Mülheim Asozial gehen, Pogendroblem kommen

Pöbeln und Kotzen

Die Kölner Punker von Mülheim Asozial sind unter dem Motto »Always Say Hello Never Goodbye« auf Abschiedstournee. Aber man muss keine Angst haben, dass der Radau aufhört: Mit der Band Pogendroblem rückt die nächste Generation nach.

Welch ein Jammer: Mülheim Asozial danken ab. Die Kölner Punk-Band, die sich mit ihrem Lied »Bier gegen Bullen und Deutschland« Kultstatus in der linken Szene erspielte, verabschiedet sich mit der Tournee unter dem Motto »Always Say Hello Never Goodbye« von der Bühne. Zwei Konzerte in Berlin wird es noch geben, danach hängt die Gruppe ihre Instrumente an den Nagel.

Auf dem Blog der Band heißt es flapsig: »Bevor wir in drei Jahren mit unserem eigenen Festival am Nürburgring wieder aufwarten, müssen wir uns erst mal ­offiziell verabschieden.« Also bloß nicht wehmütig werden. »Kommt einfach rum und guckt, was so geht.« Und auch das muss noch mal gesagt werden: »Keine Arschlöcher, keine Faschos, keine Bullen, keine Junggesellenabschiede und so weiter.«

Mülheim Asozial sind eine Punk-Band, die den Abstieg des Genres ironisch kommentiert und sich über die von ihm hervorgebrachten kulturellen Zeichen lustig macht. Die Gitarren krachen, das Schlagzeug treibt, der Gesang ist rotzig bis leicht-melodiös, inklusive Backing-Vocals, pöbelnden Zwischenrufen und Straßenjargon. Dreckiger Sound plus Nonkonformismus machten Mülheim Asozial zu einer der angesagtesten deutschen Punk-Bands der zehner Jahre: bierselig, Hundefutter essend, gegen Nazis, Polizei und den deutschen Staat.

»Lasst euch nicht erzählen, ihr hättet ein Problem / Propaganda der Yuppie-Schweine, Arbeit hat man besser keine«. Mülheim Asozial

Parodistisch geben sie auf ihrem Album »Familie und Beruf« aus dem Jahr 2013 Einblicke in das Leben auf der »schäl Sick«, der schielenden, also falschen, rechtsrheinischen Seite Kölns. Genauer gesagt: in den Arbeiterstadtteil Mülheim, wo das lyrische Punker-Ich gegen die Gentrifizierung kämpft: »Mülheim bleibt dreckig und asozial«. Gegen sogenannte Aufwertung und Verdrängung begehrt die Band auf.

Die Protagonist:innen ihrer Songs sind »Andy«, »Kevin« oder »Angelique«. Namen, die als Stigma der Unterschicht gelten, mit der sich Mülheim Asozial ausdrücklich solidarisiert. »Schon wieder besoffen in der Vier / Mit Kevin, nur mit dir!« Die Straßenbahnlinie, auf die hier angespielt wird, steht für das Leben an der Peripherie, wo sich die Randständigen rund um den Wiener Platz versammeln. Mit »Pommes rot-weiß«, einer Umdichtung des Hits »Breaking the Law« von Judas Priest, feiert die Band ein Symbol bodenständig-proletarischer Esskultur.

Arbeitsverweigerung und Protest gegen neoliberale Moral gehören zum Lebensentwurf: »Und dann geh ich in die Kneipe und trinke lecker Bier / Alles, was ich brauche, ist Hartz IV«. Voller Inbrunst singen sie gegen High-Performer und Lohnarbeit an: »Lasst euch nicht erzählen / Ihr hättet ein Problem / Propaganda der Yuppie-Schweine/ Arbeit hat man besser keine«. Es sind Liedzeilen, die sich als Demo-Slogan bestens eignen. Provokant attackieren sie auf der EP »Straight Edge Kids Would Never Do This« das prestigeträchtige Kölner Stadtentwicklungsprojekt »Rheinauhafen«. Das Cover der Platte ziert ein Comic, auf dem Flugzeuge Bomben auf die dortigen »Kranhäuser« genannten Neubauten abwerfen.

Mülheim Asozial knüpfen an die Subversivität von Bands wie Wizo, ZSK, Canal Terror oder Slime an, aber sie kommen längst nicht mehr so hoffnungsfroh wie diese daher. Auf einfache Parolen gebracht reflektiert die Band die Lage einer in Abwehrkämpfen verstrickten Linken. Das ist mal platt, mal humorvoll und mal eingängig, aber auch immer wieder doppelbödig. Es drückt eine utopische Sehnsucht nach einer besseren Gesellschaft aus, bei gleichzeitiger Trauer im Wissen um die Komplexität der Verhältnisse und um die Schwierigkeit, etwas zu verändern.

