Shelly ­Kupferbergs Debütroman »Isidor. Ein jüdisches Leben«

Vielstimmiges Porträt

Platte Buch Von Tanja Dückers

Die in ­Berlin lebende Journalistin zeichnet ein ergreifendes Porträt ihres Urgroßonkels.

»Mein Urgroßonkel war ein Dandy«, lautet der erste Satz von Shelly ­Kupferbergs Debütroman »Isidor. Ein jüdisches Leben«, in dem die in ­Berlin lebende Journalistin ein ergreifendes Porträt ihres Urgroßonkels zeichnet. Es ist das erste Buch der 1974 in Tel Aviv geborenen Kupferberg.

Darin geht sie der Frage nach: Wie konnte ein so intelligenter, informierter Mensch mit Beziehungen in höchste Wiener Kreise nicht ahnen, was unter den vulgären Nationalsozialisten auf die Juden Europas zukommen würde? Und: Inwiefern steht Isidor Geller exemplarisch für ein gehobenes jüdisches Bürgertum? Dass Kupferberg »Isidor« nicht im Stil eines historischen Romans verfasst hat, sondern aus ihrer Position als Nachfahrin mit »heu­tigen Fragen« schreibt, macht diese Spuren­suche besonders inter­essant.

Kupferberg verliert sich nicht in Bildern vom Wiener Luxusleben zwischen Oper und Canapé, sie behält einen kühlen Kopf und genug Abstand zur eigenen Familie.

Es ist der Erfolg des grundoptimistischen ­Isidor Geller, der ihn an die guten Wendungen im Leben glauben lässt. Aus einem ärmlichen Schtetl in Galizien stammend, hat er nur einen Wunsch: Provinz und Elend hinter sich zu lassen.

Es gelingt ihm, sich ein neues Leben in Wien aufzubauen, zu Ruhm und Geld zu kommen. Als Jurist wird er Berater des österreichischen Staats, Kommerzialrat, nebenbei ist er Kunstsammler, Opernfan und der Liebhaber einer zauberhaften Sängerin. Weitere ­Familienmitglieder lassen ein vielstimmiges Porträt entstehen.

Doch Kupferberg verliert sich nicht in Bildern vom Wiener Luxusleben zwischen Oper und Canapé, sie behält einen kühlen Kopf und genug Abstand zur eigenen Familie: Rechercheergebnisse, Zitate aus Dokumenten und Briefe der Familie finden immer wieder Eingang in den erzählerischen Fluss – insbesondere in den späteren Kapiteln, die Isidors Leben nach der sogenannten Machtergreifung bis hin zu seinem gewaltsamen Tod im Jahr 1938 wiedergeben. Kupferberg hat mit ihrem ersten Roman ein wichtiges Stück Zeit­geschichte geschrieben.

 

Buchcover Isidor

Shelly Kupferberg: Isidor. Ein jüdisches Leben. ­Diogenes-Verlag, Zürich 2022, 256 Seiten, 24 Euro