Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten haben größere Probleme, einen Kita-Platz zu ergattern

Verpflichtend auf die Warteliste

Unionspolitiker fordern eine Kita-Pflicht, damit Kinder von Migranten besser Deutsch lernen. Bundesweit fehlen allerdings 430.000 Kita-Plätze. Studien zufolge haben es vor allem sozial benachteiligte Familien schwer, einen Platz zu finden.

Ihren Sohn Shaswat hat Sunita Rai direkt nach der Geburt auf die Warteliste der Kita in ihrer Nähe setzen lassen. Auch wenn die Lage in Hamburg nicht ganz so angespannt ist wie anderswo, ist es gerade für die ganz Kleinen oft schwer, einen Platz zu finden. Dem »Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule 2023« der Bertelsmann-Stiftung zufolge haben in Hamburg »15 Prozent der Eltern von Kindern unter drei Jahren einen ungedeckten Kita-Platz-Bedarf«.

In Reaktion auf die miserablen Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie, die kürzlich veröffentlicht worden sind, haben zahlreiche Politiker mal wieder die Bedeutung der Kitas hervorgehoben. Karin Prien (CDU), Schleswig-Holsteins Bildungsministerin, sagte im Deutschlandfunk: »Der Schlüssel zu mehr Bildungserfolg liegt in der Kita.«

Bei Sunita Rai hat es geklappt und Shaswat ist glücklich in seiner Kita. Der 35jährigen war es immens wichtig, einen Kita-Platz zu ergattern, damit ihr Sohn schnell gut Deutsch lernt und optimal gefördert wird. Sie spricht zwar selbst sehr gut Deutsch, aber in der Familie wird vorwiegend Nepali gesprochen.

Es gibt schlicht und ergreifend nicht genug Kita-Plätze. Zwar hat seit inzwischen zehn Jahren jedes Kind im Alter von einem bis drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, doch der Mangel an Kita-Plätzen hat sich seit 2013 sogar verschärft.

Rai entspricht damit wahrscheinlich dem Wunschbild einer Migrantin, wie sie dem CDU-Präsidium vorschwebt. Dieses fordert immer wieder verbindliche Tests der Sprachfähigkeiten von Kleinkindern – und eine Kita-Pflicht, wenn die Testergebnisse nicht gut genug ausfallen. »Der Erwerb der deutschen Sprache muss so früh wie möglich gefördert werden, insbesondere durch verbindliche, fortlaufende und standardisierte Diagnoseverfahren«, heißt es in einem Papier des CDU-Präsidiums aus dem vergangenen Jahr. »Eine Verpflichtung ist für diese Kinder der richtige Weg, um die Bildungschancen zu verbessern«, sagte damals Karin Prien in ihrer Eigenschaft als stellvertretende CDU-Vorsitzende.

In Bayern soll nun eine entsprechende Regelung eingeführt werden. Dem Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern zufolge soll es bei zu großen Sprachdefiziten ein verpflichtendes Vorschuljahr oder einen verpflichtenden Besuch von Sprachunterricht geben. Wie das verwirklicht werden kann, muss allerdings noch ausgearbeitet werden.

Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sagte dem Bayerischen Rundfunk, die Deutschkenntnisse von Kindern dürften nicht von der »Willkür der Eltern abhängen, die das für wichtig oder nicht wichtig halten«. Darin schwingt ein Vorwurf an manche Eltern mit Migrationshintergrund mit. Allerdings ignorieren derartige Forderungen eine entscheidende Tatsache – es gibt schlicht und ergreifend nicht genug Kita-Plätze. Zwar hat seit inzwischen zehn Jahren jedes Kind im Alter von einem bis drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, doch der Mangel an Kita-Plätzen hat sich seit 2013 sogar verschärft.

Rund 430.000 Kita-Plätze fehlten derzeit, stellte die Bertelsmann-Stiftung kürzlich fest. Davon entfallen 385.900 auf West- und nur 44.700 auf Ostdeutschland. Der große Unterschied ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass im Osten Deutschlands die Gruppen deutlich größer sind. Während eine Fachkraft im Westen im Durchschnitt für 3,4 Kinder in Krippengruppen und für 7,7 Kinder in Kindergartengruppen verantwortlich ist, kommen in ostdeutschen Bundesländern 5,4 beziehungsweise 10,5 Kinder auf eine Fachkraft.

Besserung ist nicht in Sicht, der Mangel an Fachpersonal wird immer eklatanter. Bis zum Jahr 2025, so rechnet die Bertelsmann-Stiftung vor, werden 113.700 Erzieher und Erzieherinnen fehlen. »Die Situation ist für Kinder und Eltern wie auch für das vorhandene Personal untragbar geworden«, sagt Anette Stein, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann-Stiftung.

Und dabei steht Hamburg mit seinen circa 15 Prozent von Kindern, die keinen Kita-Platz bekommen, noch glänzend dar. Im baden-württembergische Schwäbisch-Hall bekommen einem Bericht der Stiftung zufolge gut die Hälfte der unter Dreijährigen keinen Kitaplatz. Im bayerischen Memmingen sind es sogar 60 Prozent.

In Deutschland geht die Hälfte der Kinder im Alter von einem bis drei Jahren zur Kita, bei Kindern aus »armutsgefährdeten« Haushalten ist es nur ein Viertel.

Ob Kinder eine Kita besuchen, hängt zum Teil von ihrer Herkunft ab. Zu dem Ergebnis kam eine neue Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Demnach sind unter den Kindern im Alter von einem bis drei Jahren jene in Kitas deutlich unterrepräsentiert, die aus Familien stammen, »die armutsgefährdet sind, in denen überwiegend kein Deutsch gesprochen wird oder deren Eltern keinen akademischen Hintergrund besitzen«.

Insgesamt geht in Deutschland die Hälfte der Kinder in diesem Alter zur Kita – bei Kindern aus »armutsgefährdeten« Haushalten ist es dies nur ein Viertel. Gerade benachteiligte Familien haben es oft schwer, einen Platz zu finden. »Insgesamt haben 21 Prozent aller Familien mit Kindern zwischen einem und unter drei Jahren trotz Betreuungswunsch keinen Kita-Platz. Bei armutsgefährdeten Familien sind es 33 Prozent« und bei »Familien, in denen überwiegend kein Deutsch gesprochen wird, 39 Prozent«, so Mathias Huebener, Co-Autor der Studie. Ein Grund sei die mangelnde Verfügbarkeit, heißt es von den Machern der Studie: »Potentiell benachteiligte Familien berichten deutlich häufiger von Schwierigkeiten bei der Kita-­Suche.«

Wenn es keine Plätze gibt, hilft eine Kita-Pflicht wenig. Das zeigt sich auch in Berlin, wo der Senat nun ein »Kita-Chancenjahr« angekündigt hat. Zukünftig sollen alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr automatisch einen »Willkommensgutschein« für die Kita zugesendet bekommen. Wenn der nicht genutzt wird und dann bei einem verpflichtendem Sprachtest ein Defizit festgestellt wird, soll es im Jahr vor der Einschulung eine verpflichtende Sprachförderung geben, potentiell sogar mit einem Bußgeld für Eltern als Druckmittel. »Damit sind wir nahe bei einer Kita-Besuchspflicht – aber mit den Eltern zusammen«, sagte die Berliner Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) der B.Z..

Ob das etwas ändert, bleibt fraglich, denn die Pflicht zur Sprachförderung vor der Einschulung gibt es in Berlin bereits seit 17 Jahren. Sie steht bisher aber nur auf dem Papier – wegen mangelnder Kita-Plätze.