Wie die radikale Linke politisch schwächelt, so befindet sich der Punk ästhetisch im Niedergang. Durch das Abarbeiten an den Klischees (Irokesenschnitt, Dosenbier, Lederjacke, arbeitslose Schnorrer mit Hund im Schlepptau) und die musikalische Referenz an die Sternstunden des Punk mit Drei-Akkorde-Harmonien und schnörkellosen Riffs regen Mülheim Asozial zum Nachdenken darüber an, was Punk und Protest überhaupt sein können.

Wie die radikale Linke politisch schwächelt, so befindet sich der Punk ästhetisch im Niedergang. Durch das Abarbeiten an den Klischees (Irokesenschnitt, Dosenbier, Lederjacke, arbeitslose Schnorrer mit Hund im Schlepptau) und die musikalische Referenz an die Sternstunden des Punk mit Drei-Akkorde-Harmonien und schnörkellosen Riffs regen Mülheim Asozial zum Nachdenken darüber an, was Punk und Protest überhaupt sein können. Die kulturelle Abwertung der Faulen, Undisziplinierten und Unangepassten aufgreifend, eignen sie sich die zugehörigen Bilder emanzipatorisch und selbstbewusst an und verabschieden sie zugleich liebevoll.

Das bringt auch ihr größter Hit »Bier gegen Bullen und Deutschland« auf den Punkt. Der Song ist mehr als purer Polizeihass, er will aus der Negativität Stärke schöpfen und angesichts der Ohnmacht Selbstwirksamkeit herstellen und Handlungsoptionen einfordern: »Denkt, ihr habt die Macht, das wäre ja gelacht / Euren scheiß Bullenstaat saufen wir in ’n Arsch / Du sagst mir, ich sei Abschaum, du sagst mir ich sei Dreck / Ich rotz’ dir vor die Füße, du bist ja immer noch nich’ weg«.

Flucht in einen selbstzerstörerischen Konsum wird zum Protest gegen die allgegenwärtige Selbstoptimierung, augenzwinkernd wird die Selbstreferentialität von Antifa-Soli-Tresen auf die Schippe genommen. Das streichelt die geschundene linke Seele, lässt aber auch kritische Distanz zu. Dafür sorgt ein Verfremdungs­effekt, durch den die Band anzeigt: Wir spielen eine Rolle, mit der wir uns zwar identifizieren, von der wir aber auch Abstand nehmen. »Unter der Woche arbeiten wir jeden Tag in einer Bank / Doch am Wochenende sind wir Punk«.

Pogendroblem

Pogendroblem: »Du gibst mir das Gefühl, dass richtiges Leben möglich ist / Es ist falsch«

Bild:
Leon Woermann

In ihrem Lied »Revolution« wird rumpelig-rüpelhaft geraunt: »Revolution ist die Konsequenz aus Gewalt und Phantasie / Ein bisschen Straßenschlacht und politische Theorie«. ­Neben der bierigen Härte sticht die Selbstironie hervor: »Dieses Lied ist scheiße, doch das ist ganz egal / Denn wir sind Mülheim Asozial«. Dieses Bekenntnis zum Dilettantismus kennt man von den Ärzten oder den Goldenen Zitronen. Ebenso wie sie scheuen Mülheim Asozial Ausflüge in andere Genres nicht: Auf »Sound der Straße« rappen sie, liefern mit »Scheiße/Geil« einen Elektro-Hit, mit »Vier romantische Typen« eine Schlagerparodie.

Die Band verzichtete weitgehend auf Marketing und blieb dem DIY treu, scheute große Labels und Auftritte. Im vergangenen Jahr waren sie beim Punk-Happening »Sylt entern« dabei, sie unterstützen antifaschistische Proteste und spielten in Lützerath und dem Hambacher Forst. In dem Song »Tatort Porz« geht es um den Kölner CDU-Politiker Hans-Josef Bähner, der im Stadtteil Porz Ende 2019 aus rassistischen Motiven auf einen jungen Mann geschossen hatte und dafür zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. In ihrem Lied rollen sie den Fall in bester Storytelling-Manier auf und singen: »Rassistisch zu denken, fällt ihm nicht schwer/ Denn er ist CDU-Parteifunktionär«. Der Solidaritätssong aus dem Jahr 2021 ist ihre bislang letzte Veröffentlichung.

