Die Militärjunta im Tschad hat einen profilierten Oppositionellen zum Premier­minister ernannt

Kompromiss oder Kompromittierung

Die Militärjunta im Tschad hat den profilierten Oppositionellen Succès Masra zum Premierminister ernannt. Viele seiner Parteigänger sind skeptisch.

Sein Vorname bedeutet »Erfolg«. Ob solcher ihm beschieden sein wird, muss sich in näherer Zukunft erweisen. Am Neujahrstag wurde der 40jährige Wirtschaftswissenschaftler Succès Masra zum Premierminister des Tschad ernannt. Das kam für viele Beobachter überraschend, auch wenn der seit mehreren Jahren profilierte Oppositionspolitiker seinen Kompromiss mit dem Regime unter dem fast gleichaltrigen Staatsoberhaupt Mahamat Idriss Déby – offiziell als Übergangspräsident bezeichnet – monatelang vorbereitet hatte.

Der im April 1984 geborene Déby rückte nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters Idriss Déby Itno im April 2021 an die Spitze des Staats, als Leiter des Militärischen Übergangsrats (CMT). Diese Militärjunta regiert noch immer.

Idriss Déby Itnos Amtsvorgänger Hissène Habré, unter dessen Präsidentschaft (1982 bis 1990) mindestens 40.000 Menschen »verschwunden« waren, wurde 2017 von einem Sondergericht in Dakar wegen Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt und starb 2021 in Haft an einer Covid-19-Erkrankung. Idriss Déby Itno setzte zwar 1990 Habrés Regentschaft ein Ende, war jedoch von 1982 bis 1989 dessen Generalstabschef und an den Verbrechen des Regimes beteiligt gewesen; er galt als notorischer Schlächter.

Mahamat Idriss Déby war unter seinem Vater zum General befördert und für seine Nachfolge favorisiert worden – er war nicht sein ältester Sohn. Nach dem Tod des Präsidenten bei einer Militäroffensive wurde eine Transition ausgerufen, also vorgeblich die Phase des Übergangs zur Demokratie. Dass diese über mehrere Jahre hingezogen wird und sich de facto eher als dynastische Erbfolge darstellt, rief Unmut hervor.

Eigentlich sollte die Übergangsperiode 18 Monate dauern, bis zum 20. Oktober 2022. Doch an diesem Tag wurde die Transition um zwei Jahre verlängert. Noch am selben Tag brachen Massenproteste aus, bei denen die Ordnungskräfte nach offiziellen Angaben 50, der Tschadischen Liga für Menschenrechte (LTDH) und der Weltorganisation gegen Folter OMCT zufolge jedoch 218 Personen töteten.

Zu den am besten organisierten oppositionellen Organisationen zählte zu diesem Zeitpunkt die von Succès Masra im April 2018 gegründete Partei Les Transformateurs (Die Veränderer). Neben Basisorganisationen und einem Teil der tschadischen Gewerkschaften waren Les Transformateurs führend an den Protesten beteiligt.

Derzeit liegt die reale Macht in den Händen von Angehörigen der rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachenden Ethnie der Zaghawa.

Ihr Vorsitzender Masra war Anfang September 2022 in der Hauptstadt N’Djamena wegen Aufstachlung zum Aufruhr angeklagt worden. Zum Gericht begleiteten ihn Tausende von Anhängern, die Polizei eröffnete das Feuer. 1.000 Menschen sollen verletzt und 300 festgenommen worden sein. Offiziell kritisierten die USA, Frankreich, Deutschland und die Europäische Union das Ausmaß das Repression, jedoch unterstützte vor allem die französische Regierung de facto das Regime. Wegen des Rückgangs des französischen Einflusses in der Sahelzone, vor allem zugunsten Russlands, aber auch der USA, wollte Frankreich den Tschad als Einflussgebiet halten.

Masra floh nach dem Massaker vom 20. Oktober 2022 und lebte rund ein Jahr im Exil in den USA. Seit August 2023 kündigte er mehrfach seine Rückkehr in Tschad an, wo aber 72 Mitglieder seiner Partei, die dafür abgestellt worden waren, seine Sicherheit zu garantieren, festgenommen wurden.
Doch unter Vermittlung des – vor wenigen Tagen wiedergewählten – Staatspräsidenten der Demokratischen Republik Kongo (DRK), Félix Tshisekedi, wurde eine Vereinbarung über Masras Rückkehr ausgehandelt. Das »Abkommen von Kinshasa« vom 31. Oktober erlaubte es Masra, vier Tage später wieder in den Tschad einzureisen.

Am Neujahrstag gab Präsident Déby Masras Ernennung zum Premierminister bekannt. Viele von dessen bisherigen Parteigängern, von denen wiederum nicht wenige sich derzeit als Asylbewerber in Frankreich aufhalten, sprachen unterdessen von Verrat und davon, Masra habe sich »einkaufen« lassen. Bereits in der Vergangenheit kooptierte das Regime häufig politische Gegner und Oppositionelle.

Die tschadische Verfassung – auch in ihrer neuen Fassung, die am 17. Dezember offiziell mit 86 Prozent Ja-Stimmen in einem Referendum angenommen wurde – konzentriert die Macht weitgehend in den Händen des Staatspräsidenten, der Premierminister ist ihm klar untergeordnet. Masra führt zwar offiziell die Regierungsgeschäfte, seine Befugnisse erlauben es ihm jedoch nicht, die tatsächlichen Richtungsentscheidungen zu treffen. Aufgrund der zuvor ausgehandelten Kompromisse hatte Masra jedoch vor der Abstimmung im Dezember zur Annahme der neuen Verfassung aufgerufen, die das Regime erwartungsgemäß als politischen Erfolg verkauft.

Masra versucht weiterhin zu beweisen, dass Mahamat Idriss Déby ihn nicht in die Tasche gesteckt hat. Kurz nach seiner Ernennung sprach er öffentlich davon, im Tschad herrsche »Apartheid« – eine Anspielung auf die notorischen Konflikte zwischen der arabisch-berberisch und muslimisch dominierten Nordhälfte des Landes und der christlichen sowie animistisch geprägten Südhälfte, die bereits zum Bürgerkrieg von 1965 bis 1979 geführt hatten; ein Bürgerkrieg, der nur mit kurzen Unterbrechungen bis 2010 weiterging. Derzeit liegt die reale Macht in den Händen von Angehörigen der rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachenden Ethnie der Zaghawa, die aus dem Nordosten des Landes stammt und aus deren Reihen die Familie Déby hervorging.

Anfang Januar kündigte Succès Masra an, dass die Sache als »Apartheidsproblem« vor die Vereinten Nationen getragen werden solle, falls die Konflikte zwischen privilegierten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen nicht in Bälde friedlich gelöst werden. Im neuen Kabinett kann Masra sich allerdings nur auf drei Minister aus seiner Partei stützen, die übrigen Mitglieder stehen für die Kontinuität der bisherigen Regierungen unter Déby junior.