Donald Trump droht eine Verurteilung in Georgia nach einem Anti-Mafia-Gesetz wegen Wahlbetrugs

Georgia on My Mind

Wegen Verstoßes gegen ein Anti-Mafia-Gesetz mit dem Ziel des Wahl­betrugs im Bundesstaat Georgia droht dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und 18 Mitangeklagten eine Verurteilung.

Die jüngsten Anklagen gegen Donald J. Trump sind die bislang gravierendsten, denn ihm und seinen 18 mutmaßlichen Mitverschwörern droht in Georgia eine Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Rico-Gesetz zum Zweck des Wahlbetrugs. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 hatte Trump versucht, deren Ergebnis im Bundesstaat Georgia zu seinen Gunsten zu verändern. »Rico« ist ein Akronym und steht für den »Racketeer Influenced and Criminal Organizations Act«, ein 1970 von dem Demokraten John L. McClellan in den Senat eingebrachtes und im Oktober jenes Jahres vom damaligen repu­blikanischen Präsidenten Richard Nixon unterzeichnetes Gesetz zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Auf Bundesebene ermöglicht es das Rico-Gesetz Kriminalbeamten und Anklägern, diverse in unterschiedlichen Bundesstaaten begangene Gesetzesverstöße und Verbrechen zusammenzufassen sowie gegen eine (auch lose) Organisation oder ein Unternehmen zu ermitteln, wenn der Verdacht auf mindestens zwei von 35 im Gesetz aufgeführte Straftaten besteht.

33 Bundesstaaten übernahmen das Rico-Gesetz in ihre Rechtsprechung, jeweils in regionaler Variation. In Georgia ist die Rico-Gesetzgebung weiter gefasst als in anderen Bundesstaaten. Angeklagte müssen beispielsweise nicht physisch in Georgia anwesend gewesen sein, zudem können auch nur versuchte Verstöße gegen das Rico-Gesetz angeklagt werden.

Einer der spektakulärsten Rico-Fälle in Georgia ereignete sich im Dezember 2000, als der neu gewählte Sheriff von DeKalb County, Derwin Brown, drei Tage vor seiner Amtseinführung vor seinem Wohnhaus ermordet wurde. Brown, ein hochangesehener Polizist und Kolumnist der örtlichen Tageszeitung, hatte im Wahlkampf immer wieder die Bekämpfung von polizeilicher Korruption und Bestechlichkeit versprochen. Das war auch das Tatmotiv, der vormalige Sheriff Sidney Dorsey, der gegen Brown seine Wiederwahl verloren hatte, hatte einen später geständigen Mitarbeiter mit dem Mord beauftragt und ihm als Belohnung eine Beförderung in Aussicht gestellt, weil er fürchtete, dass seine kriminellen Akti­vitäten auffliegen könnten. Dorsey, der im Prozess wiederholt seine Unschuld beteuerte, wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung verurteilt. 2007 gestand er im Gefängnis, den Mord in Auftrag gegeben zu haben.

Sidney Blumenthal denkt, die Prozesse gegen Trump trügen in der Wahrnehmung seiner Anhänger zu der »quasireligiösen Märtyrer­mythologie« bei, die ihn für sie attraktiv mache.

Am Montag wurde für den Angeklagten Trump eine Kaution in Höhe von 200.000 Dollar festgelegt. Dazu wurde im Kautionsbeschluss explizit festgehalten, dass er weder Zeugen noch Mit­angeklagte beeinflussen sowie keine direkten oder indirekten Drohungen gegen Prozessbeteiligte aussprechen dürfe. Dies gilt auch für Postings in sozialen Medien sowie Reposts von Beiträgen anderer User.

In Georgia wird seit Freitag voriger Woche gegen eine Qanon-Plattform ermittelt, auf der nicht nur die Klarnamen der Mitglieder der geheim und anonym tagenden Grand Jury veröffentlicht worden waren, die dafür gesorgt hatte, dass Trump sich einem Gerichtsverfahren stellen muss. Auch die Adressen, Social-Media-Accounts und weitere persönlichen Daten der Juroren wurden gepostet, User freuten sich bereits über die »hit list«.

