Elon Musk hat aus X eine Plattform für rechtsextreme Propaganda gemacht

Ein Safe Space für Nazis

Von Tom Uhlig

Seit Elon Musk Twitter übernommen und in X umbenannt hat, wird die Plattform von rechtsextremen Inhalten geradezu überflutet. Der Umsatz ist stark eingebrochen, doch das scheint Musk nicht zu beirren.

Mitte August begann X, vormals Twitter, auf der eigenen Plattform eine Werbekampagne für Premium-Abonnements. »X is the global town square«, wird darin selbstbewusst behauptet – »der globale Stadtplatz«, das Forum des Austauschs. Doch während man auf einem echten öffentlichen Platz in der Regel kein Geld bezahlen muss, um sich Gehör zu verschaffen, scheint das auf X mittlerweile unabdingbar. Wer einen kostenpflichtigen Premium-Account hat, dem wird unter anderem versprochen, dass die eigenen Kommentare und Posts immer weit oben angezeigt werden.

Seit Elon Musk die Plattform übernommen hat, wird beständig nach neuen Modellen der Monetarisierung gesucht, denn die früheren Einnahmequellen versiegen nach und nach. Wegen der laxen Content-Moderation wird X inzwischen geradezu überschwemmt von Hetze und Fake News. Das vertreibt immer mehr zahlende Werbekunden, und auch viele User:innen verlassen die Plattform oder wechseln zu Alternativen wie Threads oder Bluesky. Vergangene Woche wurde X in Brasilien sogar komplett gesperrt, weil sich die Plattform weigerte, auf gerichtliche Anordnung hin bestimmte Accounts zu sperren.

Wie die wirtschaftliche Situation von X genau aussieht, ist nicht bekannt, weil das Unternehmen im Zuge der Übernahme von der Börse genommen wurde und keine Quartalsberichte mehr veröffentlichen muss. Doch die New York Times berichtete kürzlich auf Basis interner Dokumente, dass die Einnahmen des Konzerns seit der Übernahme durch Musk im Jahr 2022 um 84 Prozent eingebrochen sind.

Vieles spricht dafür, dass Musks Firmenpolitik bei X weniger wirtschaftlich als ideologisch motiviert ist.

Die angespannte Lage lässt sich am nervösen Verhalten der Chefs ablesen. Linda Yaccarino, CEO von X, veröffentlichte gleichzeitig mit der Werbekampagne für Premium-Accounts ein Video, in dem sie ankündigte, X habe gegen einen »systematischen illegalen Boykott« durch Werbekunden Klage eingereicht. Yaccarino sagte, es dürfe nicht dieser »kleinen Gruppe von Menschen« überlassen sein, zu »monopolisieren, was monetarisiert wird«. Diese Gruppe habe »keine Chance gegen die Macht unserer User«.

Gemeint war die Global Alliance for Responsible Media (GARM), eine Plattform der World Federation of Advertisers, eines internationalen Zusammenschlusses von Werbefirmen, Medien und Internetunternehmen. GARM wurde gegründet, nachdem das Attentat von Christchurch auf Facebook live gestreamt worden war, um zu verhindern, dass Werbeanzeigen neben terroristischen oder kinderpornographischen Inhalten auftauchen.

Die Klage von X – auf der Basis des Kartellrechtes – hatte insofern Erfolg, als GARM sich kurz nach deren Erhebung auflöste. Musks Problem ausbleibender Anzeigen löst das allerdings wohl kaum. Und ihn scheint das nicht groß zu stören, er legt es geradezu darauf an, Werbekunden zu verprellen. Ende vergangenen Jahres wurde Musk bei einer Konferenz nach dem Boykott gegen X gefragt, den Bob Iger, der Vorstandsvorsitzende des Disney-Konzerns, und andere Werbekund:innen angekündigt hatten. Er antwortete bloß, die »sollen sich ficken«, es sei ihm egal. Der Grund für Igers Boykottankündigung war, dass Musk auf X einen Post, in dem es hieß, Juden würden »Hass gegen Weiße verbreiten« und dafür sorgen, dass »Horden von Minderheiten« die westlichen Länder »fluten«, mit den Worten kommentierte: »Das ist die reine Wahrheit.«

