In Indien feierte die Milliardärs­familie Ambani über Monate eine opulente Hochzeit

Party des Jahres

Die opulente Hochzeitsfeier der indischen Milliardärsfamilie Ambani erregte im Juli auch aufgrund der prominenten Gäste internationale Aufmerksamkeit.

Delhi. Rund sechs Wochen nach dem Ende der Parlamentswahl in Indien, die sich in sieben Phasen vom 19. April bis 1. Juni hingezogen hatte, stand eine wichtige Zeremonie der Macht an. Nach Monaten voll einleitender Feiern fand in Mumbai vom 12. bis zum 14. Juli die Hochzeit von Anant Ambani und Radhika Merchant statt. Sie ist Tochter des Pharma-Tycoons Viren Merchant; der Vater des Bräutigams ist Mukesh Ambani, dessen Vermögen das Magazin Forbes auf über 107 Milliarden Euro schätzt, wonach er als der reichste Mann Asiens gelten könnte. Der Familie Ambani gehört der Konzern Reliance Industries, ein Konglomerat aus mehreren Unternehmen in fast sämtlichen Bereichen der indischen Wirtschaft, darunter Petrochemie, Öl und Gas, Einzelhandel sowie Unterhaltung und Telekommunikation.

Die Kosten der Hochzeit werden auf alles in allem 280 bis 550 Millionen Euro geschätzt. Im März gab es bereits eine dreitägige Verlobungsfeier im Bundesstaat Gujarat im Westen Indiens, bei der Rihanna für die über 1.000 Anwesenden ein Konzert gab, und im Juni eine Kreuzfahrt über das Mittelmeer. Die Liste der Ehrengäste ist lang und beinhaltet unter anderem Kim und Khloé Kardashian, Justin Bieber, indische Kricket-Spieler, die Backstreet Boys, in­dische Modedesigner und Bollywood-Stars, Fifa-Präsident Gianni Infantino, Ivanka Trump, Mark Zuckerberg, Bill Gates und ehemalige Regierungsoberhäupter aus Großbritannien, Kanada, Schweden und Katar. Auch der indische Ministerpräsident Narendra Modi nahm nach seiner Rückkehr von Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau an der Hochzeitsfeier teil. Er gilt als eng verbunden mit Mukesh Ambani – beide stammen aus Gujarat.

Die Medien, die der Familie Ambani gehören, zeigten schon seit Monaten Bilder jubelnder Massen, die dem Hochzeitspaar ihre Glückwünsche aussprechen.

Bereits 2018 schätzte der »Robin Hood Index« der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass Ambanis persönliches Vermögen ausreiche, um den Etat der indischen Regierung für 20 Tage zu finanzieren. Die indische Wirtschaft – und damit auch die Unternehmen der Ambanis – und die großen Parteien sind so eng miteinander verwoben, dass die Aktienkurse insgesamt stark nach unten rutschten und die Leitindizes NSE Nifty 50 und BSE Sensex entsprechend nachgaben, als Modis hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) zwar als stärkste Partei die Wahlen gewann, aber die absolute Mehrheit verlor. Das Parteienbündnis der BJP, die Nationale Demokratische Allianz (NDA), hat mit 293 von 543 Sitzen nur noch eine knappe Mehrheit im Unterhaus, der Lok Sabha. Somit ist die BJP nun bei Abstimmungen auf ihre Koalitionspartner ­angewiesen.

Bei der Riesenhochzeit ging es nicht nur ums Feiern, sondern auch um ­Geschäftsvereinbarungen. Für Firmen aus dem Ausland ist Ambani zu einem wichtigen Partner geworden, der Zugang zum indischen Markt ermöglicht. Im Frühjahr hatte Ambani einen Vertrag unterzeichnet, der es seiner Streaming-Plattform Jio Cinema ermöglicht, die Inhalte des US-Medienunternehmens Disney anzubieten.

Wichtige Verkehrsachsen Mumbais ­für Stunden blockiert

In der direkten Nachbarschaft des Jio World Convention Centre führte die Ankunft der Hochzeitsgäste zu Staus. Wichtige Verkehrsachsen Mumbais ­waren für mehrere Stunden blockiert. Dabei hat sich die Familie Ambani bemüht, das Bild entstehen zu lassen, die gesamte indische Bevölkerung sei an den Festen beteiligt. Für 40 Tage richtete sie öffentliche Bankette aus, bei denen viele etwas vom Hochzeitsessen abbekommen konnten. Sie organisierte auch Anfang Juli eine Massenhochzeit für mehr als 50 arme Paare. Die Medien, die zum Familienunternehmen gehören, zeigten schon seit Monaten Bilder jubelnder Massen, die dem Paar ihre Glückwünsche aussprechen.

Aber wer wird hier überhaupt gefragt? Auf den Instagram-Kanälen der Mittelschicht in den Großstädten werden die Outfits der Ambanis und der restlichen Stars diskutiert – man ist stolz auf die indischen Designer, die durch die Partys eine internationale Bühne bekommen. Indische Familien aller Einkommensklassen geben oft das Zehn- bis Zwanzigfache ihres monatlichen Einkommens für Hochzeiten aus. Um dem entgegenzuwirken, schlug die damalige Unterhausabgeordnete Ranjeet Ranjan von der oppositionellen Kongresspartei 2016 den Marriages (Compulsory Registration and Prevention of Wasteful Expenditure) Bill vor, der vorsah, dass wohlhabendere Familien, die mehr als 500.000 Rupien (5.500 Euro) für eine Hochzeit ausgeben wollen, zehn Prozent der Gesamtkosten an Bräute aus ärmeren Familien spenden müssen – allerdings blieb der Vorstoß erfolglos, ebenso wie neun andere ähnliche Gesetzesvorlagen seit 1988.