Ob Trump es wirklich schaffen wird, auf seine typischen Verlautbarungen zu verzichten, ist fraglich – er hat in den vergangenen Monaten immer wieder folgenlos gegen ähnliche Auflagen in den Kautionsbeschlüssen anderer Bundesstaaten verstoßen. Den möglichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner einzusperren, sei allerdings, so sind sich Experten einig, für jeden Richter und jede Richterin ein sehr großer Schritt mit unabsehbaren Folgen.

Es ist durchaus denkbar, dass Trump es auf eine Inhaftierung anlegt. Die jüngste Anklage in Georgia hat seinen Chancen bei den Vorwahlen schließlich nicht geschadet: In einer am Montag veröffentlichten Umfrage unter mutmaßlichen Teilnehmern an der Vorwahl der Republikaner in Iowa gaben 42 Prozent der Befragten an, für Donald J. Trump stimmen zu wollen. 19 Prozent sagten, ihr Kandidat sei der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis. Laut einer landesweiten Umfrage des Fernsehsenders CBS würden 62 Prozent der Vorwähler für Trump stimmen.

Sidney Blumenthal, ein ehemaliger Berater von Präsident Bill Clinton, überraschen diese Meinungsumfragen nicht. Die Gerichtsverfahren gegen Trump trügen in der Wahrnehmung seiner Anhänger wesentlich zu der »quasi­religiösen Märtyrermythologie« bei, die den ehemaligen Präsidenten für sie attraktiv mache. Die kommenden ­Prozesse seien daher kein »Nebenschauplatz, sondern Herz und Seele der Trump-Kampagne«, nämlich unverzichtbares Mittel zur Finanzierung ­seiner Verteidigung sowie das Mittel, um seine Anhänger beständig in Auf­regung zu versetzen.

Derzeit versuchen Trumps Anwälte zudem, die Prozesstermine so legen zu lassen, dass sie während der Vorwahlen den größtmöglichen Effekt erzielen. »Alle, vom Staatsanwalt bis zum Mitverschwörer, egal ob namentlich genannt und namenlos, angeklagt und nicht angeklagt«, so Blumenthal, »sind Charaktere in Trumps neuer Reality-Show.«

Das Fulton County Courthouse, Sitz der Grand Jury, 21. August

Die Medien sind auch schon da. Das Fulton County Courthouse, Sitz der Grand Jury, 21. August

Bild:
picture alliance / John David MerceR

Dazu passt, dass Trump davon überzeugt ist, die Vorwahlen ohne klassischen Wahlkampf gewinnen zu können. Am Montag sagte er seine Teilnahme an der Fernsehdebatte der republikanischen Kandidaten kurzfristig ab. Er liege ohnehin in Führung, ließ er wissen, und kündigte für Freitag einen Auftritt in der Show von Tucker Carlson an, die der ehemalige Fox-News-Moderator über den Microblogging-Dienst X (früher Twitter) verbreitet.

Eigentlich hatte Trump überdies vorgehabt, die Fernsehdebatte dadurch zu torpedieren, dass er sich gleichzeitig den Behörden in Georgia stellt. Die Schlagzeilen würden dann ihm und nicht den Kandidaten gehören, hatte er argumentiert, seine Berater konnten ihn jedoch davon überzeugen, dass es keine kluge Idee wäre, die Republikanische Partei derart zu düpieren.

Trump will sich nun am Donnerstag in Atlanta den Behörden stellen. Alle Versuche seiner Anwälte, besondere Bedingungen für die unabdingbar zur Anklageerhebung gehörende Verhaftung auszuhandeln, blieben erfolglos. Und so wird es wohl nichts mit dem ­erhofften Vorfahren des Trump-Konvois vor dem geschmackvollen Ambiente eines imposant-repräsentativen, mit viel Marmor ausgestatteten staatlichen Gebäudes. Mindestens bis zur formalen Anklageerhebung wird Trump wohl in einer Gefängniszelle untergebracht – und das ausgerechnet im Fulton County Jail, einem der heruntergekommensten und berüchtigtsten Knäste von Georgia.

