Eine neues Organisations­bündnis setzt sich für nach Deutschland geflohene Oppositionelle ein

Grenzenlose Repression

Nach Deutschland geflohene Oppositionelle werden im Exil oft weiterhin eingeschüchtert und bedroht. Eine neu gegründete »Koalition gegen transnationale Repression« will sich für sie einsetzen.

Die Journalistin Su Yutong floh 2010 nach Deutschland. Sie hatte in China Tagebücher des ehemaligen Ministerpräsidenten Li Peng verbreitet, eines der Hauptverantwortlichen für das ­Tiananmen-Massaker 1989. Das Regime verbot das Buch – bis heute wird in China jegliche Auseinandersetzung mit den damaligen Ereignissen unterdrückt. Die Autoritäten drangsalierten Su Yutong und stellten sie unter ­Hausarrest.

Von Deutschland aus übte sie weiter öffentlich Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in China. Auch hierzulande schien das chinesische Regime sie mundtot machen zu wollen. Jahrelang erhielt sie Drohanrufe und -nachrichten via Whatsapp und Telegram. Ihre Fotos und ihre Adresse wurden auf einer Sex-Dating-Website hoch­geladen, so dass fremde Männer an ihrer Tür klingelten. Nachdem Bombendrohungen in ihrem Namen gemacht worden waren, ermittelten ­sogar die Behörden gegen sie.

Ausländische Regime scheinen immer häufiger geflohene Oppositionelle in Deutschland zu bedrohen. »Uns erreichen mehr Fälle in den letzten Jahren«, berichtet Sophie von Waitz von Reporter ohne Grenzen.

Oft können geflohene Oppositionelle auch in Deutschland nicht sicher leben, sondern müssen den langen Arm der Regime ihrer Herkunftsländer fürchten – ob es sich nun um China, Aserbaidschan, Vietnam, Belarus, Ägypten, die Türkei, Syrien oder den Iran handelt. Vergangene Woche haben sich elf Organisationen zu einer »Koalition gegen transnationale Repression« zusammengeschlossen, um auf diese Zustände aufmerksam zu machen. Darunter sind Vereine wie »Freiheit für Hongkong«, die Belarussische Gemeinschaft Razam, der World Uyghur Congress sowie Reporter ohne Grenzen.

Der Begriff »transnationale Repres­sion« beschreibt die systematische Einschüchterung und Bedrohung von Exilanten und Dissidenten durch autokratische Regime. Oft richtet sich diese Praxis gegen Medienschaffende. Ein prominentes Beispiel ist der türkische Journalist Erk Acarer, ein Kritiker der Regierung Erdoğan, der 2021 in Berlin von drei Männern angegriffen und misshandelt wurde.

Feindeslisten, die ­unter türkischen Rechten kursieren

Acarer twitterte nach der Tat, er kenne die Täter, und: »Ich werde mich dem Faschismus nie ergeben.« Die Bundesregierung sagte damals, es gebe Hinweise auf Feindeslisten, die ­unter türkischen Rechten hierzulande kursieren, auf denen die Namen und Adressen türkischer Exilanten in Deutschland verzeichnet sein sollen. Wenn Familienmitglieder der Dissidenten sich noch im Herkunftsland befinden, werden die dortigen Ange­hörigen aufgesucht und eingeschüchtert, um indirekt Druck auszuüben.

Der Chefredakteur und Herausgeber der vietnamesischsprachigen Online-Publikation Thoibao.de, Trung Khoa Lê, erhielt jahrelang Morddrohungen und seine Arbeit wurde systematisch sabotiert. Er verlor mehrmals den Zugriff auf die Website von Thoibao.de sowie auf seine Facebook-Seite – in Vietnam ist Facebook für viele eine wichtige Nachrichtenquelle. Einmal erschien auf seiner Facebook-Seite eine Todesanzeige »Zur Erinnerung an Trung Khoa Lê« und er selbst konnte auf seiner Seite nichts mehr posten. Auch wurde die Website von ­Thoibao.de aus Vietnam so stark mit Zugangssperren belegt, dass man nicht mehr auf sie zugreifen konnte.

Die 2014 nach Lettland geflohene russische Journalistin und Herausgeberin der unabhängigen Nachrichten-Website Meduza, Galina Timtschenko, wurde 2023 während eines Aufenthalts in Berlin, bei dem sie andere verfolgte russische Journalisten traf, mit der Spähsoftware Pegasus abgehört.

Weltweit zunehmender Autoritarismus

Die »transnationale Repression« scheint in Deutschland immer häufiger zu werden. »Uns erreichen mehr Fälle in den letzten Jahren«, berichtet Sophie von Waitz von Reporter ohne Grenzen der Jungle World. Dies sei auf den weltweit zunehmenden Autoritarismus zurückzuführen.

Eine Herausforderung dabei sei, dass das Phänomen bei den Behörden oft wenig bekannt sei. Auch erfolgten viele Einschüchterungsversuche meist gezielt unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit. »Von außen betrachtet scheinen die einzelnen Vorfälle digitaler und analoger Bedrohung vielleicht lapidar, doch zusammengenommen bewirkt die Häufung der minimalinvasiven Vorfälle eine massive Unterdrückung«, sagt von Waitz.

Der »Koalition gegen transnationale Repression« geht es deshalb außer um die Identifikation und Dokumentation von Einzelfällen in erster Linie darum, die Öffentlichkeit und die Behörden zu sensibilisieren. Letztere wollen sie zu dem Thema aus der Sicht der Opfer beraten. Bald sollen auch politische Forderungen ausformuliert werden, denn es fehle an Präventions- und Schutzangeboten, so von Waitz. Sie meint, eine Koordinierungsstelle für transnationale Repression, angesiedelt bei den Menschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt, könne helfen. Von der Regierung wünscht sich die »Koalition« außerdem eine bessere Überprüfung von ausländischem di­plomatischem Personal. Denn immer wieder gebe es Hinweise, dass Botschaftspersonal in Fälle von transnationaler Repression involviert sei.