Im Februar 2024 veröffentliche das Nachrichtenressort des Senders NBC eine relativ unsystematische Recherche über rechtsextreme Umtriebe auf X. Man habe 150 Premium-Accounts und Tausende andere gefunden, die nazistische Inhalte erstellen oder teilen, also Nazi-Symbole, Verherrlichung der deutschen Wehrmacht oder Holocaustleugnung. Diese Accounts würden millionenfach betrachtet und tausendfach geteilt, obwohl sie eigentlich den Richtlinien von X widersprächen.

Offen nazistische Inhalte auf X toleriert

Vieles spricht dafür, dass diese Firmenpolitik weniger wirtschaftlich als ideologisch motiviert ist. Le Monde zufolge wurden kurz nach Musks Übernahme 12.000 Accounts wieder freigeschaltet, die vorher wegen antisemitischen, rassistischen oder LGBT-feindlichen Kommentaren blockiert waren. Einer von ihnen war der Influencer Andrew Tate – ein frauenfeindlicher Anhänger von Verschwörungstheorien, der in Rumänien wegen Menschenhandels und Vergewaltigung angeklagt ist. Im vergangenen Jahr hat er gut fünf Millionen neue Follower gewonnen.

Oder die Qanon-Anhängerin und republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die erst wegen Falschdarstellungen zu Covid-19-Impfstoffen gesperrt wurde und jetzt über 1,1 Millionen Follower hat. Und natürlich Donald Trump, den Musk nun offiziell bei der Präsidentschaftswahl unterstützt und den er kürzlich persönlich in einem sogenannten X-Space gut zwei Stunden lang live interviewte.

Inzwischen werden ganz offen nazistische Inhalte auf X toleriert. Die US-amerikanische Medienpersönlichkeit Candace Owens, die inzwischen offenen Antisemitismus verbreitet, postet täglich auf X und hat dort 5,5 Millionen Follower. Das Judentum sei eine »pädophile Religion, die an Dämonen glaubt und Kinder opfert«, sagte sie kürzlich in einem Gespräch mit Tristan Tate, dem Bruder von Andrew Tate, das sie auf X postete. Die Menschen müssten »aufwachen und erkennen, dass wir von Pädophilen beherrscht werden«.

»Protokolle der Weisen von Zion«

Der deutsche Internetunternehmer und Gründer der Filesharing-Website Megaupload, Kim Dotcom, kündigte Mitte August seinen 1,6 Millionen Followern auf X »den wohl wichtigsten Post, den du jemals lesen wirst,« an. Denn er »gebe eine einfache Erklärung dafür, warum die Welt gerade zerstört wird«. Die meint er nämlich in den »Protokollen der Weisen von Zion« gefunden zu haben, aus denen er dann ausgiebig zitierte. Alles, was heute passiere, »beweist, dass dieser Plan echt ist«. Denn warum »sind Zionisten so massiv überrepräsentiert in den Medien, der Politik, Banken und der Weltpolitik?« Der Post ist immer noch online und wurde inzwischen 5,8 Millionen Mal angesehen, mit fast 58.000 Likes.

Was Elon Musk sich wohl unter »free speech« vorstellt, nimmt auf X täglich deutlichere Konturen an. Die Plattform ist immer noch ein Ort, an dem sich Regierungen, Berufspolitiker, Akademiker und Journalisten der Welt mitteilten, doch gleichzeitig erinnert X immer mehr an unmoderierte (Image-)Boards wie 
r/pol oder 4Chan, die nicht nur ein Sammelbecken für Propaganda übelster Sorte waren, sondern auch einige inspiriert haben, der entsprechenden Propaganda Taten folgen zu lassen. Musk fühlt sich auf seiner eigenen Plattform anscheinend ziemlich wohl. Er postet und kommentiert unentwegt in seinem kleinen Königreich, das sich unter seiner Herrschaft in einen Safe Space für Nazis verwandelt hat.