Pogendroblem sind poppiger als Mülheim Asozial, aber nicht weniger kratzbürstig als diese; politisch korrekter und diskriminierungssensibler sind sie allemal, was mehr dem Zeitgeist zu entsprechen scheint.

Als legitime Nachfolgerin kann die in Köln ansässige Band Pogendro­blem gelten, die voriges Jahr ihr Album »Alles was ich noch hab sind meine Kompetenzen« bei Audiolith veröffentlichte. Die gesellschaftskritische Haltung und den radikalen Impetus haben sie mit Mülheim Asozial gemeinsam, gleichwohl schlagen sie ein paar andere Töne an als jene und stehen damit für einen Generationswechsel im Punk. Das Lied »Kotzen« aus dem Jahr 2016 kommt mit derselben Wut über die Verhältnisse daher wie die Songs von Mülheim Asozial, es ist aber eher ein Anti-Sauf-Song: »Doch ich kotz’ nur, wenn ich nüchtern bin / auf eure Plastikwelt / Ich kotz’ auf die Regierung / Arbeit, Staat und Geld«.

Die Band grenzt sich von dem machistisch-männlichen Habitus klassischer Punk-Bands ab und opponiert gegen tradierte Geschlechterrollen. Das Label beschreibt den Sound als »80s-Punk mit Garage-Einflüssen und poppiger Niedlichkeit«. Kein Lied auf dem Album »Alles was ich noch hab sind meine Kompetenzen« ist länger als zweieinhalb Minuten, was den Stücken eine getriebene Dringlichkeit verleiht. Pogendroblem sind poppiger als Mülheim Asozial, aber nicht weniger kratzbürstig als diese; politisch korrekter und diskriminierungssensibler sind sie allemal, was mehr dem Zeitgeist zu entsprechen scheint.

Sie rufen kraftvoll: »Wie betäubst du dich?« und regen zur kritischen Reflexion über den eigenen Drogenkonsum an, obwohl sie dem hedonistischen Rausch nicht gänzlich abgeneigt sind. Ihre Single »Shirt an« ist auch als Kommentar zu Bands zu verstehen, deren Sänger gerne mit freiem Oberkörper auf der Bühne stehen. Pogendroblem ruft Männer dazu auf, ihr T-Shirt in der Öffentlichkeit anzulassen: »Keine Freiheit für neuen deutschen Männerschweiß«.

In »Gib mir die einfachen Botschaften« entlarven Pogendroblem den »International Self Care Day« als Marketing-Geschwätz und führen gewitzt die Start-up-Mentalität vor: »Wir sind leistungsstark, wir sind dynamisch, wir leben Teamgeist«.

Die Band singt über Lohnarbeitsstress, Freundschaft, Selbstzweifel, Entfremdung und Erwachsenwerden. In ihrem 2020 veröffentlichten Lied »Wir« geht es um grundlegende Fragen: »Wie wollen wir was zusammen machen? / Wie wollen wir kommunizieren? / Wie wollen wir uns betrachten? / Wie wollen wir uns berühren?« Damit sind sie näher an den Themen der linken Millennials aus dem akademischen Milieu, die die Sinnsuche plagt, als die Punks alter Schule. Doch die Band ist keineswegs lost, sondern widmet sich politischen Kämpfen und begreift sich als Teil sozialer Bewegungen.

Im Jahr 2020 veröffentlichten Pogendroblem eine Szene-Doku mit dem Titel »Auf der Suche nach der Utopie«. Im Song »Das Gefühl« paart sich Reflexionstiefe mit unmittel­barem Ausdruck, wenn die Band mit einer gewissen Verzweiflung ihre ­eigene Version eines berühmten Adorno-Bonmots aus den »Minima Moralia« zum Besten gibt: »Du gibst mir das Gefühl, dass richtiges Leben möglich ist / Es ist falsch«.

In »Gib mir die einfachen Botschaften« entlarven sie den »International Self Care Day« als Marketing-Geschwätz und führen gewitzt die Start-up-Mentalität vor: »Wir sind leistungsstark, wir sind dynamisch, wir leben Teamgeist«. Dagegen stellen sie »System change not climate change«, »Antifa bleibt Handarbeit«, »Nie wieder Deutschland« und entfalten damit auch den Widerspruch zwischen der Wahllosigkeit politischer Parolen und dem Wunsch nach Zuspitzung und Veränderung.

Was ein Glück, dass diese Band nach dem Abschied von Mülheim Asozial in deren Fußstapfen tritt.

Konzerte Mülheim Asozial: 24. November SO36, Berlin; 25. November Supamolly, Berlin

Konzerte Pogendroblem: 1. Dezember Kramladen, Wien; 2. Dezember Sub, Graz