Die konservative Organisation »No Labels« überlegt, einen eigenen Präsident­schafts­­kandidaten zu nominieren

Zu langweilig

Die konservativen Unterstützer der Organisation No Labels wollen nicht für Donald Trump stimmen. Indirekt könnten sie dennoch zur seinem Wahlsieg beitragen.
Kommentar Von

Wer es mit der Zivilisation hält, hat derzeit wenig Anlass zum Optimismus. Über die anstehende Präsidentschaftswahl in den USA etwa würde man am liebsten so wenig wie möglich hören oder lesen. Glaubt man den Umfrageergebnissen, erscheint die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus von Tag zu Tag realistischer. Was die Angelegenheit besonders frustrierend macht, ist, dass niemand so richtig zu sagen weiß, warum.

Nach ihren Gründen befragt, nennen Wechselwähler, die 2020 noch für Joe Biden stimmten, in erster Linie dessen fortgeschrittenes Alter. Das ist nun zwar in der Tat stattlich, aber Trump ist mit seinen 77 Jahren gerade einmal vier Jahre jünger – und liefert dabei, was Verwechslungen und Wortfindungsschwierigkeiten betrifft, deutlich mehr Hinweise auf altersbedingte Ausfallserscheinungen als sein Konkurrent. Dass Wähler, wenn sie zwischen Senioren zu wählen haben, den Typus cholerischer Rentner schnittiger finden als den freundlichen Urgroßonkel, ist keine Erklärung, sondern selbst erklärungsbedürftig.

Leslie Moonves, ehemaliger Präsident und CEO des Fernsehsenders CBS, hatte 2015 das Betriebsgeheimnis ausgeplaudert: Trump werde fürs Land sicher schlecht sein, aber für seine Branche sei er ein einziger Segen.

Den Leuten scheint schlichtweg langweilig zu sein. Eines der Geheimnisse der US-Politik ist ja, dass dann, wenn die Lage ernst ist, die Linksliberalen an die Regierung müssen; Hallodris wie Ronald Reagan, George W. Bush oder Trump hingegen wählt man nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Leidenschaft, wenn man glaubt, man könne es sich leisten, ein bisschen über die Stränge zu schlagen.

Nach vier nervenaufreibenden Jahren und einer Pandemie brauchte es dringend ein bisschen Ruhe, daher gewann Biden 2020 die Wahl. Jetzt, wo im Weißen Haus vor sich hin regiert wird, ohne dass täglich ein neuer Skandal zu vermelden wäre, ist auf einmal nicht mehr genug los.

Und was fürs Wahlvolk gilt, gilt für die Presse erst recht. Leslie Moonves, ehemaliger Präsident und CEO des Fernsehsenders CBS, hatte 2015 das Betriebsgeheimnis ausgeplaudert: Trump werde fürs Land sicher schlecht sein, aber für seine Branche sei er ein einziger Segen.

Nach dessen Abwahl hatten sämtliche Medien, ob New York Times oder CNN, mit heftigen Einbrüchen bei der Leser- und Zuschauerzahl zu kämpfen. Kein Wunder, dass in der Bericht­erstattung über den Wahlkampf alles daran gesetzt wird, Trump wieder konkurrenzfähig zu machen. Erst recht dort, wo man, in ­einer bizarren ideologischen Verrenkung, sich als »fair« und »unabhängig« von Propagandaagenturen wie Fox News unterscheiden und darum unbedingt zeigen will, dass man gleichermaßen kritisch gegen »links« und »rechts« austeilt.

Als Sprachrohr der oberen Klasse ist man in den Redaktionsstuben bis heute unumstößlich davon überzeugt, dass nur die Extreme beider Seiten daran schuld sind, dass in Washington nicht der gesunde Menschenverstand regiert. Das antipolitische Ressentiment gegen Polarisierung und Parteiengezänk hat nun endlich auch eine parteipolitische Heimat gefunden.

Die Lobbyorganisation No ­Labels, die seit über zehn Jahren im Kongress eine parteiübergreifende Abgeordnetengruppe mit dem Brechreiz erregenden Namen »Problem Solver Caucus« sponsert, kokettiert seit geraumer Zeit mit der Möglichkeit einer eigenen Präsidentschaftskandidatur. Für ihr Programm, den historischen Kompromiss von niedrigen Steuern und gleichgeschlechtlicher Ehe, gibt es zwar keine relevante Wählerbasis, wohl aber Geldmittel von betuchten Spendern.

Für Trumps Sieg zu sorgen, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen: Dafür kann man ruhig mal ein paar Millionen locker machen.

Von ferne erinnert das Vorhaben an die Wahl 2020, als Howard Schultz, CEO von Starbucks, monatelang mit einer unabhängigen Kandidatur liebäugelte – ein billiges Erpressungsmanöver, um die Demokraten davon abzuhalten, Bernie Sanders zu nominieren. Im Falle von No Labels freilich ist nicht auszuschließen, dass die Verantwortlichen sich weit genug in ihren Blödsinn hineinsteigern und tatsächlich antreten. Umfragen, in denen die Wähler bekunden, sie hätten statt Trump oder Biden lieber einen »Gemäßigten«, der »die Parteien zusammenbringt«, sind schnell produziert.

Dabei herauskommen würde ein Kandidat für die paar Konservativen, denen Trump dann doch zu degoutant ist, die aber umso dankbarer sind, trotzdem nicht das Kreuzchen für – horribile ­dictu! – einen Demokraten machen zu müssen. In einer knappen Wahl können das die entscheidenden Stimmen sein, die Biden fehlen. Für Trumps Sieg zu sorgen, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen: Dafür kann man ruhig mal ein paar Millionen locker machen.

Darauf schnurrt schließlich alles zusammen. Die Superreichen wissen zwar, dass Trumps Reality-TV-Faschismus schlecht fürs Geschäft ist; schon allein die angedrohten staatlichen Rachefeldzüge gegen Unternehmen, die bei Konservativen als »woke« gelten, dürften für reichlich Unruhe sorgen. Aber noch schlechter fürs Geschäft, so ist man überzeugt, ist die Gefahr, dass der Spitzensteuersatz minimal erhöht werden könnte.

Alles also eine Frage des Interesses? So hätten sie es gerne. Sie übersehen dabei nur, dass das Interesse, das sie damit bekunden, nicht das eines ideellen Gesamtkapitalisten ist, sondern das von Hühnerdieben, die ängstlich darüber wachen, von ihrer Beute nicht ein Fitzelchen abgeben zu müssen. Ob das weniger irre als das »Make America Great Again«-Geschrei der Trump-Fans ist, darf getrost bezweifelt werden.