Der zuständige Sheriff Patrick Labat hatte die Zustände in dem derzeit zu 120 Prozent ausgelasteten Gefängnis vorigen Monat »eine humanitäre ­Krise« genannt, nachdem das US-Justizministerium nach der Entdeckung einer mit Läusen und Bettwanzen übersäten Leiche eines Häftlings eine offi­zielle Untersuchung der dortigen Zustände begonnen hatte. Labat zufolge ist das Gebäude zudem einsturzgefährdet, weil Insassen immer wieder die verrotteten Wände beschädigten, um aus den Materialien Stichwaffen her­zustellen. Der Sheriff beharrte zuletzt darauf, dass Trump und seine Mitangeklagten im Fulton County Jail in Untersuchungshaft genommen werden.

Kommt es tatsächlich so weit, wird Trump, wie jeder andere Angeklagte auch, zunächst untersucht und erkennungsdienstlich behandelt werden; danach wird er fotografiert, und diesmal würde der in der Alltagssprache so genannte mug shot auch veröffentlicht werden, denn das ist in Georgia zwingend vorgeschrieben. Zusätzlich zu den Fotos werden persönliche Daten wie Körpergröße und Gewicht bekanntgegeben; auf X wurden bereits Wetten über das Körpergewicht des ehemaligen Präsidenten abgeschlossen.

Dass Trump nur sehr ungern Rechnungen bezahlt, hätte Giuliani eigentlich bekannt sein müssen – für den Mann, der einst ein Liebling der Konservativen war, kommt zum Schaden allerdings nun auch noch heftiger Spott.

Ob Trumps mutmaßlicher Mitverschwörer Rudy Giuliani zusammen mit jenem erscheinen wird, ist unklar. Das Verhältnis der beiden Männer scheint zerrüttet zu sein, zuletzt hatte sich Giuliani darüber beschwert, dass der ehemalige Präsident ihm noch rund 300.000 Dollar schulde und er deshalb Schwierigkeiten habe, seine Anwälte zu bezahlen.

Dass Trump nur sehr ungern Rechnungen bezahlt, hätte Giuliani eigentlich bekannt sein müssen – für den Mann, der einst ein Liebling der Konservativen war, kommt zum Schaden allerdings nun auch noch heftiger Spott. Dass ausgerechnet Rudy Giuliani eine Verurteilung nach dem Rico-Gesetz droht, löste nämlich in den Kreisen der organisierten Kriminalität hämische Begeisterung aus. In den Achtzigern hatte der damalige Bezirksstaatsanwalt und spätere Bürgermeister von New York die Rico-Gesetze genutzt, um gegen die Mafia vorzugehen.

»Er hat Hunderte Menschen mit Hilfe von Rico ins Gefängnis gebracht«, sagte beispielsweise Salvatore Gravano in einem Interview. »Nun, wie fühlt es sich an, wenn er vom Rico-Gesetz selber in den Hintern getreten und vielleicht weggesperrt wird?« Der heute 78jährige Gravano, auch »Sammy the Bull« genannt, war ein Unterboss der Gambino-Familie und wurde 1991 das erste hochrangige Mitglied der five ­families, also der führenden US-Mafiaclans von New York City, das die omertà, das Gebot des Schweigens, brach.

Gravanos umfassende Kooperation mit den Anklagebehörden führte 1992 zur Verurteilung unter anderem des Gambino-Bosses John Gotti zu einer lebenslangen Haftstrafe. »Sammy the Bull«, der als Kronzeuge gestanden hatte, an 19 Morden beteiligt gewesen zu sein, wurde lediglich zu fünf Jahren verurteilt und zog 1995, einen Verbleib im Zeugenschutzprogramm ablehnend, nach Arizona. Im Februar 2000 wurden er, seine ehemalige Frau und seine beiden erwachsenen Kinder sowie 40 weitere Personen als Betreiber eines Ecstasy-Handelsrings verhaftet. Gravano verbrachte daraufhin 13 Jahre im Gefängnis, derzeit betreibt er auf Youtube einen Podcast mit 560.000 Abonnenten – wo er sich zuletzt als großer Trump-Fan outete. Gravano ist fest davon überzeugt, dass alle Anklagen ­Resultat einer unverschämten Verschwörung der Demokraten gegen sein Idol sind.