gericht. Doch werde die Hautfarbe nur in Kombination mit anderen Faktoren als Risikoindikator verwendet, wie die Staatssekretärin für Justiz- und Sicherheit, Anneke Broekers-Knol, im Namen der Marechaussee mitteilte. »Es geht um Abweichungen vom Normalbild, das Verhalten, die Reiseroute und Indikatoren wie die ethnische Zugehörigkeit. Das Zusammenspiel ermöglicht den Beamten, Personen auszuwählen, die überwacht werden sollen«, sagte sie auf Anfrage der sozialliberalen Abgeordneten Salima Belhaj im Parlament. Von racial profiling könne aus ihrer Sicht keine Rede sein.

Ein Gericht folgte dieser Argumentation im Jahr 2021 zunächst. Der dama­lige Vorsitzende Richter betrachtete es als legitim, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu kontrollieren, solange diese nicht der einzige Grund für die Überprüfung ist, wie der niederländische Nachrichtensender NOS berichtete. »Die Möglichkeit, die Staatsangehörigkeit zu bestimmen, ist für die Wirksamkeit der MTV von großer Bedeutung, da sie den Aufenthaltsstatus einer Person bestimmen kann«, so der Richter damals. Das ethnische Erscheinungsbild könne ein »objektiver Hinweis auf die Herkunft oder Staatsangehörigkeit einer Person sein«. Der suggerierte Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Nationalität »hat viele people of color schockiert und ihnen das Gefühl gegeben, Bürger zweiter Klasse zu sein«, sagt Dionne Abdoelhafiezkhan von der an der Klage beteiligten Menschenrechtsinitiative Control Alt Delete.

Im Berufungsverfahren folgte das höchste Gericht nun der Auffassung der Kläger. Der Vorsitzende Richter stellte in seinem Urteil fest, dass Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe und »ohne objektive und angemessene Begründung« eine besonders schwerwiegende Form der Diskriminierung seien, dass Aussehen und Hautfarbe nichts über die Staatsangehörigkeit aussagten und dass die Marechaussee sich im Fall von Bamenga rassistischer Diskriminierung schuldig gemacht habe. Bamenga ist erleichtert über den Ausgang des Prozesses. »Es war ein jahrelanger Kampf. Das Gericht spricht endlich aus, dass ich als Mensch da sein darf und nicht aufgrund meiner Hautfarbe beurteilt werde«, sagte er NOS. »Das ist ein großer Sieg für alle, die sich seit Jahren gegen Rassismus, racial profiling und für Gleichbehandlung einsetzen.« Amnesty International twitterte: »Ein historisches Urteil!«

Das Gericht hielt aber auch fest, »die Bekämpfung illegaler Migration« sei »weiterhin ein legitimes Ziel des Staates«, und die Marechaussee benötige Kriterien zur Erstellung von Profilen. Für deren Arbeit sind die Folgen des Urteils faktisch gering. »Wir greifen aus Legitimitätsgründen seit November 2021 nicht mehr auf Ethnizität als Kriterium zurück. Wir stützen unsere Arbeit auf andere informationsgesteuerte Methoden. Wenn wir etwa wissen, dass auf Flügen aus Italien oder Griechenland viel Menschenhandel stattfindet, führen wir dort mehr Stichprobenkontrollen durch«, teilte Marechaussee-Sprecher Robert van Kapel der Jungle World mit.

Ein Grund für den Kurswechsel war die anhaltende öffentliche Debatte über Rassismus in den niederländischen Behörden. Angefacht wurde sie auch dadurch, dass das Finanzamt bei der Fahndung nach Steuerbetrug jahrelang insbesondere migrantischen Familien das Kindergeld gekürzt hatte, mit teils existentiellen Folgen. Ein Algorithmus hatte sie aufgrund ihrer Nachnamen in ein erhöhtes Risikoprofil eingestuft. Einige der Betroffenen warten bis heute auf Schadensersatz vom Staat.