Polen hat die nationalkonservative Regierung abgewählt

Polens Oppositionsführer Donald Tusk ist glücklich

Nach der Wahl in Polen gilt eine Koalition von drei Oppositions­parteien als wahrscheinlich. Diese haben angekündigt, autoritäre Reformen der langjährigen Regierungspartei PiS rückgängig zu machen. Dabei müsste eine neue Regierung aber einige Hürden überwinden.

Es könnte sich einiges in Polen ändern. Drei Oppositionsparteien werden sehr wahrscheinlich künftig eine neue Regierung bilden. Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober stimmten knapp 30,7 Prozent der 30 Millionen Wahlberechtigten für die liberalkonservative Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition, KO). Sie wurde damit zweitstärkste Kraft und plant eine Koalition mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (14,4 Prozent) und der linken Lewica Razem (Geeinte Linke, 8,6 Prozent). Zusammen käme das Bündnis auf 248 der insgesamt 460 Parlamentssitze und hat damit eine Mehrheit der Mandate im polnischen Abgeordnetenhaus Sejm.

Die seit 2015 regierende nationalkonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) bekam trotz der Skandale in ihrer Regierungszeit und der hohen Inflation im Land 35,4 Prozent der Stimmen und wurde mit 194 Abgeordneten stärkste Kraft im neuen Parlament. Für eine Regierungsbildung fehlen ihr aber Partner. Die in Frage kommende ultrarechte Konfederacja Wolność i Niepodległość (Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit) brachte es nur auf knapp 7,2 Prozent und 18 Sitze, nicht genug für eine Mehrheit. Auch im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, gewannen die drei Oppositionsparteien als »Senatspakt« eine Mehrheit (die Parteien stellten keine konkurrierenden Kandidaten auf) und holten 66 der 100 Sitze.

Aussicht auf das Amt des Ministerpräsidenten hat vor allem der Oppositionsführer Donald Tusk von der Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, PO), der größten Partei der KO, der das Amt von 2007 bis 2014 schon einmal ausübte und dann in Brüssel Präsident des Europäischen Rats wurde. Er sagte am Wahlabend nach den ersten Pro­gnosen: »Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen. Wir haben sie entmachtet.« Er sei »der glücklichste Mensch auf Erden«.

Die Wahl wurde von vielen zu einer Richtungswahl zwischen dem Weg in die Diktatur und einer Rückkehr zur Demokratie erklärt. Es wird sich nun ­zeigen, ob ein Richtungswechsel allein durch das Wählervotum möglich ist, auch wenn staatliche Strukturen bereits autoritär umgebaut wurden.

Präsident Andrzej Duda, der den Nationalkonservativen nahesteht, kann allerdings einen Machtwechsel bremsen. Er muss innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments einberufen und einem Politiker den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Es ist üblich, dass ihn der Vertreter des stärksten politischen Lagers bekommt. Sollte Duda zunächst den Auftrag einem PiS-Politiker geben, hätte dieser zwei Wochen Zeit, eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Am Dienstag begann Duda denn auch mit ersten Konsultationen und traf PiS-Vertreter. Tusk appellierte eine Woche vorher an ihn, den Regierungsauftrag rasch zu vergeben. Die als Sieger aus der Wahl hervorgegangenen Parteien seien »in ständigem Kontakt und jederzeit bereit, die Regierung zu übernehmen«, sagte er in einer Videobotschaft.

Die Wahl wurde von vielen zu einer Richtungswahl zwischen dem Weg in die Diktatur und einer Rückkehr zur Demokratie erklärt. Es wird sich nun ­zeigen, ob ein Richtungswechsel allein durch das Wählervotum möglich ist, auch wenn staatliche Strukturen bereits autoritär umgebaut wurden. Leicht will die PiS den Übergang nicht machen und streut Gerüchte, es handele sich um einen »gestohlenen Sieg«, sie sei betrogen worden und würde es verdienen, an der Macht zu bleiben.

Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyń­ski sagte der Tageszeitung Gazeta Wyborcza zufolge, die Wähler seien durch das Zusammenwirken der Opposition, der Gerichte und der feindseligen, vom Ausland unterstützten Medien verwirrt worden. Schon am Wahlabend hatte er gesagt: »Unabhängig davon, ob wir regieren werden oder in der Opposition sind, werden wir unser Projekt auf verschiedene Weise fortführen. Wir werden nicht erlauben, dass Polen verraten wird.« Er gab zwar zu, dass es offen sei, ob die PiS eine Regierung bilden könne, fügte aber hinzu: »Es können noch einige interessante Dinge passieren.«

PiS hatte mit ihrer Polarisierung im Wahlkampf zwar ihre Stammwähler angesprochen, aber andere Gruppen verschreckt.

Die PiS-Regierung hat wichtige staatliche Institutionen unter Kontrolle genommen und die Unabhängigkeit der Justiz beschnitten. PiS-Getreue besetzen noch für einige Jahre die Führungspositionen am Obersten Gerichtshof, bei der Zen­tralbank und in den öffentlich-recht­lichen Medien. Auch ein Großteil der Stellen im öffentlichen Dienst und bei staatlichen Unternehmen sind mit Sympathisanten von PiS besetzt. Duda hat kaum zwei Tage nach den Wahlen 72 weitere »Neo-Richter« ernannt. So werden die auf Antrag des einst unabhängigen und von der PiS instrumen­talisierten Landesrats für Gerichtswesen ernannten Richter genannt. Mehr als 2.000 gibt es bereits in Polen; EU-Gerichten zufolge sei mit ihnen kein faires Verfahren gewährleistet. Die Opposition hat angekündigt, sie ihrer Ämter zu entheben.

Auch internationale Erwartungen an den Machtwechsel und eine Wende in der polnischen Außenpolitik sind groß. Eine liberalere Position in Fragen der Migration ist allerdings kaum zu erwarten. Tusk ist »gegen eine Zwangsumverteilung von Flüchtlingen«. Die drei potentiellen Koalitionspartner wollen aber mit der EU zusammenarbeiten und die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen – auch damit die bislang zurückgehaltenen Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds ausgezahlt werden, der während der Covid-19-Pandemie aufgelegt wurde.

Eine neue Regierung braucht die rund 35 Milliarden Euro, um die Wirtschaft anzukurbeln und ihre Versprechen zu finanzieren. Im Wahlkampf hat Tusk eine lange Liste mit Gesetzesvorhaben präsentiert, die er in den ersten 100 Tagen der Amtszeit umsetzen will. Er hat kürzlich angekündigt, nach Brüssel zu reisen, um über die einge­frorenen Gelder zu verhandeln. Allerdings muss jedes Gesetz von Duda ­unterzeichnet werden.

PiS hatte mit ihrer Polarisierung im Wahlkampf zwar ihre Stammwähler angesprochen, aber andere Gruppen verschreckt. Als »Verkörperung des Bösen«, als Marionette Deutschlands und der EU hatte sie Tusk bezeichnet. Analysten zufolge hat Tusk mit seinen moderateren Tönen PiS aber keine Stimmen abgejagt, sondern die unentschlossene Mitte und frühere Nichtwähler mobilisiert. Die Wahlbeteiligung war mit über 74 Prozent so hoch wie seit dem Ende des Realsozialismus 1989 nicht mehr. Es haben nicht nur mehr junge Menschen gewählt, sondern erstmals auch mehr Frauen als Männer. Umfragen nach der Wahl zufolge waren die drakonischen Abtreibungsgesetze eines der entscheidenden Themen. Tusk hat im Wahlkampf dafür geworben, Polen wieder zu einem »normalen« Land zu machen. Wie weit die Abtreibungsgesetze in seinem Bündnis mit dem christlichen Dritten Weg liberalisiert werden, ist offen.