200 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze

Es gibt auch solche, die diese Zurschaustellung des Reichtums kritisieren. Einer von ihnen ist der Journalist Palagummi Sainath, der die gemeinnützige journalistische Plattform People’s Archive of Rural India gegründet hat, die die Belange der ärmsten Inder thematisiert. Er geht davon aus, dass ein Großteil der Landbevölkerung sich nicht sonderlich für die Hochzeit interessiere. Es sei bedenklich, dass die opulente Veranstaltung als Aushängeschild indischer Kultur gesehen werde. Denn für weniger wohlhabende Familien sei eine Hochzeit immer noch eines der größten Armutsrisiken – und in Indien leben 200 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Oder wie Sainath es ausdrückt: »Wenn harte Arbeit einen zum Milliardär machen würde, dann wären alle Frauen in den indischen Dörfern schon längst zu welchen geworden.«

Der Aufstieg von Reliance ist eng mit politischen Entwicklungen verknüpft. Die Geschichte des Familienunternehmens begann 1966, als Dhirubhai Ambani, der Vater von Mukesh, eine Textilfabrik in Gujarat gründete; die Polyesterproduktion machte ihn in den siebziger Jahren zum Milliardär. Besonders stark wuchs Reliance während der Deregulierung Indiens in den achtziger und neunziger Jahren, als das Land sich von wesentlichen Teilen staatlicher Wirtschaftslenkung verabschiedete und den Übergang von einer geplanten zu einer liberalen Marktwirtschaft vollzog. In dieser Zeit konnten sich die Ambanis wichtige Lizenzverträge in Bereichen sichern, die vorher dem Staat vorbehalten waren. Man konzentrierte sich vor allem auf die Förderung von Öl und Gas. Tatsächlich führten Ansprüche auf Gasfelder im Indischen Ozean zu Spannungen in der zweiten Familiengeneration und einem Erbstreit der Söhne Mukesh und Anil, nachdem Dhirubhai 2002 überraschend und ohne ein Testament gestorben war. Es war Mukesh, der letztlich 2005 als Sieger aus einem erbitterten Rechtsstreit hervorging. Im Zuge dessen wurde der Konzern gespalten.

Prestigeträchtigstes Projekt des Hindunationalismus

Für die Ambanis sind die jeweiligen politischen Konstellationen gar nicht unbedingt von Bedeutung. Sowohl mit den Regierungen der von 1947 bis 2014 dominierenden Kongresspartei als auch mit denen der seitdem vorherrschenden BJP bestehen beste Beziehungen. Ambanis Medienkonzern Network 18 galt als einer der wichtigsten Kanäle, die während des diesjährigen Wahlkampfs durch positive Berichterstattung über die BJP auffielen. Der Sender CNBC 18, der zu diesem Medienkonglomerat gehört, hatte in eigenen Hochrechnungen noch zwei Tage vor der offiziellen Auszählung verkündet, Modis Parteienbündnis NDA könne bis zu 370 Parlamentssitze erhalten. Dass das Endergebnis signifikant schlechter ausfiel als vorausgesagt, sehen vielen als Zeichen, dass die politischen und wirtschaftlichen Führungsschichten des Landes langsam den Bezug zur Bevölkerung verlieren.

Das Wahlergebnis weckte auch bei einigen die Hoffnung, dass der von der BJP propagierte Hindunationalismus und die Versuche, das Land entlang religiöser Trennlinien durch Spaltung zu beherrschen, bei vielen nicht mehr fruchten, gerade in Regionen, die die BJP beherrscht. Diese konnte vor allem in den südlichen Bundesstaaten Karnataka und Andhra Pradesh Sitze hinzugewinnen.

Selbst im südwestlichen Bundesstaat Kerala, das das Parteienbündnis Left Democratic Front (LDF) mit der Communist Party of India (Marxist) an der Spitze regiert, errang die BJP erstmals einen Sitz. Allerdings verlor sie Sitze im nördlichen Staat Uttar Pradesh, der bisher als Hochburg der Partei galt. Besonders fatal für die BJP ist dabei der Sitzverlust im Wahlkreis Faizabad. Dort liegt die Stadt Ayodhya, die das derzeit prestigeträchtigste Projekt des Hindunationalismus in Indien beheimatet: Bis 1992 stand hier die auf Befehl des Mogulherrschers Babur im 16. Jahrhundert errichtete Babri-Moschee – dann wurde sie von einem fanatischen Mob niedergerissen. Nach einer seit dem 19. Jahrhundert dokumentierten hinduistischen Legende handelt es sich bei diesem Ort um die Geburtsstätte des Gottes Rama. An der Stelle der Moschee ließ die BJP einen Tempelkomplex errichten, der im Januar pünktlich zum Wahlkampf eingeweiht wurde. Genützt hat es nichts – den Parlamentssitz gewann die sozialistische Samajwadi Party.

Die Regierungszeit der BJP ist damit noch nicht vorbei. Doch auch wenn sie die Macht einmal verlieren sollte – die Familie Ambani wird vermutlich einen Weg finden, davon zu profitieren.