Die Rolling Stones und Aki Kaurismäki trotzen der Verrentung

Typisch Herbst

Popkolumne. Aki Kaurismäki lässt die Blätter von den Bäumen fallen. Aber die Natur hat noch ganz andere Sachen drauf.
Die Summens Von

Der Alltag ist nach der Spätsommerhitze zurückgekehrt und mit ihm die ersten Megaseller! »Angry«, die neue Single der Rolling Stones aus ihrem im Oktober erscheinenden Album »Hackney Diamonds«, klingt nach gewohnt verlässlicher Boogie-Rente, samt einer sich auf einem Mercedes Cabriolet 560-SL räkelnden Sydney Sweeney im Videoclip.

Davon unbeeindruckt laufen die Teenager mit dem neuen Indierock-Pop-Album von Olivia Rodrigo (»Guts!«) auf den Ohrstöpseln herum. Die Kunstbeflissenen unter uns gingen unterdessen lieber zur Klanginstallation von Mouse on Mars in den Berliner Wedding: ­»Areal Folds«. Zum 30. Bandjubiläum gab es in den kühlen Kellerräumen unter dem alten Krematoriumsgelände quadrophonisches Industrierauschen und maschinelles Geplocker.

Der wegen seines Alkoholismus gefeuerte Bauarbeiter Holappa (Jussi Vatanen), der ein wenig wie die finnische Ausgabe von Ryan Gosling wirkt, ist »deprimiert, weil er trinkt, und trinkt, weil er deprimiert ist« – der für Kaurismäki typische Zirkelschluss des Lebens eben.

Nicht nur die Stones trotzen der Verrentung, sondern glücklicherweise auch Aki Kaurismäki! Eigentlich sollte der 2017 erschienene Film »Die andere Seite der Hoffnung« sein letzter sein, aber jetzt ist er doch noch einmal mit der großartigen Tragikomödie »Fallende Blätter« aus dem Ruhestand zurückgekehrt.

Der wegen seines Alkoholismus gefeuerte Bauarbeiter Holappa (Jussi Vatanen), der ein wenig wie die finnische Ausgabe von Ryan Gosling wirkt, ist »deprimiert, weil er trinkt, und trinkt, weil er deprimiert ist« – der für Kaurismäki typische Zirkelschluss des Lebens eben. Aber in dieser Misere, zwischen den deprimierenden Nachrichten vom Ukraine-Krieg, die aus dem zeitlosen Uraltradio dröhnen, und den ätzenden Jobs, die man jederzeit verlieren kann, verlieben sich Holappa und die ebenfalls gefeuerte Verkäuferin Ansa ineinander. Denn schließlich gibt es in Helsinki auch noch melancholische Karaoke-Abende und tolle Kinofilme, die man sich gemeinsam anschauen kann. In diesem Fall Jim Jarmuschs Horrorkomödie »Die Toten sterben nicht«. Endlich mal wieder ein Film über Alltagshelden aus der schamlos ausgebeuteten Arbeiterklasse!

Wer bereit ist, endgültig wieder in der Realität anzukommen, sollte Bov Bjergs dystopischen Roman »Der Vorweiner« über ein von Naturkata­strophen und Bürgerkrieg geschütteltes Resteuropa Ende des 21. Jahrhunderts lesen. Gnadenlos verlängert er darin die Schrecken unserer Gegenwart in die nahe Zukunft: Willkommen zurück!

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