Belgiens Regierung ist überfordert mit der Unterbringung Geflüchteter

Besetzer aus dem Zeltlager

Die Aufnahmezentren sind überfüllt, obdachlose Asylsuchende haben ein Gebäude in Brüssel besetzt.

An den Fenstern des besetzten ehemaligen Kulturzentrums Allée du Kaai in der Nähe des Brüsseler Nordbahnhofs hängen Transparente, auf denen steht: »Demandeurs d’asile à la rue. État coupable« (Asylsuchende auf der Straße. Der Staat ist verantwortlich). Die Botschaft ist klar: Die Besetzer:innen des Gebäudes, das nach einem Umbau vom Staat als »Nationales Krisenzen­trum« genutzt werden soll, fordern eine menschenwürdige Unterbringung. Viele von ihnen lebten zuvor in einem Camp im Stadtbezirk Molenbeek-Saint-Jean. Ein dort von Obdachlosen errichtetes Zeltlager, in dem zeitweise etwa 300 Geflüchtete kampierten, war wenige Tage vor der Hausbesetzung von den Behörden geräumt worden.

Die Regierung versprach, Unterkünfte für die ehemaligen Campbewohner:in­nen zu organisieren, doch mehr als 80 konnte sie laut eigenen Angaben nicht auftreiben. Politiker und Journalisten sprechen von einer opvangcrisis (Unterbringungskrise), denn derzeit sind von den rund 34 000 verfügbaren Plätzen fast 95 Prozent belegt, wie aus Zahlen der Agence fédérale pour l’accueil des demandeurs d’asile (Fedasil) hervorgeht, der zuständigen Behörde für die Aufnahme von Asylsuchenden.

Insbesondere für Geflüchtete, über deren Asylantrag noch nicht entschieden wurde, gibt es zu wenig Schlafplätze. Viele der Anträge könnten wegen Personalmangel nicht rechtzeitig bearbeitet werden, heißt es aus der Behörde. Seit Monaten klagt Fedasil, dass die Mitarbeiter an der Belastungsgrenze arbeiten. Sie können die derzeit wieder steigende Anzahl von Asylanträgen sowie die Betreuung der mittlerweile knapp 65 000 Geflüchteten aus der Ukraine kaum bewältigen.

Jüngsten Umfragen zufolge könnten flämisch-nationalistischer Nieuw-Vlaamse Alliantie und der extrem rechte Vlaams Belang bei den kommenden Wahlen eine Mehrheit in Flandern erringen.

Die Politik Belgiens hat selbst zu einer Verschlimmerung der Situation beigetragen. 2015 und 2016 war die Zahl der Asylbewerber:innen in der EU mit jeweils über 1,2 Millionen Anträgen doppelt so hoch wie zuvor. Nach dieser sogenannten Flüchtlingskrise hat die belgische Regierung die Unterkünfte für Geflüchtete von circa 33 000 auf 21 000 Plätze gekürzt, wie aus Zahlen der Agentschap Integratie en Inburgering (Behörde für Integration und Einbürgerung) im flämischen Landesteil hervorgeht.

Erst in den vergangenen Monaten wurden die Auffangkapazitäten wieder erhöht, allerdings nicht schnell genug. »Der Zugang zu angemessenen Aufnahmebedingungen für Asylsuchende ist von grundlegender Bedeutung für ein gerechtes und wirksames Asylverfahren«, teilt Hind Sharif, Sprecherin der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR), auf Anfrage der Jungle World mit. Dies sei in Belgien derzeit nur unzureichend gewährleistet.

Der Mangel an Unterkünften und Personal hängt auch mit dem bereits seit Jahren anhaltenden Patt zwischen den Parteien zusammen. Die Regierungsbildung unter dem liberalen Premierminister Alexander De Croo (Open Vlaamse Liberalen en Democraten, Open VLD) dauerte 494 Tage, gemessen ab dem Wahltermin am 26. Mai 2019. Die weitgespannte Koalition aus Liberalen (Open VLD sowie MR), flämischen Christlich-Konservativen (CD&V), Grünen (Ecolo sowie Groen) und Sozialdemokraten (PS, Vooruit) gilt als äußerst fragil.

Dabei setzt die nationalistische und extreme Rechte die CD&V stark unter Druck, vor allem im flämischen Teil des Landes. Jüngsten Umfragen zufolge könnten flämisch-nationalistischer Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) und der extrem rechte Vlaams Belang bei den kommenden Regionalwahlen gemeinsam eine Mehrheit in der Region Flandern erringen. Belgienweit liegen die flämischen separatistischen Parteien den Prognosen zufolge zusammen bei knapp einem Viertel der Stimmen.

Der Beschluss der Regierung sieht vor, ein altes Polizeigelände im flämischen Kampenhout, knapp 20 Kilometer von Brüssel entfernt, zu einem Containerdorf mit 400 Plätzen umzufunktionieren.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Regierungskoalition auf einen Kompromiss geeinigt, der Zugeständnisse an die extreme Rechte macht. Die konservative Staatssekretärin für Asyl und Migration, Nicole de Moor (CD&V), kündigte vergangene Woche an, abgelehnte Asylsuchende schneller abzuschieben. Zugleich betonte sie, mehr Personal für Fedasil und neue Unterkünfte bereitzustellen. Der Beschluss der Regierung sieht vor, ein altes Polizeigelände im flämischen Kampenhout, knapp 20 Kilometer von Brüssel entfernt, zu einem Containerdorf mit 400 Plätzen umzufunktionieren.

Doch dagegen wollen Anwohner:innen des Dorfs mit Unterstützung einer lokalen Umweltinitiative vorgehen: »Die Ansiedlung von 400 Menschen inmitten eines Waldes bedeutet eine Katastrophe für die Tierwelt von Kampenhout«, heißt es im Aufruf des Naturschutzbunds »Natuurpunt Kampenhout«. Unterstützung erhielten die Demonstranten dabei von dem rechtsextremen Vlaams Belang. Der Bürgermeister des Dorfs, selbst Mitglied der mitregierenden CD & V, kündigte an, juristisch gegen die Entscheidung der Regierung vorzugehen.

Gleichzeitig mit der Verkündung des Kompromisses hatte Staatssekretärin de Moor auch mitgeteilt, dass sie gemeinsam mit der Brüsseler Verwaltung eine Lösung für die Besetzer:innen des Hauses im Brüsseler Norden gefunden habe. Doch geschehen ist bislang nichts, außer dass die Umbauarbeiten zum Nationalen Krisenzentrum unvermindert weitergehen.